Der Schweizer Pädagoge Jürg Jegge hat während seiner Zeit als Lehrer mehrere Schüler jahrelang missbraucht. Dies machte Markus Zangger, eines seiner Opfer, in einem Buch publik.
Für Regula Schwager, Psychotherapeutin bei der Beratungsstelle Castagna, ein «exemplarischer Fall, der real aufzeigt, was bei sexuellen Übergriffen mit Kindern abläuft». Es sei eine typische Konstellation zwischen einer Person, die die Machtposition innehalte, und dem Kind, das von ihr abhängig sei. Dieser Meinung ist auch Monika Egli-Alge, Geschäftsführerin des Forensischen Instituts Ostschweiz: «Als Lehrer ist man eine Autoritätsperson, die Schüler schauen zu ihm auf. Eine gewisse Nähe aus dieser Konstellation ist zwangsläufig, aber das schliesst keine sexuelle Nähe mit ein.»
Jegge äusserte sich am vergangenen Freitag zu den Vorwürfen und gab die Missbrauchsfälle zu. Im nächsten Atemzug relativierte er sie aber auch. Er verwies auf einen anderen Zeitgeist, der damals geherrscht habe. Oder: Er habe den Schülern nur helfen wollen. Für Egli-Alge ein typisches Verhalten von Tätern: «Sie externalisieren – schieben die Schuld anderen zu – und bagatellisieren.» Dabei würden sich Täter häufig im gleichen Masse täuschen wie die Umgebung. «Wahrscheinlich nimmt es Jegge selbst so wahr und das ist viel tragischer.»
Für Schwager sind die Rechtfertigungsversuche von Jegge «lächerlich»: «Ein sexueller Übergriff ist immer ein sexueller Übergriff und schadet dem Kind massiv.» Seine Argumentation sei für Täter typisch; der Versuch, sich zu entschuldigen und glaubhaft zu machen, dass nur ehrbare Motivation dahinter stecke. «Das ist eine reine Ausrede.»
Schwager hat als Psychotherapeutin Erfahrungen mit Opfern gesammelt: «Oft kommt es vor, dass den Kindern die Schuld zugeschoben wird, damit es still bleibt und sich schuldig fühlt – und natürlich nutzbar ist.»
Auch Jegges Rechtfertigung, er habe mit seinen Berührungen innere Blockaden der Kinder lösen wollen, ist für Schwager absurd. Zwar hätten Kinder bereits von Geburt an sexuelle Empfindungen, diese könne aber nicht mit derjenigen Sexualität von Erwachsenen verglichen werden. «Die Konfrontation von Kindern mit der erwachsenen Sexualität ist höchst schädlich, eine absolute Überforderung und ein sexueller Missbrauch», so die Psychotherapeutin. Ein Kind sei aufgrund seines Entwicklungsstandes niemals fähig, einem solchen Akt einvernehmlich zuzustimmen.
Doch warum melden sich die Opfer in vielen Fällen erst Jahre nach den sexuellen Übergriffen zu Wort, will Gilli von seinen Gästen wissen.
Für Egli-Alge das Resultat der Täterstrategie: «Sie machen das Opfer gefügig und manipulieren es so, dass es lange nicht merkt, was passiert.» Dem stimmt auch Schwager zu: «Diese grosse Abhängigkeit ist ein typisches Muster: Der Täter baut immer zuerst eine Beziehung zum Kind auf. So wickelt er das Kind in ein Netz der Abhängigkeit – die Übergriffe beginnen erst, wenn bereits eine Bindung besteht.» Damit sei das Kind bereits gefangen und könne nichts entgegensetzen. «Ein Kind kann dies auch nicht kognitiv nachvollziehen, was passiert oder es als Unrecht einordnen.»
Sehen Sie hier den gesamten Talk zum Fall Jegge: