In den 70er Jahren einigten sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf die Formel «Service inbegriffen». Bedeutet, dass die Arbeitgeberin die Serviceleistung mit dem Lohn abgilt und der Gast diese nicht zusätzlich bezahlen muss. Klarheit geschaffen wurde damit aber nie, da das Trinkgeld nur theoretisch, nicht aber praktisch abgeschafft wurde. Mit der immer häufigeren digitalen Überweisung des Trinkgeldes kommt diese langjährige Praxis nun auch immer deutlicher ans Licht.
Für die Bundessteuer hält der Gesetzgeber fest, dass alle Einkünfte aus unselbstständiger Tätigkeit steuerbar sind, so ausdrücklich auch Trinkgelder. Die Kantone betrachten das Trinkgeld in der Regel in ihren Steuergesetzen ebenso als steuerbares Einkommen. In ihrer «Wegleitung zum Ausfüllen des Lohnausweises» relativiert die Schweizerische Steuerkonferenz dies, indem sie nur eine Deklaration verlangt, wenn das Trinkgeld «einen wesentlichen Teil des Lohnes» ausmacht. Ab wann von einem «wesentlichen Teil» auszugehen ist, ist nirgends eindeutig definiert. In der Praxis gilt die Faustregel von 10 %. Je nachdem, welche Servicefachkräfte, Gastronomen oder Verbandspräsidenten man fragt, wird diese Schwelle praktisch nie oder praktisch immer erreicht.
Mehrwertsteuerrechtlich sind Trinkgelder vereinfacht gesagt dann Teil des steuerbaren Entgelts, wenn die Eigentümerin sie als Einnahmen verbucht. Fliesst das Trinkgeld aber an die Mitarbeiter, ist es von der Mehrwertsteuer befreit. Dies unabhängig davon, ob darauf AHV-Beiträge entrichtet werden oder nicht.
AHV - Beiträge werden dann vom Trinkgeld abgezogen, wenn es zum für die AHV-Beitragspflicht massgebenden Lohn gehört. Wie das Bundesamt für Sozialversicherungen in seiner «Wegleitung über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO» schreibt, «kann die Ausgleichskasse davon ausgehen, dass Trinkgelder nur noch in unbedeutendem Ausmass gewährt werden».
Wenn nun aber diese theoretische Regelung und die Praxis auseinanderdriften, kann das den Serviceangestellten teuer zu stehen kommen. Dies musste eine Frau erfahren, welche krankheitsbedingt zu 100 % invalid wurde. Bis vor Bundesgericht versucht sie die Behörden zu überzeugen, dass ihre Personalvorsorgeeinrichtung für die Berechnung des mutmasslich entgangenen Gewinns das Trinkgeld mitberücksichtigen muss. Denn dieses habe über 20 % ihres Verdienstes ausgemacht. Das Bundesgericht winkt ab: Es gebe offiziell keine Trinkgelder mehr. Die Frau könne zudem nicht belegen, dass sie die Trinkgelder tatsächlich eingenommen habe. Schliesslich gehe es nicht an, ein Einkommen nicht zu deklarieren und dieses dann doch als Basis für Leistungen der Sozialversicherungen zu betrachten.
2019 hat das Bundesgericht einen ähnlichen Fall zu behandeln. Der beschwerdeführende Servicemitarbeiter zitiert vor Gericht einen Artikel aus der NZZ, gemäss welchem das Trinkgeld im Gastrogewerbe rund einen Drittel des Lohnes ausmache. Das Bundesgericht aber geht nicht darauf ein, anerkennt diesen Zeitungsartikel nicht als Beweis und bleibt hart. Denn auch hier kann der Beschwerdeführer weder belegen, dass er das Trinkgeld tatsächlich eingenommen, noch, dass er auf das Trinkgeld entsprechende sozialversicherungsrechtliche Beiträge bezahlt hat.