Verfassungsversammlung in Venezuela startet trotz aller Appelle

Verfassungsversammlung in Venezuela startet trotz aller Appelle

04.08.2017, 20:20

Trotz eines Appells von Papst Franziskus hat am Freitag in Venezuela die höchst umstrittene Verfassungsgebende Versammlung ihre Arbeit aufgenommen. Staatschef Nicolás Maduro leitete damit eine Reform der Verfassung ein, die das Land in eine Diktatur verwandeln könnte.

«Nichts und niemand wird die neue Geschichte verhindern. Wir werden siegen», sagte der Sozialist am Freitag zum Start der Versammlung in der Hauptstadt Caracas. Das Militär und die Polizei hatten das Parlamentsgebäude weiträumig abgeriegelt - die Volksvertretung, in der die Opposition eine Mehrheit hat, wird damit de facto entmachtet.

Die 545 Mitglieder der Versammlung waren begleitet von tausenden Anhängern in einem Fussmarsch durch Caracas zum Sitzungsort gelaufen. Auch Maduro nahm am Marsch teil. Die Kundgebungsteilnehmer trugen Porträts von Maduros verstorbenem Vorgänger Hugo Chavez und des venezolanischen Unabhängigkeitshelden Simón Bolívar mit sich.

Zur Präsidentin der Versammlung wurde die international für ihre kompromisslose Haltung bekannte frühere Aussenministerin Delcy Rodríguez gewählt. Die 48-Jährige wurde einstimmig dazu bestimmt, die Arbeit der Mitglieder an einer Reform der Verfassung zu steuern.

Das aus rund 20 Parteien bestehende Oppositionsbündnis «Mesa de la Unidad Democrática» (MUD), welches die Wahlen boykottiert hat und die Versammlung nicht anerkennt, hatte für den späteren Freitag eine Kundgebung angekündigt.

Neue politische Zeitrechnung

Maduro ist ungeachtet der protestierenden Opposition und der internationalen Kritik offensichtlich weiterhin gewillt, eine neue politische Zeitrechnung zu beginnen. Es wird befürchtet, dass die mit allen Vollmachten ausgestattete Versammlung den Weg in eine Diktatur wie in Kuba ebnen könnte.

Die Versammlung soll de facto an die Stelle des bisherigen Parlaments treten und eine neue Verfassung erarbeiten. Die Immunität der bisherigen Abgeordneten könnte aufgehoben werden - Maduro hat wiederholt mit harten Strafen gedroht. Unklar ist, welche Rolle in den nächsten Monaten das Parlament noch haben wird.

Maduro spricht von einer «Versammlung des Friedens», um nach kämpfen mit mehr als 120 Toten wieder Ruhe und Ordnung im Land mit den grössten Ölreserven herzustellen. Der gefallene Ölpreis, Misswirtschaft und Korruption haben das Land ruiniert.

EU, USA und viele Länder Lateinamerikas lehnen das Gremium als «illegal» ab und fordern die Freilassung politischer Gefangener. Überraschend wurde am Freitag der langjährige Bürgermeister der Metropolregion Caracas, Antonio Ledezma, vom Gefängnis wieder in den Hausarrest überstellt.

Erfolglose Generalstaatsanwältin

Vor der Konstituierung des Verfassungsrats hatte Generalstaatsanwältin Luisa Ortega versucht, dessen Einberufung zu stoppen. Sie begründete ihren Antrag mit Vorwürfen, die Wahlbeteiligung sei manipuliert worden. Dies hatte die zuständige Firma Smartmatic unter Verweis auf Serverdaten mitgeteilt.

Die Beteiligung galt als Gradmesser für den Rückhalt für die Pläne Maduros. Die Generalstaatsanwältin hatte mit dem Präsidenten gebrochen und ist zur Gegenspielerin geworden. Sie soll rasch abgesetzt werden.

Das Oppositionsbündnis MUD hatte die Wahl unter anderem deshalb boykottiert, weil Parteivertreter nicht kandidieren durften. Dennoch finden sich viele Mitglieder der Sozialistischen Partei in dem Gremium wieder, sie mussten vorher Partei- oder Regierungsämter niederlegen.

Worte von Papst verhallen ungehört

Wenige Stunden vor der konstituierenden Sitzung rief schliesslich der Papst mit einer ungewöhnlichen Stellungnahme Maduro vergeblich dazu auf, die Versammlung «zu stoppen oder auszusetzen». Sein Wort hat eigentlich viel Gewicht - in dem 30-Millionen-Einwohner-Land sind 95 Prozent katholisch.

Maduro bezeichnet sich als Freund des Papstes und wurde 2016 von ihm im Vatikan empfangen. Angesichts der vielen Toten, Verletzten und Festgenommenen beobachte man die «Radikalisierung und Verschärfung der Krise» in dem Land mit «grosser Sorge», erklärte der Vatikan. (sda/dpa/afp)

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