«FDP: Fuck de Planet» – solche Plakate hielten Schülerinnen und Schüler bei den Klimademos der vergangenen Wochen in der ganzen Schweiz in die Höhe. Den Freisinnigen wird vorgeworfen, eine klimafeindliche Politik zu betreiben und sich keinen Deut um die Umwelt zu scheren.
Grund dafür: Das Verhalten der FDP-Fraktion bei der Beratung des CO2-Gesetzes im Nationalrat im Dezember 2018. Sie wollte nichts von einem verbindlichen Reduktionsziel für CO2-Emmissionen im Inland wissen und sprach sich gegen eine Flugticket-Abgabe aus.
Parteipräsidentin Petra Gössi ergriff angesichts der Negativschlagzeilen der letzten Wochen in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen vom Samstag die Flucht nach vorne. Sie kündigte eine Befragung der Parteibasis zur Umweltpolitik an und versprach eine Anpassung der Parteilinie: Die FDP biete Hand für ein Reduktionsziel im Inland und man könne auch mit einer Flugticketabgabe leben, wenn damit eine Kompromisslösung möglich werde. Die FDP sei keine klimafeindliche Partei, betonte Gössi: «Der Umweltschutz gehört eigentlich zur DNA des Freisinns.»
Das Verhalten der FDP im Parlament weist jedoch wenig Spuren dieses Erbguts auf. Das zeigt ein Blick auf folgende sieben Abstimmungen:
Im März 2018 befand der Nationalrat über eine Standesinitiative des Kantons Solothurn. Dieser forderte verbindliche Zielvorgaben und konkrete Massnahmen im Kampf gegen Food Waste. In der Schweiz werden heute rund 30 Prozent aller Lebensmittel nicht als solche genutzt. Pro Jahr werden etwa zwei Millionen Tonnen einwandfreier Lebensmittel weggeworfen. Die FDP wollte davon nichts wissen. Alle ihre anwesenden Nationalräte stimmten gegen die Standesinitiative. Auch die SVP war geschlossen dagegen, ebenso eine Mehrheit der CVP-Fraktion.
Bei der Beratung des Voranschlags für den Bundeshaushalt 2018 wollte die Mehrheit der Finanzkommission den Budgetposten «Schutz und Nutzen der Ökosysteme» des Bundesamts für Umwelt (Bafu) um 1,1 Millionen Franken kürzen. Die FDP war mehrheitlich dafür, der Nationalrat lehnte die Kürzung jedoch knapp ab.
Bei der Teilrevision des Mineralölsteuergesetzes entschied sich im September 2015 eine Mehrheit des Nationalrats dafür, mit Schneeraupen ausgestattete Fahrzeuge – Motorschlitten, Quads und Pistenfahrzeuge – von der Mineralölsteuer auszunehmen. FDP-Fraktionschef Beat Walti nannte das Anliegen in der Ratsdebatte zwar einen «ordnungspolitischen Sündenfall». Doch aus Rücksicht auf den Bergtourismus wolle man eine Ausnahme machen. Gemeinsam mit den Stimmen von SVP, CVP und BDP nahm die FDP-Fraktion die Ausnahmeregelung bei zwei Enthaltungen an.
Im Juli 2017 stimmte der Nationalrat über eine Motion des Grünen Balthasar Glättli ab. Er verlangte darin vom Bundesrat, die Verwendung von kleinsten Kunststoffpartikeln – so genanntem Mikroplastik – in Körperpflegeprodukten zu verbieten. Die Ratsmehrheit aus CVP, BDP, SVP und der fast geschlossenen FDP wollten davon nichts wissen.
Im März 2017 debattierte der Nationalrat über die Ratifizierung des Klimaübereinkommens von Paris aus dem Jahr 2015. Die FDP unterstützte zwar grundsätzlich eine Ratifizierung. Allerdings wollte sie nicht, dass sich die Schweiz auf ein nationales Reduktionsziel von im Vergleich zu 1990 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 festlegt. Diesen Wert hatte der Bundesrat beim Uno-Klimasekretariat eingereicht. FDP-Nationalrat Peter Schilliger stellte einen Antrag, diesen Richtwert auf 40 Prozent zu senken. Eine Mehrheit des Nationalrats hielt am 50-Prozent-Reduktionsziel fest, lediglich FDP und SVP wollten eine Änderung. Gemäss heutigem Kenntnisstand wird das 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens selbst dann nicht erreicht, wenn alle Länder ihre festgelegten nationalen Reduktionsziele bis 2030 erreichen.
Bei der Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen im Juni 2018 forderte eine Kommissionsminderheit um den Grünen Louis Schelbert, öffentliche Aufträge nur noch an Anbieter zu vergeben, welche «die im Inland massgeblichen Bestimmungen zum Umweltschutz» einhalten. Die Ratsmehrheit wollte davon nichts wissen. Die FDP-Fraktion lehnte die Motion gemeinsam mit SVP und CVP geschlossen ab.
Obwohl Parteipräsidentin Gössi wie eingangs erwähnt hier nun eine Kehrtwende ins Auge fasst: Bei der Revision des CO2-Gesetzes im Dezember 2018 wollte die FDP nichts von einer Flugticket-Abgabe wissen, welche sich am Treibstoffverbrauch bemessen hätte. Den entsprechenden Antrag wurde von einer knappen Ratsmehrheit aus SVP, FDP und vier CVP-Abweichlern abgelehnt.
Petra Gössi ist nicht die erste Person an der Spitze der FDP, die den Freisinn in der Öffentlichkeit als Partei mit ökologischem Gewissen anpreist. Ihr Vorgänger Philipp Müller sagte im Oktober 2013 gegenüber der SonntagsZeitung: «Die FDP muss ein ökologisches Profil entwickeln». Müller sprach sich damals gegen neue Atomkraftwerke, für eine ökologische Steuerreform und einen sparsamen Einsatz von Energie aus.
Die 2013 medial ausgerufene Ökologieoffensive scheint jedoch in der Politik der FDP keinen Niederschlag gefunden zu haben: In den jährlich von der Umweltallianz (bestehend aus Greenpeace, Pro Natura, VCS, WWF, Alpeninitiative, BirdLife und der Schweizerischen Energie-Stiftung) veröffentlichten Umweltratings lag die FDP seither stets auf dem zweitletzten Rang. Die Ratings werten aus, wie umweltfreundlich die Nationalräte im Parlament abgestimmt haben. Die Parlamentarier der FDP stimmten zwischen 2013 und 2018 je nach Jahr in lediglich 18.5 bis 28 Prozent der relevanten Abstimmungen im Interesse der Umwelt. Laut Umweltallianz ist damit bloss eine Partei noch «umweltfeindlicher» als die FDP: die SVP.