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Angst vor Corona und Einsamkeit: Keiner will mehr ins Altersheim

Angst vor Corona und Einsamkeit: Keiner will mehr ins Altersheim

Seit der Pandemie stehen in 60 Prozent der Schweizer Altersheimen Betten leer. Dafür steigt die Nachfrage bei der Spitex.
15.05.2021, 22:39
Nina Fargahi / ch media
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In einem Urner Altersheim haben sich rund 30 Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Coronavirus angesteckt. (Themenbild)
Die Angst vor dem Coronavirus hält viele Senioren davon ab, ins Altersheim zu gehen.Bild: sda

Angst vor einer Ansteckung, beschränkte Besuchszeiten und Einsamkeit: Viele Betagte schrecken derzeit davor zurück, in ein Heim zu gehen. 60 Prozent der Schweizer Pflegeinstitutionen verzeichnen einen Rückgang der Neueintritte und leere Betten. Das zeigt eine nationale Umfrage im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit. Die Zahlen müssen allerdings noch näher analysiert werden, sagt Markus Leser, Mitglied der Geschäftsleitung beim Heimverband Curaviva.

Gleichzeitig sind im letzten Jahr wegen der Pandemie mehr Heimbewohner gestorben als gewöhnlich. Die Schweiz verzeichnete eine deutliche Übersterblichkeit, vor allem bei den über 65-Jährigen - im Vergleich zu den Vorjahren. Das bestätigt auch Urs Marti, Geschäftsführer des Seniorenzentrums Uzwil SG: «Coronabedingt sind im Jahr 2020 mehr Personen verstorben als im Vorjahr.» Während der zweiten Welle seien keine Neueintritte erfolgt.

Massenentlassungen beim Heim-Personal

Nun stehen in vielen Schweizer Altersheimen die Betten leer. Ein Altersheim im Zürcherischen Horgen hat kürzlich Massenentlassungen ausgesprochen beim Personal. Mathias Knecht, Geschäftsleiter des Pflegezentrums «Amalie Widmer», zu der drei Alterseinrichtungen gehören, sagt:

«In den nächsten sechs oder sieben Monaten werden wir die leeren Betten nicht besetzen können; da wir eine private Stiftung sind, müssen wir nachhaltig wirtschaften.»

Von insgesamt 186 Pflegeplätzen wird ein Drittel momentan nicht belegt; ein Standort wird geschlossen, um die Auslastung in den beiden anderen Standorten zu gewährleisten, so Knecht. Im Seniorenzentrum Uzwil stehen derzeit 24 Betten leer. Während der zweiten Welle seien keine Neueintritte erfolgt, sagt Geschäftsführer Marti.

Gleichzeitig explodiert die Nachfrage bei den Mahlzeitendiensten - denn während der Pandemie gilt der Grundsatz «ambulant statt stationär». Das bestätigt Francesca Heiniger, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Spitex.

Die Nachfrage nach Mahlzeiten beispielsweise bei der Genfer Spitex Imad (Institution de maintien à domicile) sei während der Akutphase der Pandemie um fast 50 Prozent auf insgesamt rund 2400 Mahlzeiten täglich angestiegen. Imad musste den Lieferservice auf das Wochenende ausdehnen. Auch der Mahlzeitendienst von Pro Senectute erfährt in der Pandemie eine erhöhte Nachfrage. «Es zeigt sich eine Tendenz, dass Menschen aufgrund der Pandemieerfahrungen später ins Heim eintreten und dadurch mehr Leistungen bei der Spitex beziehen», sagt Heiniger.

Die meisten Betagten fürchten sich davor, ihre Familienmitglieder nur noch selten sehen zu dürfen und auch mit den anderen Heimbewohnern nur unter strikten Regeln im Austausch sein zu können. Natürlich überlegen es sich Seniorinnen und Senioren noch besser, ins Altersheim zu gehen. Wer es schafft und über die geeigneten Mittel verfügt, lässt sich zu Hause betreuen - zumindest, solange die Pandemie noch nicht vorüber ist.

Coronakrise setzt Altersheimen zu

Die Pandemie setzt den Alters- und Pflegeheimen jedenfalls zu. So heisst es beim Heimverband Curaviva, dass die erste Welle in den Schweizer Alters- und Pflegeheimen ausserhalb der Pflegefinanzierung zu Mehrkosten von rund 160 Millionen Franken geführt habe. «Deutlich über die Hälfte der Heime geben an, dass die Krise sich finanziell negativ auswirke», so Curaviva. Weil der Bund den Heimen bei den Kosten zur Umsetzung der Massnahmen gegen Corona nicht helfen wolle, müssten nun die Kantone ihre Verantwortung wahrnehmen.

Der Heimverband empfiehlt eine kantonale Unterstützung zur Sicherstellung des Pflegeauftrags, wie dies einzelne Kantone bereits beschlossen haben. «Es ist davon auszugehen, dass der Pflegebedarf wieder zunimmt, sobald die Zurückhaltung vor einem Heimeintritt mit fortschreitender Durchimpfung und Eindämmung der Pandemie schwinden wird», so Curaviva. «Es zeichnet sich eine Entspannung ab.» Gemäss einer Weisung des Bundesamtes für Gesundheit wird seit Ende März jede in ein Altersheim eintretende Person geimpft. Dass sich hierzulande viele Pflegende nicht impfen wollen, ist wohl besonders in diesem Arbeitsumfeld problematisch.

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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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3klang
16.05.2021 00:18registriert Juli 2017
Meine Oma musste nach dem Feiern ihres 90igsten trotz Impfung in die Quarantäne. So lockt man wirklich niemand in ein Altersheim.
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Clife
16.05.2021 02:42registriert Juni 2018
Übersterblichkeit ab 65? Und Pensionsalter 65? Man will gleichzeitig das Alter auf 67 erhöhen? Hmm...irgendwie ist mir das etwas suspekt. Ein Leben lang arbeiten für irgendwas
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Snowy
16.05.2021 09:48registriert April 2016
Menschen, die alleine in Altenheimen oder hinter Plexiglas ihre letzten Monate auf dieser Erde verbringen mussten.
Keine Berührung von der Tochter, kein Enkel auf dem Schoss.

So eine Grausamkeit darf sich nie mehr wiederholen.

In Zukunft muss es umgekehrt sein: Wer im greisen Alter unbedingt grösstmögliche Sicherheit haben will, der soll dies gerne tun und seinen Besuch nur noch hinter Plexiglas (oder gar nicht) empfangen.
Jedoch geht ein allgemeines Kontaktverbot für alle unsere Eltern und Grosseltern in ihren letzten Lebensmonaten überhaupt gar nicht!
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