In unmittelbarer Nähe zum Restaurant liegen nicht nur Luxusgeschäfte, Einkaufsmeilen und die Büros zahlreicher Banken, sondern auch wichtige offizielle Gebäude. Der Sitz der australischen Zentralbank (RBA) befindet sich gleich angrenzend zum Lindt-Café.
Der Regierungssitz, das Parlamentsgebäude und der oberste Gerichtshof des Bundesstaates New South Wales sind nur ein Steinwurf entfernt. Zehntausende Menschen strömen täglich durch die nun gesperrte Bahnstation Martin Place in die Stadt.
Die Polizei liess nach der Alarmierung um 9.45 Uhr am Morgen die Zugänge zu den Gebäuden um das Lindt-Café sperren. Dazu gehörten auch die Studios und der Newsroom des TV-Senders Channel Seven, der direkt gegenüber dem Café seine Räumlichkeiten hat.
Von diesem Sender stammten die Bilder der Geiseln, die gezwungen wurden, eine schwarze Flagge mit arabischen Schriftzeichen an den Fenstern des Lindt-Cafés hochzuhalten. Kameraleute nahmen die Bilder auf, bevor bewaffnete Polizisten sie nach draussen begleiteten.
Hunderte, wenn nicht tausende Leute in Gebäuden rund um den Martin Place mussten ihre Arbeitsplätze verlassen. Menschen standen auf der Strasse und telefonierten mit Verwandten und Freunden, wie TV-Bilder zeigen.
Auch das US-Konsulat, das sich ebenfalls beim Martin Place befindet, brachte seine Angestellten in Sicherheit und reduzierte den Betrieb auf das Nötigste. Mehrere Banken schlossen ihre Filialen in der Innenstadt, auch einzelne andere Geschäfte stellten den Betrieb ein.
Die Atomsphäre glich gemäss Journalisten vor Ort der einer Geisterstadt – eine ungewohnte Szenerie zehn Tage vor Weihnachten, wenn normalerweise grosse Menschenmengen ihre Geschenkeinkäufe tätigen.
Während sich die Geiselnahme hinzog, brachte die Polizei laufend Menschen aus den gesperrten Gebäuden in Sicherheit. Teilweise holten die Sicherheitskräfte Leute über Leitern aus ihren Büros. Die Polizei sperrte rund 200 Meter um den Tatort herum ab: Feuerwehr-, Polizei- und Ambulanzwagen säumten die Strassenzüge.
Die Nervosität in der Stadt war gross, die Polizei ging nach eigenen Angaben mehrmals Hinweisen aus der Bevölkerung nach wegen angeblich verdächtigter Gegenstände. Sämtliche Hinweise erwiesen sich aber als Fehlalarm.
Offenbar aufgrund eines solchen Hinweises wurde auch das ikonische Opernhaus am Vormittag evakuiert. Der Platz vor dem ikonischen Gebäude, der täglich ein Anziehungspunkt für Touristen ist, blieb ungewohnt leer.
Später am Nachmittag gab das Opernhaus bekannt, dass mehrere geplante Vorstellungen am Abend nicht stattfinden würden. Das Verkehrssystem solle nicht zusätzlich belastet werden, lautete die Begründung.
Auch beim Darling Harbour, einem weiteren Touristenmagnet, schlenderten gemäss TV-Bildern nicht wie üblich tausende Menschen, sondern nur wenige hunderte dem Quai entlang. Der relativ weit vom Geschehen entfernte Bondi Beach wurde bei schönstem Sommerwetter jedoch gut besucht – die Stimmung war aber merklich gedämpft.
Der Verkehr wurde zeitweise stark behindert, vor allem zur Feierabendzeit. Auf der achtspurigen Hafenbrücke (Harbour Bridge), eine wichtige Verbindung in die Innenstadt, wurde der Verkehr teilweise umgeleitet. Die Behörden riefen die Bevölkerung dazu auf, sich von der Innenstadt fernzuhalten.
Der Flugverkehr funktionierte mit wenigen Verspätungen normal. Die Fluggesellschaften verzichteten aber darauf, wie üblich die Innenstadt zu überfliegen.
Warum der oder die Geiselnehmer das Café des Schweizer Schokoladenherstellers Lindt auswählte – dazu gab es weder von der Polizei noch von den Medien Hinweise. Sicherheitsexperten bezeichneten das Ziel am Fernsehen als «soft target» (weiches Ziel).
Ministerpräsident Tony Abbott rief die australische Bevölkerung in einer ersten Reaktion dazu auf, wie gehabt ihren täglichen Beschäftigungen nachzugehen. In grossen Teilen der Innenstadt Sydney war an diesem Montag aber an Alltag kaum zu denken.