Games für mehr Demokratie – Sophie Walker will, dass junge Menschen häufiger abstimmen gehen oder sich überhaupt erst für Politik interessieren. Dazu entwickelt sie mit ihrem Team und Freiwilligen aus der ganzen Schweiz Wahlhilfe-Apps: die CH+-App spricht ein Zielpublikum ab 20 Jahren an. Mit Dope Elections setzt sie noch etwas tiefer an und möchte Teenager gleich bei der Volljährigkeit abholen – und zwar jene, die bisher von Politik gar nichts hielten.
Die 25-Jährige hat in den Niederlanden einen Bachelor in Communication and Multimediadesign mit Vertiefung Game Design and Development absolviert. An der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) folgte der Master in Design mit Vertiefung Game Design. Das Projekt CH+ entstand aus ihrer Masterarbeit.
Eingesetzt wurde die CH+-App bereits letztes Jahr bei den Urner Kantonswahlen sowie in Basel Stadt. Bei den Wahlen von Neuenburg und zuletzt in Fribourg war auch Dope Elections mit im Rennen.
Sophie, warum möchtest du, dass mehr junge Leute abstimmen gehen?
Sophie Walker: Weil junge Leute die Zukunft sind. Und weil sie sehr politisch sind, es aber oft nicht schaffen, diese politische Energie auf einen Wahlzettel zu bringen. Sie haben politische Meinungen, aber nutzen das politische System nicht. Das ist paradox! Ich finde das schade und möchte es ändern.
Wie funktionieren deine Apps, vereinfacht gesagt?
Die CH+-App ist wie eine Art Tinder, um die Kandidierenden kennenzulernen. Es geht darum, möglichst nutzerfreundlich und einfach die eigene Wahlliste zusammenzustellen. Zielgruppe sind junge Erwachsene, die zwar politaffin sind, sich aber von den üblichen Wahlhilfen oder Unterlagen zu wenig angesprochen fühlen. Wir arbeiten auch mit Smartvote zusammen. Dope Elections ist ein sogenanntes Race-Royale-Game. Da geht es vor allem um die spielerische Auseinandersetzung, um überhaupt Kandidierende kennenzulernen. Wir haben es mit kleinen, schreienden farbigen Menschlein designt. Wer nicht passt, fliegt raus. Dennoch möchten wir ein positives Demokratiebild vermitteln. Wir geben uns grosse Mühe, damit das Game gutmütig rüberkommt, verspielt und nicht brutal. Bei beiden Apps sind es die Nutzer, die entscheiden, wer ganz oben auf ihre Liste kommt. Die Funktionen der Apps können zudem durch Umfragen mitbestimmt werden.
Und wie kommen die Games bei der Zielgruppe an?
Im Moment interessieren sich vor allem bereits politinteressierte Leute dafür. Bei den nicht Politinteressierten wissen wir, dass der Aufhänger funktioniert. Für eine detaillierte Auswertung fehlt uns noch die grosse Nutzermasse. Wir sind uns aber bewusst, dass solch neue Tools nebst guten auch schlechte Auswirkungen haben könnten. Wir möchten auf keinen Fall destruktive Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Deshalb ist es gut, wenn wir im Moment noch Testende haben, die sich für die Demokratie interessieren. Mir geht es darum, das gute Schweizer Politsystem zu stärken und nicht zu schwächen.
Wo siehst du die Gründe dafür, dass sich die jungen Menschen so wenig für politische Mitwirkung interessieren?
Ich sehe Überforderung sowie Frustration und Enttäuschung über die Probleme dieser Welt. Bei Frust und Enttäuschung zähle ich mich dazu. Wenn man sieht, was Facebook treibt, oder diese Untätigkeit gegenüber der Klimakrise. Man fühlt sich ohnmächtig und machtlos. Gleichzeitig gibt es schier unendliche Möglichkeiten der Ablenkung, wiederum vor allem auf den Sozialen Kanälen. Andere gehen demonstrieren, weil man da die Emotionen direkt herauslassen kann. Da wirkt der Wahlzettel vielleicht wie eine schwache Alternative. Aber er ist es nicht.
Dein Instrument, um Menschen zu gewinnen, ist Gamification. Wie funktioniert das in den Grundzügen?
Ganz vereinfacht gesagt nutzt man Spielmechaniken ausserhalb des Spielkontextes. Sehr vieles läuft über Motivationsfaktoren. Bei Gamedesign geht es stets darum, dass die Nutzer eine Beziehung zum System aufbauen. Games funktionieren deshalb so gut, weil man mit den Inhalten interagieren kann und unmittelbare, direkte Feedbacks erhält. Belohnung spricht einen persönlich an. Alleine dies ist extrem wirkungsvoll und psychologisch entscheidend. In einer komplexen Welt, in der man sich oft machtlos fühlt oder sie nicht mehr versteht, gibt das ein Gegengewicht. Dazu ist mir der Satz meines ehemaligen Professors in Game Design, René Bauer, im Ohr: «Games create meaning in a world that has become meaningless.»
Apps entwickeln ist teuer. Wie finanzierst du deine Projekte?
Das Projekt CH+, zu dem beide Apps gehören, ist fast zu 100 Prozent durch Stiftungen finanziert. Offiziell sind wir an der ZHdK verankert, mit der bis Ende 2022 noch eine Zusammenarbeit besteht. Die ZHdK erledigt die Administration, ich kann auf Mentoren zurückgreifen, die mir wissenschaftliche Kontakte oder Testpersonen vermitteln. Das ist sehr wertvoll. Ab 2023 müssen wir auf eigenen Beinen stehen. Spenden zu generieren ist sehr schwierig, und Daten verkaufen wir keine. Ich habe deshalb das Lernspiel-Startup Mira Lux Creations gegründet, um auf kommerzieller Basis Mittel hereinzuholen. Dort entwickeln wir interaktive Lernsysteme für Kunden aus verschiedensten Bereichen wie Museen, Schulen, aber auch medizinischen Einrichtungen für unterschiedlichste Therapien.
Bisher bist du noch immer im Aufbau mit deinen Apps. Sind die nationalen Wahlen 2023 das Ziel?
Ja, sie sind das erklärte Ziel. Deshalb läuft der Aufbau auch möglichst behutsam. Wir testen in möglichst vielen Kantonen und holen viele Feedbacks ein. Es geht auch darum, von der Vielfalt der Schweiz durch die verschiedenen Kantone zu profitieren, weitere Projektrunden sind in Planung. Die Apps sollen für die nationalen Wahlen möglichst ausgereift und intuitiv sein, sodass sie möglichst vielen Menschen in möglichst vielen Kantonen helfen können. Bis dahin haben wir noch viel Arbeit vor uns. Zum Beispiel haben wir uns bisher kaum um die Kommunikation gekümmert.