Nicht nur der Klischee-Amerikaner hat Mühe, die Schweiz und Schweden auseinanderzuhalten. Wenn ich hier in Zentralasien mein nicht vorhandenes Russisch auspacke und den Leuten erkläre, dass ich aus «Shveytsariya» komme, dann ist die Chance gross, dass mein Gegenüber den Daumen in die Höhe streckt und mit freudigem, erwartungsvollem Gesichtsausdruck sagt: «Ah, Ibrahimović!»
«No, no», schüttle ich dann den Kopf und erkläre: «Ibrahimović, Ikea, Volvo – Shvetsiya! Roger Federer, Rolex, Shokolad – Shveytsariya!» Die Schweizer Banken erwähne ich bewusst nicht. Trotzdem erinnert mich ab und zu jemand daran, dass die Schweiz auch ein Synonym ist für das Verstecken von Schwarzgeld.
Meist habe ich jedoch das Gefühl, dass meine Herkunft für mein Gegenüber auch nach der Auflistung dieser Begriffe ein Mysterium bleibt. Der Aha-Effekt wirkt nicht selten gespielt, viele können sich unter der Schweiz nicht wirklich etwas vorstellen.
Können wir uns deshalb erhaben fühlen und denken: dumme Ignoranten? Ich gebe zu, dass ich in der Vergangenheit zumindest bei Amerikanern das eine oder andere Mal so geurteilt habe. In den letzten drei Wochen musste ich mir jedoch unweigerlich die Frage stellen: Bin ich, sind wir Europäer, wirklich besser? Wohl kaum, wie die Erfahrungen von Gülsan zeigen.
Die junge Kirgisin hat mehrere Jahre in Deutschland und Österreich studiert, jetzt arbeitet sie in einem Hostel in der kirgisischen Hauptstadt Bishkek. Sie erzählt mir in sehr gutem Deutsch: «Wenn ich in Europa gesagt habe, woher ich komme, habe ich meist nur fragende Blicke geerntet.»
Kirgisistan? Wo ist liegt das schon wieder? Irgendwo in der Nähe von Russland, oder? Etwas darunter vorstellen konnten sich nur die wenigsten. Geschweige denn wussten sie über die Unterschiede zwischen Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgisistan Bescheid. Ist doch sowieso alles das Gleiche, nicht wahr?
Mir ging es bis vor einigen Wochen genau gleich. Als ich vor meiner Abreise meine Reiseroute grob plante, wusste ich lediglich, dass ich nach dem Iran durch diese komischen «-stan»-Staaten trampen werde.
Auch nach drei Wochen in Zentralasien bin ich weit davon entfernt, ein Experte zu sein. Aber zumindest weiss ich jetzt, dass man diese Länder nicht in einen Topf werfen kann. Während zum Beispiel Turkmenistan eine Diktatur der schlimmeren Sorte ist, in der man an jeder Ecke einem Polizisten oder einem Porträt des Präsidenten begegnet, fühle ich mich in Kirgisistan wie in einem freien Land.
Eine lupenrein funktionierende Demokratie ist zwar auch Kirgisistan (noch) nicht, doch ich kann den Leuten zumindest wieder ohne Bedenken sagen, dass ich Journalist bin. Und in der Hauptstadt Bishkek habe ich endlich wieder junge Pärchen gesehen, die unbeschwert und verliebt herumgealbert haben. Zudem war die Bar, die ich diese Woche besucht habe, bis sieben Uhr morgens geöffnet – ein bedeutender Freiheitsindikator.
Doch ist es überhaupt wichtig, dass man Kirgisistan von Turkmenistan unterscheiden kann? Nicht unbedingt. Wenn man vorurteilsfrei auf die Menschen aus diesen Ländern, und aus allen anderen Ländern, zugeht, ist das nicht schlimm. Problematisch wird es erst, wenn man die Ignoranz in Intoleranz mündet – zum Beispiel gegenüber Muslimen.
Wer immer noch denkt, dass alle Muslime Burka oder Sprengstoffgürtel tragende Islamisten sind, dem kann ich nur einen Besuch in Zentralasien empfehlen, am besten in Kirgisistan. Hier sind drei Viertel der Bevölkerung sunnitische Muslime – und trotzdem haben sie es geschafft, einen säkularen Staat aufzubauen, in dem junge Pärchen in der Öffentlichkeit rumknutschen und bis in die frühen Morgenstunden feiern dürfen. Darauf trinke ich!