Die FDP ergreift die Flucht nach vorne. Sie hat am Donnerstag eine Befragung ihrer 120'000 Mitglieder zu «einer liberalen Umwelt- und Klimapolitik der Zukunft» lanciert. Es handelt sich um einen Befreiungsschlag: In den letzten Monaten sind die Freisinnigen beim Klimathema unter Druck geraten. Der TV-Comedian Michael Elsener definierte FDP als Abkürzung für «Fuck de Planet».
Ausgangspunkt war die Beratung über das CO2-Gesetz in der letztjährigen Wintersession im Nationalrat. Erst verwässerte die FDP das Gesetz gemeinsam mit der SVP und beklagte sich dann, als die gleiche SVP in einer «unheiligen Allianz» mit SP und Grünen das Gesetz versenkte. Die FDP stimmte dafür, trotzdem schob man ihr die Schuld am Debakel in die Schuhe.
Das Doppelspiel beim CO2-Gesetz erwies sich als PR-Debakel für die Partei. Die Quittung erhielt sie bei den Zürcher Wahlen am letzten Sonntag. Sie verlor Wähleranteile, und zum ersten Mal in seiner langen Geschichte ist der stolze Zürcher Freisinn nur noch mit einem Sitz im Regierungsrat vertreten. Einige Jungfreisinnige machten Parteipräsidentin Petra Gössi dafür verantwortlich.
Die Schwyzer Nationalrätin hatte im Februar mit einem Tamedia-Interview für Aufsehen gesorgt, das als «Kehrtwende» betrachtet wurde. Gössi befürwortete Massnahmen wie ein Inlandziel und eine Flugticketabgabe, die ihre Partei im Nationalrat noch bekämpft hatte. Die Kritik blieb nicht aus. Man müsse «kühlen Kopf im Wahljahr bewahren», forderte der Berner Nationalrat Christian Wasserfallen.
«Wir sind keine klimafeindliche Partei», rechtfertigte sich Petra Gössi im Interview und räumte gleichzeitig ein, man habe nach der Gründung der Grünen und Grünliberalen das Thema Umweltschutz «etwas aus der Hand gegeben». Tatsächlich hatte die FDP einmal eine führende Rolle in der Umweltpolitik. Nur erinnert man sich heute kaum noch daran.
In den 70er und 80er Jahren gab es so etwas wie einen Öko-Freisinn. Die bekannteste Vertreterin war niemand geringerer als Elisabeth Kopp. Sie war 1974 zur Gemeindepräsidentin von Zumikon (ZH) gewählt worden und hatte schon damals auf Fernwärme statt Erdöl gesetzt. Im Nationalrat setzte sich Kopp für ein Verbot von verbleitem Benzin und die Katalysatorpflicht für Neuwagen ein.
Dank solchen Massnahmen galt die Schweiz in Europa als führend in der Umweltpolitik. Das Volk honorierte Kopps Einsatz. Bei den Nationalratswahlen 1983 holte sie im Kanton Zürich die meisten Stimmen aller bürgerlichen Kandidatinnen und Kandidaten, inklusive Christoph Blocher. Ein Jahr später wurde Elisabeth Kopp dank ihrem Öko-Image zur ersten Bundesrätin der Schweiz gewählt.
Die Waldsterben-Debatte und die Umweltkatastrophen von 1986 in Tschernobyl und Schweizerhalle bei Basel verstärkten diesen Trend. «Der Umweltschutz, lange fast ausschliesslich ein Thema der Linken, war nun fester Bestandteil der freisinnigen Agenda», heisst es in dem 2015 erschienenen Buch «Der Fall FDP». Bis zur konkreten Umsetzung aber war es ein weiter Weg.
Als in den 90er Jahren der Wald immer noch stand und die hartnäckige Wirtschaftskrise die Sorge um die Umwelt verdrängte, liess der ökologische Elan der FDP nach. Sie hatte sich bereits 1986 für Lenkungsabgaben ausgesprochen, doch als 2000 die so genannte Grundnorm zur Abstimmung kam, beschlossen die Delegierten gegen den Willen des Parteivorstands die Nein-Parole.
Dabei war die Grundnorm im Parlament nicht zuletzt unter dem Einfluss der Freisinnigen bewusst wirtschaftsfreundlich gestaltet worden. Die Berner Ständerätin Christine Beerli – eine Vertreterin des Öko-Flügels – war konsterniert: «Wir waren es, die forderten, dass die Erträge aus der Grundnorm der Wirtschaft zu Gute kommen.» Am Ende sagte auch das Stimmvolk Nein.
Zur eigentlichen Zerreissprobe für die FDP wurde ihre Volksinitiative, mit der sie das Verbandsbeschwerderecht einschränken wollte. Sie scheiterte 2008 mit 66 Prozent Nein deutlich. Die Umwelt-Pioniere von einst wirkten desillusioniert, allen voran Elisabeth Kopp, wie sie 2011 dem «Magazin» sagte. «Würde ich heute noch einmal in die Politik einsteigen, dann würde ich nicht mehr der FDP beitreten. Ich würde den Grünliberalen beitreten.»
Seit sich die FDP unter den Präsidenten Fulvio Pelli und Philipp Müller rechts der Mitte positioniert hat, ist ihr einstiges Öko-Image verblasst. Zum Leidwesen nicht weniger Freisinniger. «Kantonal und kommunal gibt es zahlreiche Vorstösse der FDP. Viele engagieren sich für das Thema Umwelt, einfach mit anderen Mitteln als andere Parteien», sagt Urs Egger.
Er ist Stadtzürcher Gemeinderat, Geschäftsführer der kantonalen FDP und als Präsident des MyClimate-Stiftungsrats selber in der Klimapolitik aktiv. Selbstkritisch räumt er ein, dass die FDP die Ökologie «im Politmarketing vernachlässigt hat». Die nationale Partei sieht es ähnlich: «Die FDP wird ihre Umwelt- und Klimapolitik konkretisieren, sie sichtbarer und griffig machen», schreibt sie.
Die Mitglieder dürften ihr in der Befragung den Rücken stärken, doch damit ist es nicht getan. Es müssen Taten folgen. Der Weg ist für die FDP nicht einfach. So zeigen die Smartspider-Profile der Partei und ihrer führenden Exponenten seit Jahren, dass ein ausgebauter Umweltschutz in der Prioritätenliste mit dem Ausbau des Sozialstaats um den letzten Platz wetteifert.
«Wir werden nie die Umweltpartei an sich sein, das wäre nicht glaubwürdig», meint Urs Egger. Man müsse das Klimaproblem mit internationalen Vereinbarungen und neuen von der Wirtschaft entwickelten und angewandten Technologien in den Griff bekommen, «und nicht mit Verboten». Auch Petra Gössi sagte an der Medienkonferenz vom Donnerstag, die FDP setze beim Umweltschutz auf «Innovationen und Unternehmergeist».
Die FDP wäre prädestiniert für eine Umweltpolitik, die auf marktwirtschaftliche Anreize und Massnahmen setzt. Doch sie hat ihre einstige Vorreiterrolle im Laufe der Jahre fahrlässig und mutwillig preisgegeben. Nun scheint sie von der Klimastreik-Bewegung auf dem falschen Fuss erwischt worden zu sein. Ihr Vorstoss im Wahljahr hat deshalb einen Beigeschmack von Panik.
Die einzige wirksame Mitgliederbefragung wäre es, die Wasserfallens & Co. im Herbst konsequent abzuwählen.