Eine gute Chefin verfolgt klare Ziele. Sie handelt professionell und teilt ihr Wissen. Sie unterstützt ihre Mitarbeitenden und gibt motivierendes Feedback. Obendrein denkt sie über das Notwendige hinaus und verliert sich nicht im Mikromanagement.
Diese wenigen Punkte stehen in jedem Fachbuch über Führungskunst. Sie decken sich auch mit Einsichten aus dem Google-Projekt «re:Work», das Aspekte der Arbeitskultur untersucht. Und an Google orientiert man sich ja gern.
Was es zum Chefsein braucht, ist also hinlänglich bekannt. In der Realität indes regiert nicht selten Mittelmass. Viele Chefs kommunizieren schlecht, sie schieben Entscheidungen auf die lange Bank und kümmern sich unzureichend ums Team.
In der Regel steckt nicht schlechter Wille dahinter, auch wenn dies vorkommt, das Problem ist vielmehr unzureichende Eignung oder mangelndes Know-how. Oft rutschen Fachkräfte ohne jede Vorbereitung in eine Führungsposition. Plötzlich müssen sie Personal einstellen, planen, delegieren – ihre Arbeit verändert sich von Grund auf.
«Das passiert leider oft und das ist problematisch», sagt Beat Lutz, erfahrener Recruiter von Führungskräften mit eigener Firma in Bern. «Nur weil man beispielsweise gut verkaufen kann, heisst das nicht, dass man gut führt. Insbesondere bei Männern spielt auch der Ehrgeiz manchmal eine zu grosse Rolle. Viele meinen, eine Karriere sei zwingend mit einer Führungsrolle verbunden.»
Mit dieser Logik im Kopf stolpern sie in eine Führungsfunktion – mit weitreichenden Folgen. Viele fallen später in der Rolle des Chefs durch. Sie hatten sich nie gefragt, ob sie für diese Rolle überhaupt geeignet sind.
Chefwerden verlangt einiges – insbesondere eine sorgfältige Vorbereitung. Man denkt über die persönliche Eignung nach, über die Motivation und die Erwartungen an die neue Rolle. Das Stichwort lautet Selbstreflexion. Gute Chefs, sagt Chantal Büchi, besitzen ein hohes Mass an Selbstreflexion. Sie ist HR-Chefin bei Zühlke, einer weltweit agierenden Firma im Business- und Technologiebereich mit Sitz in Schlieren.
Das eigene Denken, Fühlen und Handeln auf den Prüfstand zu stellen, ist eine Kernkompetenz der erfolgreichen Führungskraft. Wer schon in der Vorbereitung daran scheitert, erkennt vielleicht zumindest: Als Chef tauge ich nicht.
Wem eine Führungsrolle angeboten wird, der tut also gut daran, sich eingehend zu befragen. Diese 7 Fragen helfen dabei:
Eine Führungsrolle muss man wollen. Wer daran zweifelt oder nicht so recht weiss, winkt besser ab. Ohne diesen Willen – der nicht mit Ehrgeiz verwechselt werden darf – geht es nicht. Was man mit der Führungsrolle gewinnt, aber auch verliert, darüber sollte Klarheit herrschen.
Die Antwort darauf muss ein kristallklares Ja sein. Mit harten Entscheidungen macht man sich selten nur Freunde. Manche werden toben, und das muss man aushalten. Und: Jede Entscheidung muss gute Gründe haben und nachvollziehbar sein. Bauch und Kopf müssen zusammenarbeiten.
Diese Frage knüpft an die zweite an. Entscheiden heisst Verantwortung zu übernehmen, jederzeit und in jedem Fall. Die Verantwortung abschieben, aussitzen oder wegreden, das geht nicht. Manche Menschen treffen gern Entscheidungen, andere nicht. Gute Chefs gehören zu Ersteren.
