Heute ist es soweit: Schottland stimmt über seine Unabhängigkeit von Grossbritannien ab.
Ich, die ich sehr wenig Ahnung von britischer Politik habe, habe die letzte Woche in Edinburgh verbracht und lasst mich euch sagen: Die Diskussion über die Unabhängigkeit ist allgegenwärtig. Zwar verdreht jeder, den man nach seiner Einstellung fragt, die Augen und schreit einem «ich kann’s nicht mehr hören» entgegen, geigt einem dann aber umgehend seine Meinung in einer Ausführlichkeit, die Stunden in Anspruch nehmen kann. Beim Whisky im Pub, im Bus, beim Einkaufen: «The Referendum» ist Thema Nummer eins.
Ja, die Schotten sind frustriert, ungeduldig und... unentschlossen.
Dabei würde man, wenn man sich die Geschichte dieses kleinen, feinen Landes anschaut, denken, die Entscheidung müsste mehr als auf der Hand liegen. Der Kampf der Schotten um die Unabhängigkeit vom eher ungeliebten Empire dauert schon so lange, dass die schottischen Unabhängigkeitskriege (1296-1328 und 1332-1357) gar eine eigene Wikipediaseite haben.
In der Bevölkerung jedoch habe ich bisher keine klare Tendenz feststellen können. Geht es um rein wirtschaftliche Aspekte, tendieren die Leute zu einem Nein.
Der Aufbau eines eigenen Staates kostet und davor fürchtet man sich. Das war denn auch in den letzten Wochen die Hauptargumentation der Nein-Fraktion.
Ausserdem scheint es mir, als bestünde kein wirklicher Plan, was denn nach einem Ja tatsächlich passieren würde, und auch das wird sehr offen bemängelt. Ich verstehe, wenn da die Bevölkerung sagt: Wieso sollte ich eine Firma eröffnen, ohne einen konkreten Business-Plan gesehen zu haben?
Grundsätzlich aber scheinen die Argumente für ein Nein mehr auf Unklarheiten zu beruhen als auf tatsächlichen Fakten (Hat die Unabhängigkeit tatsächlich eine Zukunft? Bringt sie mir persönlich tatsächlich etwas? Was passiert mit dem Sterling – gibt es eine Währungsunion? Was macht man bezüglich EU?).
Der Status Quo als Bestandteil von Grossbritannien wäre die wirtschaftlich stabilere und sicherere Variante.
Aus politischer Perspektive jedoch konnte ich eine klare Ja-Tendenz erkennen.
Dies hauptsächlich deshalb, weil die konservative Regierung in London dem eher liberalen Schottland nicht gerecht wird. Das schottische Parlament besteht seit einem überragenden Wahlsieg 2011 hauptsächlich aus Mitgliedern der SNP, der Scottish National Party, welcher auch der First Minister/Ministerpräsident Schottlands, Alex Salmond, angehört.
Die Schotten sind der Regierung in Westminster gegenüber generell sehr misstrauisch – das habe ich im Alltag und in den Gesprächen hier immer wieder bewiesen bekommen. Guardian-Journalist George Monriot spricht bei der Regierung von einer «hereditary elite, beholden to a corrupt financial centre» und bezeichnet ein Nein seitens der Schotten gar als «Akt unglaublicher Selbstschädigung». Monriot stellt in seiner Berichterstattung zum Thema eine spannende Frage: Was, wenn wir das Szenario umdrehen würden? Was, wenn wir eine unabhängige Nation fragen würden, ob sie sich einer grösseren Union unterordnen will? Als deren Militärbasis (mit Nuklear-Ubooten) dienen müsste? Sie hätte zwar eine eigene Regierung, die Kernthemen würden aber der Regierung der Union überlassen, in welcher sie nur mindervertreten ist ... Nur eine Nation mit komplett ruinierter Wirtschaft, Kriegsbedrohung oder Hungersnot würde sich auf so etwas einlassen, sagt Monriot. Warum also sollte man sich aus einer solchen Unterordnung nicht befreien wollen, wenn man die Chance dazu bekommt?
Ein weiteres, wichtiges Argument für die Unabhängigkeit sind die Öl-Ressourcen in Schottland, die noch rund 40 Jahre anhalten werden. Diese generieren einen guten Batzen Geld, welcher im Moment noch nach Westminster fliesst, den die Schotten aber gerne für sich beanspruchen würden. Unser Öl, unser Zaster.
Des Weiteren würde die Schaffung eines unabhängigen Schottland Jobs kreieren – und auch dazu sagen die Schotten nicht nein (obwohl sich die Arbeitslosenquote mit 6.4% im Moment auf einem absoluten Tief befindet).
Es lässt sich nicht bestreiten, dass eine Unabhängigkeit Unsicherheiten und schwierige Zeiten in den nächsten Jahren mit sich bringen würde. Die Royal Bank of Scotland z.B. hat angedroht, bei einem Ja ihren Firmensitz nach England zu verlegen – das macht Angst bei den Mitarbeitern. Ein Nein wäre durchaus verständlich.
Und trotzdem spürt man bei vielen Schotten diese Tage dieses kämpferische, freiheitsliebende Feuer, das seit Jahrhunderten Teil ihres Nationalverständnisses ist. Ideologie spielt eine grosse Rolle bei dieser Abstimmung, was ich persönlich für eine grossartige Sache halte.
Was soll es also sein? Der sichere Status Quo? Oder unsichere, vielleicht etwas unbequeme, aber lange herbeigesehnte Unabhängigkeit?
Würde man mich nach einer Prognose fragen, ich würde auf ein knappes Nein tippen.
Eines ist jedoch klar: Morgen früh wird nur die Hälfte der Schotten mit dem Abstimmungsergebnis zufrieden sein. Und ich persönlich frage mich: Kann das eine stabile Grundlage für eine derart tiefgreifende Entscheidung sein?