Ist die WM 2018 ein Exploit, der sich nicht wiederholen lässt? Oder dürfen wir künftig immer wieder mit einem wunderbaren «Hockey-Frühling» rechnen? Die Geschichte sagt uns: Es war ein Exploit. Wir können nicht mit Wiederholungen rechnen. Die Gegenwart sagt uns: Wir dürfen nun jedes Jahr auf eine Wiederholung von 2018 hoffen.
Zur Geschichte: Die Schweizer waren 2013 mit Nationaltrainer Sean Simpson im WM-Final gegen Schweden chancenlos. Es blieb ein Exploit. Anschliessend haben wir gleich beim olympischen Turnier 2014 und bei der WM 2014 die Viertelfinals verpasst und Silberschmied Sean Simpson verabschiedete sich im Pulverdampf des Unfriedens.
2018 ist völlig anders. Die Schweizer nicht auf einmal grösser, schwerer, schneller und talentierter geworden. Aber in den letzten fünf Jahren hat es eine Revolution gegeben. Wir hatten 2018 zum ersten Mal ein «amerikanisches» WM-Team – und wir werden auch künftig «amerikanische» WM-Teams haben.
Bis Kopenhagen 2018 hatten wir ein «europäisches» WM-Team. Der NHL-Verteidiger Roman Josi war zwar 2013 der herausragende Einzelspieler. Aber es war ein «europäisches» Team, geprägt von «europäischen» Spielern. Also von Spielern, die Amerika nie oder noch nicht oder nie ganz erobert hatten. Leistungswillig, stolz, leidenschaftlich. Aber Im Denken letztlich «kleiner».
Seit 2013 ist unser Hockey verändert, globalisiert, amerikanisiert worden wie nie zuvor. Einst war ein Assist von Mark Streit Grund für einen Aufmacher in den Tageszeitungen. Inzwischen spielen so viele Schweizer in Nordamerika, dass nicht einmal mehr Hockey-Freaks alle auswendig aufzuzählen vermögen.
Glückliche Umstände haben nun das beste WM-Team und schliesslich die beste WM aller Zeiten ermöglicht. Die «richtigen» NHL-Organisationen, die Arbeitgeber der besten Schweizer, sind aus den Stanley-Cup-Playoffs ausgeschieden. Und so hatten wir in Kopenhagen zum ersten Mal eine «amerikanische» WM-Mannschaft. Geprägt von dieser neuen «amerikanischen» Generation, die sich anschickt, die Welt zu erobern. Mit einem Selbstvertrauen, das es vor 2013 so im Kollektiv noch nicht gegeben hat. Es ist ein gesundes Selbstbewusstsein einer neuen Generation, die Lust am Sport und hohe Leistungsbereitschaft kombiniert.
Diese coolen Jungs aus Amerika – Sven Andrighetto, Timo Meier, Nino Niederreiter, Roman Josi, Mirco Müller, Kevin Fiala oder Dean Kukan – haben nicht nur mit ihrer Spielkunst das WM-Team besser gemacht. Sie haben auch ein neues, grosses Denken in die Garderobe gebracht und alle besser gemacht. Es ist kein Zufall, dass Captain Raphael Diaz in diesem Umfeld so gut gespielt hat wie noch nie seit seiner Rückkehr aus Amerika.
Kopenhagen ist ein Glücksfall zum richtigen Zeitpunkt. Nach den Irrungen und Wirrungen um die Ablöse von Sean Simpson und die Neubesetzung der nationalen Trainerposition ist mit Patrick Fischer im Herbst 2015 ein «Amerikaner» Nationaltrainer geworden. Er hat das neue, grosse, «amerikanische» Denken in die Mannschaft getragen. Er hat von allem Anfang an so von Medaillen, vom WM-Titel, gesprochen, wie seine Vorgänger von Viertelfinal-Qualifikationen.
Aber Fischer hatte noch nicht die Spieler, die seine Botschaft verstanden. Statt einen Sturmlauf an die Weltspitze sahen wir erst einmal «Pausenplatz-Hockey». Beim olympischen Turnier in Pyeongchang ist Patrick Fischer mit einer «europäischen» Mannschaft gescheitert (die NHL-Profi fehlten).
Er hat seine Lehren aus der missglückten Olympia-Expedition gezogen – aber Fischer ist, zum Glück, sich selber treu geblieben. Nun hatte er in Kopenhagen zum ersten Mal eine «amerikanische» Mannschaft zur Verfügung. Getragen von Spielern, die auch seine Träume träumen. Die auch von seinem Selbstbewusstsein beseelt sind.
Wie gut es Patrick Fischer versteht, mit dieser neuen Generation umzugehen und wie es ihm gelungen ist, dafür zu sorgen, dass jeder vor der Türe zur Nationalmannschafts-Garderobe sein «Ego» zurücklässt, zeigt uns der WM-Final. Simon Moser ist Captain beim SC Bern und Leitwolf. Tristan Scherwey ist zwar SCB-Vorkämpfer, steht in der Hierarchie aber ganz klar unter seinem Captain. Im WM-Final hatte Tristan Scherwey 20:29 Minuten Eiszeit, Simon Moser kam lediglich während 14:37 Minuten zum Zuge. Keine Zufallsdifferenz. Scherwey war im WM-Team wichtiger als Moser, sein «Chef» beim SCB.
Der grandiose WM-Final ist am Pfingstsonntag gespielt worden. Das passt. Kopenhagen hat unserem Hockey ein «Pfingsterlebnis» beschert: Die Erkenntnis, wie gut wir tatsächlich sind. Unser Hockey wird nach der WM 2018 nie mehr sein wie vorher.
Wir werden zwar international weiterhin Zyklen der Euphorie und der Melancholie durchleben. Aber der WM-Final 2018 hat den Zauberlehrling Patrick Fischer in den charismatischen Leitwolf einer neuen Generation verwandelt. Einer Generation, die nicht wieder fünf Jahre auf ein Finale warten muss.
Kommt dazu, dass eine fast vergessen gegangene Entscheidung den Schweizern in die WM-Karten spielt: Die WM beginnt ab nächster Saison fünf Jahre lang eine Woche später (am 10. Mai). So haben wir bessere Aussichten, auch in Zukunft ähnlich viele Spieler aus der NHL für die WM zu bekommen. Denn auch das ist klar und auch das ist eine Lehre aus dem olympischen Debakel: Ohne die NHL-Spieler geht es nicht.
Der WM-Final von 2018 wird Patrick Fischer mehr Glück bringen als Sean Simpson der Final von 2013. Simpson hat zwar den Finalruhm von 2013 in Russland, in Kloten und in Deutschland versilbert. Aber bewegt hat er nichts mehr. Fischer wird hingegen zur Persönlichkeit, die unser Hockey in den nächsten Jahren prägen wird. Als der Mann, der das neue, grosse Denken 2018 erstmals in die Tat umgesetzt hat und dafür sorgt, dass dieses neue Denken weiterhin die neue Philosophie unseres Hockeys bleibt.