«Ein positives Menschenbild, echtes Interesse an der Weiterentwicklung von Mitarbeitenden und Empathie, das sind Grundvoraussetzungen für die Chefrolle», sagt Chantal Büchi. «Auch Vertrauen muss man anderen entgegenbringen können.» Man muss nicht alle Menschen mögen, einen förderlichen Umgang mit ihnen finden, das indessen sollte eine Chefin hinkriegen.
Wer nicht informiert, präsentiert und erklärt, ist als Chef auf verlorenem Posten. Gut zuzuhören ist genauso wichtig wie die richtigen Fragen zu stellen. Der Mensch kann nicht nicht kommunizieren, für Chefs gilt das im Besonderen. Und: Vor allem Unangenehmes muss man ansprechen können.
Professionelles Handeln heisst auch: das eigene Verhalten in Schach halten. Herumbrüllen, poltern und, weit schlimmer, bewusst verletzen – einer Chefin von Format liegen solche Handlungsweisen fern. Man muss nicht Weltmeisterin in gutem Benehmen sein, aber über die Basics sollte man verfügen.
Niemand ist zum Topchef geboren. Das Handwerk des Führens könne man durchaus lernen, meint Beat Lutz, Weiterbildungsmöglichkeiten gebe es genug. Chantal Büchi pflichtet dem bei: «Lernen via Erfahrung, Feedback und Reflexion scheint mir am wirkungsvollsten zu sein. Führung bedeutet, ein bestimmtes Mindset zu haben.» Und kontinuierliches Lernen ist Bestandteil dieses Mindsets.
Das heisst: Wer eher ängstlich ist, über knappe Energieressourcen verfügt, Verantwortung lieber anderen überlässt oder Konflikte scheut, sollte den Chefsessel meiden. Sich das einzugestehen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern beweist Weitsicht und ehrliche Selbsteinschätzung.
«Die Neigung, andere übermässig zu bevormunden oder immer den eigenen Willen durchzusetzen, ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das hinderlich für eine Führungsaufgabe ist», ergänzt Chantal Büchi. «Auch mangelnde Offenheit gegenüber Kritik, narzisstische Verhaltensweisen oder eine passiv-aggressive Grundhaltung wirken sich nachteilig aus.»
Der Typus Besserwisser, Gefallsüchtiger oder sturer Kopf sollte also aufs Führen verzichten. Auch wer eher misstrauisch ist oder jedes Verdienst ausschliesslich sich selbst zuschanzt, sollte Abstand nehmen vom Chefposten. Das mögen Betroffene natürlich anders sehen, aber besser wäre es – besser fürs Arbeitsklima, besser für die Mitarbeitenden.
Wer erkennt, dass Chefsein nicht seine Sache ist, für den führt der weitere Berufsweg keineswegs in eine Sackgasse. «Alternativen zur Führungskarriere nehmen zu und Laufbahnen werden fluider», betont Chantal Büchi. Das sei zwar noch stark abhängig vom Unternehmen, aber die Entwicklung gehe in diese Richtung.
Gleichzeitig wird oft vergessen, dass Chefs nur dann gute Arbeit liefern, wenn sie von exzellenten Fachkräften unterstützt werden. Eine Fach- oder Expertenkarriere ist eine gute Wahl für alle, die sich gegen eine Führungsrolle entscheiden. «In der IT, Forschung oder Beratung und generell in Grossfirmen sind solche Karrierewege gezielt entwickelt worden», weiss Beat Lutz.
Fassen wir zusammen: Nicht alle sollten Chef werden. Wer es werden möchte, sollte sich fragen, ob er überhaupt dazu taugt. Stellt sich heraus, er tut es nicht, kann eine Fach- oder Expertenkarriere den idealen Entwicklungsweg darstellen. Dort, wo viele Chef sein wollen, bleibt mehr zu tun für die, die ihr Handwerk famos verrichten möchten.
Fachkräfte die gut verdienen, haben meist geringes Interesse Chef zu sein.