Frankreich scheidet 2002 als Titelverteidiger in den Gruppenspielen aus. Kein einziger Treffer gelingt «Les Bleus». Einmalig?
Rückblickend stellt man fest: Nein. Vielmehr der Beginn einer Entwicklung, die manch einer gar als «Weltmeister-Fluch» bezeichnet. 2010 erwischt es die Italiener, für die als Titelverteidiger schon nach der Vorrunde Schluss ist. Und 2014 die hochgelobten Tiki-Taka-Spanier, obwohl doch noch fast alle Weltmeister wieder dabei sind. Und nun also Deutschland. Noch nie zuvor in einer Gruppenphase hängengeblieben und nun zur Premiere ausgerechnet als Titelverteidiger.
Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Werfen wir einen Blick auf die drei Vorgänger Deutschlands und anschliessend auf die DFB-Auswahl 2018.
Zinédine Zidane, der Denker und Lenker des amtierenden Welt- und Europameisters, ist angeschlagen und kann erst im dritten Gruppenspiel mittun. Da ist die Lage schon fast hoffnungslos. Zum Start kassiert Frankreich eine 0:1-Niederlage gegen Senegal. Ein klassischer Aussenseiter-Triumph, wie er vorkommen kann. Danach reicht es gegen Uruguay nur zu einem mageren 0:0. Die Tage von Trainer Roger Lemerre sind gezählt, als «Les Bleus» gegen Dänemark 0:2 verlieren.
Als Gründe für das Scheitern werden ausgemacht: Eine lange Saison mit vielen Spielern, die ausgelaugt nach Asien reisten. Spieler, die ohnehin nicht mehr die Jüngsten waren und nicht fit. Zu viele Stammspieler ausser Form. Zidanes Fehlen in den ersten zwei Spielen. Verteidiger Bixente Lizarazu sagt: «Wir hatten schöne Jahre. Wir haben den Erfolg genossen, jetzt müssen wir auch das durchmachen.»
Frankreich hat seither keinen Titel mehr gewonnen.
Eine vermeintlich einfache Gruppe erweist sich als so stark, dass die «Azzurri» sie auf dem letzten Platz abschliessen – hinter Paraguay, der Slowakei und Neuseeland. Nach je einem 1:1 reicht Italien ein weiteres Remis gegen die Slowakei zum Weiterkommen. Doch das Glück der ewigen Minimalisten ist aufgebraucht. Italien verliert mit 2:3 und Weltmeistertrainer Marcello Lippi tritt zurück. Er übernimmt die gesamte Verantwortung für das Debakel: «Ich habe die Mannschaft in taktischer, psychologischer und athletischer Hinsicht nicht gut vorbereitet.»
Als Gründe für das Scheitern werden ausgemacht: Das Festhalten an Weltmeistern, die vier Jahre älter, aber nicht schneller und besser geworden sind. Verletzungen von Goalie Gigi Buffon und Spielmacher Andrea Pirlo. Der Verzicht auf junge, hungrige Spieler wie Mario Balotelli. Der knapp 37-jährige Abwehrchef Fabio Cannavaro tritt zurück mit den Worten: «Im Calcio muss sich viel ändern, sonst gewinnen wir erst wieder in 24 Jahren eine WM.»
Italien hat seither keinen Titel mehr gewonnen.
Der Start ist gleich der Hammer: Gegen die Niederlande kommt es zur Neuauflage des WM-Finals 2010. Und die «Oranje» revanchieren sich gewaltig, feiern mit dem 5:1 einen epochalen Sieg. Die Spanier erholen sich nicht mehr von der Niederlage, verlieren auch gegen Chile (0:2) und sind bereits nach zwei Partien ausgeschieden. Der abschliessende 3:0-Sieg über Australien ist reine Kosmetik. Weltmeistertrainer Vicente Del Bosque darf bleiben, 2016 scheitert Spanien unter ihm an der EM bereits im Achtelfinal.
