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Liebe Frau Kafi.  Es ist wieder Prüfungsphase und ich sitze nun schon seit einigen Wochen gestresst und überfordert in der Bibliothek 

Kafi bei der Arbeit.
Kafi bei der Arbeit.Bild: Kafi Freitag
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Liebe Frau Kafi.  Es ist wieder Prüfungsphase und ich sitze nun schon seit einigen Wochen gestresst und überfordert in der Bibliothek 

27.05.2015, 12:1328.05.2015, 09:04

Es mag gut sein, dass ich zur Zeit nicht mehr der geduldigste und angenehmste aller Mitmenschen bin. TROTZDEM: Neben mir hat sich eine hingesetzt, die im 7-Sekunden-Takt UNGLAUBLICH laut ihre Nase hochzieht. Ich würde sie am liebsten mit meinem Lernorder erschlagen! Darf ich sie nett fragen, ob sie sich die Nase putzen kann? Ich weiss es nicht. Ich trau mich nicht, aber es nervt wirklich! Wie kann man denn so etwas nicht merken? Bin ich ein schlimmer Mensch, dass es mich so stört? Sonst scheint es niemanden zu stören. Zumindest verstecken sie es alle gut. Soll ich ihr ein Pack Taschentücher hinwerfen? (Hab keine! Klopapier?) Bin verzweifelt und wütend. Ornella, 24 

Kafi Freitag
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Liebe Ornella 

Kürzlich sass ich im Zug neben einer Gruppe von Rekruten, die auf dem Weg in die Kaserne waren. Einer von Ihnen hat sich die Nase hochgezogen, als gäb's kein Morgen. Und ich daneben, ohne Kopfhörer an einem Seminar arbeitend, das sich um die weibliche Unart dreht, sich immer und für alles erst einmal zu entschuldigen. Als ich das Geräusch erst einmal wirklich gehört hatte, war es, als gäbe es daneben kein anderes mehr. Ich habe nur noch dieses Rotzen gehört. Überlaut und sehr dominant. 

So sass ich da und hatte keinerlei Chance, mich umzusetzen. Der Zug war gestopft voll und es lag doch noch eine längere Strecke vor mir. Natürlich hätte ich jetzt was stammeln können wie «Du sorry, Entschuldigung, würd's Dir villicht ächt öppis usmache, wenn d'Nase putze würdsch?» Aber das kam für mich nicht infrage. Schliesslich hatte ich mich nicht bei ihm zu entschuldigen, sondern eher er sich beim Rest der anwesenden Menschheit (was er natürlich nicht tat, weil es unter dem Strich halt eben doch nur eine doofe Marotte ist und kein wirkliches Verbrechen). Darum griff ich beherzt in meine Tasche und warf ein Päckli Taschentücher quer durchs Abteil und dem guten direkt ins Gesicht (kein Witz). Er war sehr baff und ich nicht weniger, hatte ich bis dahin nichts von meiner Treffsicherheit gewusst. Aber er sammelte sich schnell, lachte auf, putzte sich die Nase und warf das Päckli ebenso flott wieder zu mir zurück.

Das war eine sehr gelungene Aktion, das ganze Abteil amüsierte sich und das Thema war gegessen (wenn der Ausdruck «gegessen» in diesem Zusammenhang vielleicht auch etwas unpassend erscheint).

Ich hatte mich etwa 3 Minuten gegraust und dann gehandelt. Und das empfehle ich auch Ihnen. Denn es sagt eigentlich mehr über Sie aus, als über die Dame, wenn Sie sich über einen längeren Zeitraum ärgern, sogar verzweifeln und wütend werden. Diese Emotionen stehen in keinem Verhältnis zu einem Geräusch, das zum Beispiel in Japan an der Tagesordnung steht. Sie ärgern sich nicht nur, nein! Sie denken auch noch später an nichts anderes und formulieren sogar eine Frage dazu. Welch Energieverschwendung! Lieber die Faust im Sack machen und innerlich toben als sich einen anderen Platz suchen oder die Sache angehen? Das darf doch eigentlich nicht wahr sein. Oder doch? Natürlich sind Sie kein schlechter Mensch, wenn Sie sich an etwas stören. Besonders mutig sind Sie aber auch nicht.

Lag es wirklich nur daran, dass Sie gerade kein Taschentuch zur Hand hatten? Hätte das alles geändert und Sie hätten sich getraut, dies in irgendeiner Form zu überreichen? Dann wäre das vielleicht ein guter Grund, von heute an immer eine Packung dabei zu haben!

Wie werden Sie mit Problemen oder Situationen umgehen, die etwas mehr Courage erfordern, als jemanden zu bitten, sich doch endlich die Nase zu putzen? Warum sind Sie nicht dankbar für solche kleine Lernaufgaben, im Wissen darum, dass Ihr Leben Sie noch vor ganz andere stellen wird?

 Ganz herzlich, Ihre Kafi. 

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Kafi Freitag (39) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.



Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie ist verheiratet und Mutter eines zehnjährigen Sohnes.



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