Mit dem Auslaufen der Amtszeit von Übergangspräsident Jocelerme Privert hat sich die politische Krise in Haiti weiter verschärft. In einer Fernsehansprache bat Privert die Bürger am Mittwochabend (Ortszeit) um Ruhe.
Priverts Mandat endete am Mittwoch, ohne dass ein Nachfolger gefunden worden wäre. «Die Situation ist unter Kontrolle», sagte er. «Die staatlichen Institutionen kommen ihrer Verantwortung in vollem Umfang nach.»
Im vergangenen Herbst waren die Haitianer zur Wahl eines neuen Präsidenten aufgerufen. Die erste Wahlrunde wurde aber wegen eines Streits um massive Wahlfälschung annulliert, die für Dezember geplante Stichwahl wurde abgesagt.
Der bisherige Präsident Michel Martelly war dann Anfang Februar ohne einen gewählten Nachfolger aus dem Amt geschieden. Um ein Machtvakuum zu verhindern, hatten sich Martelly und die Präsidenten beider Parlamentskammern auf Senatspräsidenten Privert als Übergangspräsidenten geeinigt. Dessen 120-tägiges Mandat lief allerdings am Mittwoch aus.
Neue Wahlen sind nun für den 9. Oktober anvisiert. Wer bis dahin an der Spitze des Landes stehen soll, blieb unklar. Der scheidende Übergangspräsident Privert rief das tief zerstrittene Parlament in seiner TV-Ansprache auf, sofort zusammenzutreten und eine Nachfolgeregelung zu treffen.
Eine solche war aber nicht in Sicht. Die amtierenden Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern hatten in einer Erklärung am Mittwoch lediglich festgestellt, dass Priverts Amtszeit abgelaufen sei. Angaben zum weiteren Vorgehen machten sie nicht.
Sorge in den USA
Auch das US-Aussenministerium forderte das haitianische Parlament auf, mit einer Nachfolgeregelung ein Machtvakuum zu verhindern. «Eine Übergangsregelung wird allerdings die dringende Notwendigkeit eines demokratisch gewählten Präsidenten in Haiti nicht ersetzen können», sagte Aussenamtssprecher John Kirby in Washington.
Haiti gilt als ärmstes Land des amerikanischen Kontinents. Die politische Krise wirkt sich auch nachteilig auf den Wiederaufbau Haitis nach dem Erdbeben aus, bei dem 2010 rund 220'000 Menschen getötet wurden. Die Erdbebentoten wurden bislang nicht aus dem Wählerregister gestrichen, was den Manipulationsvorwürfen weitere Nahrung gab. (sda/afp)