Liebe Joelle
Sie brauchen sich weder entschuldigen noch rechtfertigen, warum Sie mich um Antwort bitten, das tun viele, da sind Sie in bester Gesellschaft. Mit dem schlechten Gewissen übrigens auch, das kennt jede Frau. Es ist tatsächlich ein sehr weibliches Phänomen, das mit dem schlechten Gewissen. Und so stark verbreitet, dass meine Geschäftspartnerin und ich dafür sogar ein Seminar mit dem äusserst sinnigen Namen «Sicher nöd SORRY!» entwickelt haben. Wir Frauen tun sehr viele Dinge nicht, weil wir dann ein schlechtes Gewissen haben. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.
Mich interessiert hier aber weniger Ihr schlechtes Gewissen, sondern die Lage an sich. Sie belügen sich selber, nonstop. Merken Sie das wenigstens? Sie erzählen mir doch tatsächlich, dass das Hierbleiben mit dem Freund, den Sie nonstop um sich haben, die gleich gute Option ist, wie nach Südamerika fahren, Ihre Freundin zu besuchen. Das können Sie vielleicht sich selber erzählen, aber mir nicht.
Sie haben auf der einen Seite eine Situation, die Ihnen ein schlechtes Gewissen macht, weil Sie das Gefühl haben, die Verantwortung zu tragen für Ihren Freund und seine momentane Situation. Auf der anderen Seite haben Sie eine wichtige Freundin, die Sie ein halbes Jahr nicht sehen und die Sie besuchen könnten. Das ist doch beim besten Willen nicht das Gleiche und schon gar keine 50/50-Option!
Wenn es umgekehrt wäre und Ihre Freundin hier wäre und Ihr Freund in Südamerika, dann würden Sie keine Sekunde zögern, ihn für zwei Wochen zu besuchen. Stimmt's? Da sehen Sie es! Sie fühlen sich ihm verpflichtet, das hat mit Option nichts zu tun. Das ist ein Bemuttern, Sie benehmen sich ja wie sein Mami! Das hat mit Beziehung auf Augenhöhe nichts zu tun.
Sie können jetzt schon hier bleiben und ihn in seiner Situation unterstützen. Aber wenn Sie überlegen, woran Sie in fünf oder zehn Jahren zurückdenken werden, dann ist das nichts, was bei Ihnen hängen bleiben wird. Ein Besuch bei Ihrer Freundin aber schon. Sie sind noch sehr jung und haben noch nicht die Erfahrung wie ich mit fast 40 Jahren. Aus dieser Distanz muss ich Ihnen ehrlich sagen, dass das alles Mumpitz ist. Ihr Freund wird es überleben, Sie zwei Wochen nicht zu sehen. An seiner Lage wird sich dadurch nullkommanichts verändern. An Ihrer aber schon! Sie besuchen Ihre Freundin, Sie besuchen ein fernes Land, Sie erleben was, was Ihnen hier entgeht.
Im Leben geht es darum, was man tut, nicht darum, was man bleiben lässt! Wenn Sie hierbleiben, ist das kein Tun, das ist ein Bleibenlassen!
Es sind zwei Wochen, gopf, ich würde es ja verstehen, wenn es zwei Monate wären. Aber so muss ich ehrlich sagen: No-brainer! Flug buchen, Koffer packen und weg mit Ihnen!
Ganz herzlich, Ihre Kafi.