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Briefe von der Heimatfront

Raser-Deal: Schweizer Autobahnen als Meditationskurs für gestresste Deutsche

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Raser-Deal: Schweizer Autobahnen als Meditationskurs für gestresste Deutsche

03.09.2014, 11:0713.09.2014, 09:43
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Zwei Nachrichten der letzten Wochen haben die deutsch-schweizerischen Verkehrsbeziehungen stark belastet. Einmal die Wut schwäbischer Bürger über rücksichtslose schweizerische Raser auf deutschen Strassen – ein andermal die drakonischen Strafen, die einen deutschen Tempo-Junkie erwarten, nachdem er die Schweizer Autobahnen einem Belastungstest unterzogen hatte. Der Spass am Rasen ist offenbar in beiden Nationen gleich ausgeprägt – aber noch sind wir weit entfernt von einer gemeinsamen Raserkultur.

Der Schweizer Autofahrer tritt vor allem als Nutzniesser deutscher Kulturleistungen auf. Erst über die Grenze rüberbrettern, dann bei Lidl schön billig den Kofferraum mit Plunder voll kaufen, hinterher ein zünftiges Wettrennen auf der Autobahn ableisten und sich zu Hause auch noch die Mehrwertsteuer auszahlen lassen – das ist gelungener Kulturaustausch, hier wird die deutsche Schnäppchen- und Abgreifmentalität gelungen nachgeahmt und evtl. auch für die Schweizer Kultur fruchtbar gemacht. So weit, so gut.

Allerdings wären umgekehrt die Schweizer aufgerufen, mit deutschen Temposündern entsprechend milde umzugehen. Denkbar wäre eine Raser-Vignette, die es den Verkehrskontrolleuren erlaubt, deutsche Qualitätsfahrer von den ausgebremsten Einheimischen zu unterscheiden und sie, gewissermassen als Botschafter deutscher Tugenden und Motoren des technischen Fortschritts, wohlwollend passieren zu lassen. Das kann aber nur der erste Schritt sein. Die Deutschen müssen ebenfalls für die schweizerische Langsamkeitskultur begeistert werden. Dem deutschen Fimmel für Esoterik und alternativen Heilmethoden folgend, könnte eine Fahrt auf einer Schweizer Autobahn als Meditations- und Selbstfindungskurs vermarktet werden. Lernen Sie neu atmen, spüren Sie die Zeit stillstehen – auf Schweizer Strassen! Britta T. litt seit ihrem neunten Lebensjahr am Reizdarmsyndrom – bis sie in den Züricher Feierabendverkehr geriet. Jetzt lebt sie glücklich und beschwerdefrei auf einer Verkehrsinsel Nähe Oerlikon.

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Auch der Strafvollzug kann zu einem besseren Verständnis der beiden Nationen beitragen. Hier könnten Knastpatenschaften helfen: Schweizerische Raser zahlen in einen Fonds für deutsche Sportsfreunde, die wegen Verkehrsvergehen in der Schweiz einsitzen. Sie helfen mit den Anwalts- und Gerichtskosten, besuchen die Verurteilten im Gefängnis, um ihnen aktuelle Autozeitschriften mitzubringen. Umgekehrt könnten Deutsche ihren Schweizer Kollegen zu Hilfe eilen – und einen Teil ihrer Gefängnisstrafen übernehmen. Solidarisch einsitzen für ein Opfer – bekanntlich sind in der Schweiz die Gefängnisse von den Frühstückspensionen kaum zu unterscheiden (Aufstehen bis 8 Uhr, Streit mit dem Personal, verriegelte Haustüren ab 19 Uhr abends). So bewegen wir uns auf ein solidarisches Morgen zu – und zwar mit Höchstgeschwindigkeit.

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Leo Fischer 
Der ehemalige Chefredaktor vom Satiremagazin «Titanic» schreibt jede Woche einen «Brief von der Heimatfront». Er liefert den deutschen Invasoren in der Schweiz Schlachtpläne, wie sie die deutsche Dominanz in den Universitäten oder dem Gesundheitswesen noch stärker durchsetzen und festigen können. Er wird aber auch seinen Landsleuten mit ordentlich Humor grob aufs Dach hauen. Mehr von Leo Fischer gibt's bei Titanic
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«Welcome to Hollywood!»
Diesen Text schreibe ich nicht in der Schweiz. Ich bin in Los Angeles und versuche, die Welt hier zu verstehen.
Los Angeles stand nie auf meiner Travel Bucket List. Aber Hanna ist mit ihrem neuen Lover verreist, normalerweise gehen wir im Sommer irgendwohin, aber sie hat nur vier Wochen Ferien und die werden jetzt anderweitig gebraucht. Ich habe, wie ihr wisst, mehr als vier Wochen arbeitsfreie Zeit. Wir dürfen das selbstverständlich nicht Ferien nennen, aber sagen wir mal: Ich habe definitiv häufiger als vier Wochen lang die Möglichkeit zu verreisen. Jedenfalls war Hanna raus, ein anderer Kumpel, mit dem ich oft wegfahre, hat gerade ein Kind gekriegt und weil ich Lust hatte, eine Weile ausserhalb der Schweiz zu sein, nahm ich das Angebot eines Freundes an, der vor vier Jahren nach LA gezogen ist und seither immer wieder sagte, ich sollte ihn endlich besuchen kommen.
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