Als Gründe werden ausgemacht: Del Bosques Treue zu den Weltmeistern, von denen er bis auf Carles Puyol und Joan Capdevila alle Finalteilnehmer nochmals mitnimmt und die den Ansprüchen teils nicht mehr genügen. «Kein Tempo, keine Stabilität: Das früher unangreifbare Perpetuum mobile des modernen Fussballs stand vor Schreck still», schreibt die NZZ.
Spanien hat seither keinen Titel mehr gewonnen.
Blickt man auf die drei Vorgänger der Deutschen, so haben sie eines gemein: Es wurde zu sehr an den Weltmeistern festgehalten. Das wird auch Jogi Löw vorgeworfen. Vor dem Turnier wurde der Bundestrainer zwar noch dafür gelobt, dass er einen Umbruch vollzogen habe. Von den 23 Weltmeistern schafften es nur neun nochmals in den WM-Kader.
Das ist aber nur die eine Seite. Die andere lautet, dass fast alle diese neun eine tragende Rolle hatten oder besser gesagt: hätten haben sollen. Neuer, Boateng, Hummels, Khedira, Kroos, Özil, Müller – Löw baute sein Team um diese Etablierten. Und das war wohl ein Fehler, betrachtet man nun das, was dabei herausgekommen ist.
Zu viele Leistungsträger wirkten in Russland ausser Form, uninspiriert, ideenlos, träge. Vielleicht auch erfolgsmüde. Was will man denn eigentlich noch erreichen, wenn man einmal Weltmeister war? Mehr geht nicht. Ein Gedanke, den keiner zugibt. Aber der bestimmt dem einen oder anderen durch den Kopf gegangen ist. Zudem, das darf nicht unterschätzt werden, waren zurückgetretene Weltmeister wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder Miroslav Klose absolute Weltklasse und Akteure, die nicht einfach 1:1 ersetzt werden können.
Es ist menschlich, dass der Bundestrainer an seinen routinierten Weltmeistern festgehalten hat. So sehr der Fussball heutzutage von Statistiken und Big Data geprägt ist, so sehr verlässt man sich eben auch gerne auf Bewährtes. Hört auf den Bauch, wenn man vielleicht auf den Kopf hören sollte. Und hofft dabei darauf, dass allfällige Formschwächen alleine aufgrund der positiven Erfahrungen der letzten WM verschwinden. Vermutlich hätte der nicht aufgebotene Leroy Sané dem Team gut getan. Aber wie es unser Eismeister Zaugg schön ausdrückt: Nach dem Krieg ist jeder Soldat ein General.
Vieles, ja sogar sehr vieles, war wirklich schlecht am deutschen Spiel. Und doch darf nicht vergessen werden, dass am Ende nicht viel gefehlt hätte, um doch noch in die Achtelfinals einzuziehen. Und wer weiss, was die – Phrasenschwein, daher! – Turniermannschaft dann hätte erreichen können. Mats Hummels, der gegen Südkorea kurz vor dem Ende beim Stand von 0:0 eine grosse Chance hatte, sagte treffend: «Wenn ich den Ball in der 86. Minute rein mache, reden wir darüber, wie geil es ist, dass wir weitergekommen sind. Jetzt reden wir leider über etwas anderes.»
Ja, in Deutschland reden sie nun und es wird lange dauern, bis sie die Blamage fertig diskutiert haben. Offen ist, ob Jogi Löws Zeit trotz Vertrag bis 2022 abgelaufen ist. Offen ist, für welche Spieler künftig kein Platz mehr ist – vor der WM wurde schliesslich darüber geklagt, dass Deutschland genügend gute Spieler gleich für zwei Mannschaften hätte. Nun können diese Akteure beweisen, dass es falsch war, sie zuhause zu lassen. Und das ist das Gute an Deutschlands Situation: Der vierfache Weltmeister kann aus einem reichen Fundus an talentierten Fussballern schöpfen. So, dass trotz des desaströsen Auftritts in Russland schon in zwei Jahren an der EM 2020 wieder mit Deutschland zu rechnen sein wird. Egal, wer dann der Trainer ist.
Meine Analyse zum Artikel. Sehr guter Ansatz, abe leider in der Mitte aufgehört.