Der Aargauer Sepp Moser (72) schreibt als Experte über Luftfahrtthemen. Als Pilot sitzt er selber gelegentlich im Cockpit eines Kleinflugzeuges. Mit den Maschinen der Ju-Air ist er verschiedentlich als Passagier mitgeflogen. 1982 hat er im Rahmen der Rettungsaktion der ausgemusterten Ju-52-Flieger das Buch «Flieg weiter, Ju-52!» geschrieben.
Herr Moser, am vergangenen Hitzewochenende
stürzten in der Schweiz
gleich zwei Flugzeuge ab. Zufall,
oder spielten die heissen Temperaturen
eine Rolle?
Sepp Moser: Ich fliege selber ein kleines
einmotoriges Flugzeug für zwei Personen
und wäre am Wochenende niemals
in die Hochalpen geflogen, weil ich
weiss, dass mein Flugzeug bei der Hitze
zu wenig Kraft dafür hätte. Heisse Luft
ist dünner als kalte, entsprechend müssen
Flugzeugmotoren mehr leisten, je
höher die Temperatur liegt. Das wussten
die beiden Ju-52-Piloten aber auch,
und ich zweifle keine Sekunde daran,
dass sie das bei der Flugplanung berücksichtigt
haben.
Die abgestürzte Ju-52 wurde regelmässig
gewartet, laut Polizeiangaben
hat das Flugzeug zudem weder gebrannt,
noch ist es in der Luft auseinandergebrochen.
Die Annahme liegt
nahe, dass als Ursache nur ein Pilotenfehler
infrage kommt.
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation.
Ich zweifle überhaupt nicht
daran, dass die beiden Ju-52-Piloten alle
nötigen Vorkehrungen getroffen haben.
Das waren Vollprofis.
Ein Experte meinte, 95 Prozent der
Flugunfälle im Gebirge seien auf
menschliche Fehler zurückzuführen.
Das stimmt, heisst aber nicht, dass das
auch beim aktuellen Unfall so war. Aber
es ist schon so: Jeder Mensch kann Fehler
machen. Das ist wie beim Autofahren:
Selbst den erfahrensten Chauffeuren können
Unaufmerksamkeiten unterlaufen.
Beide Piloten waren Ex-Luftwaffenpiloten
und flogen grosse Linienflieger.
Wie wichtig ist diese Berufserfahrung
für Ju-52-Flüge überhaupt?
Sie ist sehr wichtig. Das Wichtigste ist aus
meiner Sicht die Erfahrung als Militärpilot.
Diese fliegen wie die Ju-52-Piloten
nach Sicht, sehr oft in den Bergen und
dort nah am Gelände entlang. Ein erfahrener
Militärpilot kennt sozusagen jeden
Felszacken und weiss genau, wo es Turbulenzen
geben kann.
Die Ju-52 hatte keine eingebauten
Aufzeichnungsgeräte. Die Absturzursache
wird daher schwierig zu ermitteln
sein. Gibt es eine plausible Erklärung
für das, was passiert ist?
Für mich ist das ein grosses Rätsel. Vor
allem, weil das Flugzeug offenbar beinahe
senkrecht in den Boden krachte. Ich
kann mir schlicht nicht vorstellen, was
da passiert sein könnte.
Einer der Piloten hätte das Flugzeug
absichtlich zum Absturz bringen können.
Das können Sie vergessen! Kein Pilot
bringt sich und 19 andere um, ausser, er
ist psychisch gestört wie der Germanwings-Pilot,
der 2015 einen Airbus zum
Absturz brachte. Er hatte damals seinen
Kapitän aus dem Cockpit ausgesperrt.
Das wäre bei der Ju-52 nicht möglich. Da
kann jeder jederzeit ins Cockpit rein.
Die Ermittlungen werden laut der zuständigen
Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle
sehr kompliziert.
Wie geht man nach einem
solchen Unfall vor?
Eigentlich ähnlich wie nach einem Verbrechen.
Mit kriminalistischen Methoden
kann man den Unfallhergang meist
sehr gut rekonstruieren. Man wertet die
Trümmer aus, sucht nach Augenzeugen –
etwa in der Berghütte nahe der Unfallstelle
–, analysiert die Wetterlage und
setzt auch auf forensische Daten. Das
Blut der Verstorbenen kann zum Beispiel
Aufschluss darüber geben, ob der Absturz
für sie überraschend kam oder ob
sie länger Angst erlitten haben.
Wann wird man wissen, was genau
passiert ist?
Das kann zwei Monate dauern oder zwei
Jahre: Unmöglich zu sagen.
Würden Sie je wieder in eine Ju-52
steigen?
Sofort. Ich würde schon heute wieder
einsteigen. Ich habe mehrmals als Passagier
mitfliegen dürfen. Das rumpelt und
ruckelt gewaltig. Man fühlt sich wie in
einer Dampflok, die durch die Luft
fliegt. Bequem ist es nicht, aber unvergesslich
– und sicher nicht gefährlicher
als eine kurze Fahrt mit dem Auto. (aargauerzeitung.ch)