Ein Zürcher Polizist fuhr bei Rot über eine Kreuzung und übersah ein von links kommendes Auto. Sie krachten ineinander. Der Strafverfolger wurde zum Strafverfolgten. Die Oberstaatsanwaltschaft klagte ihn wegen fahrlässiger grober Verletzung der Verkehrsregeln an.
Der Polizist hatte dafür kein Verständnis. Schliesslich sei er mit Blaulicht und Horn unterwegs gewesen. Im Stress könne ein Fehler passieren. Vor Gericht hatte er keine Chance. Im März bestätigte das Bundesgericht, er habe elementarste Sorgfaltsregeln verletzt.
Doch wie rast man korrekt bei Rot über eine Kreuzung? Das Strassenverkehrsgesetz liefert nur eine allgemeine Antwort. Auf einer «dringlichen Dienstfahrt» dürfen die Verkehrsregeln missachtet werden, wenn der Fahrer «alle Sorgfalt» walten lasse, die «nach den Umständen» erforderlich sei.
Was das auf der Strasse bedeutet, kann ein Polizist nicht im praktischen Fahrunterricht lernen. Für eine Übung darf das Blaulicht nicht eingeschaltet werden. Die Berner Kantonspolizei schafft sich nun als erstes Polizeikorps der Schweiz einen Fahrsimulator der neusten Generation an.
Derzeit sucht sie eine Firma, die ein Gerät liefern kann, das Blaulichtfahrten im Schweizer Strassenverkehr simuliert. Als Zusatzfunktion soll es über ein Eye Tracking, ein Blickverlauf-Aufzeichnungssystem, verfügen. Kameras zeichnen die Pupillenbewegungen auf und weisen nach, ob ein Polizist vor der Kreuzung auch nach links geschaut hat.
Es gibt nur eine Firma in der Schweiz, welche die Ausschreibungskriterien erfüllen kann: die Rheinmetall Swiss Simtec AG aus Thun, eine Tochterfirma des deutschen Rüstungskonzerns.
Sie beschäftigt zwölf Mitarbeiter und macht nach eigenen Angaben einen Umsatz von sechs Millionen Franken, hauptsächlich mit Simulationstechnik für die Schweizer Armee und die deutsche Bundeswehr. Nun will sie sich auf dem zivilen Markt etablieren.
In den vergangenen Wochen hat sie ein Dutzend Blaulichtorganisationen empfangen, um das neuste Produkt in Testfahrten vorzustellen. In der virtuellen Umgebung können die Polizisten nicht nur lernen, wie man sorgfältig über eine Kreuzung rast, sondern auch, wie man auf der Autobahn durch eine Fahrzeuggasse manövriert oder einen VIP-Konvoi eskortiert.
Die Thuner Firma hofft, den Durchbruch mit einem relativ günstigen Preis zu erreichen: 167'000 Franken kostet die Grundversion. Hinzu kommen 64'000 Frankenfür das Eye-Tracking-System. Im Gegensatz zu älteren Geräten ist das ein Schnäppchen.
2008 kaufte die Stadt Zürich ein Vorgängermodell für 1,5 Millionen Franken. Marco Cortesi, Sprecher der Zürcher Stadtpolizei, sagt: «Seit wir mit dem Simulator trainieren, haben sich auf Dienstfahrten keine gravierenden Unfälle mehr ereignet.»
Zuvor war es zu mehreren Vorfällen mit Verletzten und sogar mit Toten gekommen. «Wir verfolgen mit Interesse, welche Geräte andere Blaulichtorganisationen anschaffen», sagt Cortesi.
Der neuste Fahrsimulator aus Thun ist zudem mit Szenarien für Sanität und Feuerwehr gefüttert. Zwei Exemplare stehen seit wenigen Monaten in der Schweiz im Einsatz: im Zentrum für medizinische Bildung Bern und im Ostschweizer Feuerwehrausbildungszentrum.
Gabriella Guex leitet in Bern den Ausbildungsgang für Rettungssanitäter. Sie erklärt den Grund für die Anschaffung: «Der Fahrsimulator ist für uns die einzige Möglichkeit, Hochrisikofahrten zu üben.» Das Unfallrisiko auf Einsatzfahrten steige tendenziell, weil der Strassenverkehr zunehme. Die Rettungsdienste müssten zudem öfter mit Blaulicht ausrücken, die Leute würden häufiger die Ambulanz rufen. Früher hätten Angehörige einen Verletzten häufiger selbst ins Spital gefahren.
Zudem führe die Zentralisierung der Spitäler zu mehr dringlichen Verlegungsfahrten. Die neue Technik hat allerdings ihre Tücken. Die Simulatorkrankheit tritt seltener auf als bei älteren Geräten, bleibt aber ein Problem. Viele Leuten ist nach der virtuellen Fahrt übel, weil der Gleichgewichtssinn ausgetrickst wird. Unter den angehenden Berner Sanitätern traten die Symptome bisher bei ein bis zwei Studierenden pro Klasse auf.
Schulleiterin Guex sagt: «Meistens verschwinden die Beschwerden mit einem Kaugummi gegen Reisekrankheit.» Auch die Ostschweizer Feuerwehrleute hatten bisher kaum Beschwerden. Der St.Galler Feuerwehrinspektor Daniel Bischof ist zufrieden und sagt: «Wir wollen der Zeit voraus sein.»
Die meisten Polizeiausbilder haben sich nach der Testfahrt allerdings gegen die Anschaffung entschieden. «Mir wurde nach fünf Minuten schlecht», sagt Marcus Kradolfer, Direktor der Polizeischule Ostschweiz. Harry Wessner, Ausbildungschef der Interkantonalen Polizeischule in Hitzkirch, setzt auf traditionelle Lernmethoden, etwa Übungsfahrten auf einem abgesperrten Parkplatz.
Die Baselbieter Polizei teilt mit: «Nur grosse Polizeikorps können sich eine solche Anschaffung leisten.»
Vielleicht reichen 5-6 Standorte aus, um alle Blaulichtorganisationen der Schweiz, von Zeit zu Zeit zu schulen. Schliesslich nützt es uns allen!