Die SVP hat’s mal wieder getan. Wie ein kleines Kind, das Aufmerksamkeit sucht, indem es einen Gaggi an die Wand malt (nicht zu verwechseln mit SEINEN Gaggi an die Wand malt), hat sie mit ihren Apfelplakaten für Furore gesorgt. Äusserst erfolgreich – was denn die Aufmerksamkeit angeht. Es ergoss sich die zu erwartende Kritik und dann die Kritik an der Kritik und dann «Warum gibt man sowas überhaupt eine Plattform??!!1!!», etc., etc., blabla.
Schwarze und weisse Schöfli, schlitzende Kosovaren, Linke und Nette. Same shit, different day.
Ich kann’s ja nachvollziehen. Mit dem durch die – gemäss gewissen Parteiexponenten inexistente – Klimaerwärmung verursachten Gletscherwasser schwimmen der Partei die Felle davon. Da bleibt neben dem Pochen auf «das Asylproblem» halt nicht viel ausser «DI ANDERE SIND IMFALL ALLI NA VILL DOOFER ALS MIR», um die letzten Hardcore-Fans wenigstens bis zu den Wahlen bei Laune zu halten.
Auch hier: Ich denke, das funktioniert. Bei denen, die noch übrig sind, zumindest. Spannend ist an den Plakaten nebst der wunderschönen (not) Bildgestaltung einmal mehr die Sprache. «Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?»
SOLLEN SIE? SOLLEN SIIIIIE?! NEIN, BHÜET MI DE HÜEHNERVOGEL. Beziehungsweise: BHÜET OIS DÄ ZOTTEL! Gschnäll SVP wähle!
Dass die SVP als Rechtspartei etwas gegen Linke hat, kann ich ja noch nachvollziehen, das liegt ja quasi in der Natur der Sache. Und gegen gewisse Linke sowieso, denn links ist bei weitem nicht immer gleich nett und da gibt’s ganz viele am äussersten Rand, die mir genauso gegen den Zeiger gehen wie ihre Kumpanen am anderen Ende des Spektrums.
Aber gegen Nette? Wann ist Nettsein eigentlich so hassenswert geworden? «Die kleine Schwester von Scheisse» wurde es einst betitelt.
Finden wir tatsächlich nur noch schön, was kaputt ist? Oder ist diese ganze Rhetorik auch einfach eine Strategie, uns das Leben einfacher zu machen, weil wir dann hassen und hetzen und beleidigen können – und schuld sind die anderen, die Weichen, die Netten?
Wo bleibt die Rückkehr zu traditionellen Werten, wenn’s um Anstand und Rücksichtnahme geht? Darauf berufen tut man sich ja schon immer noch sehr gerne – wenn’s einem denn in den Kram passt. Wenn «der Ausländer» am Bahnhof einen Schweizer anpöbelt, zum Beispiel, dann «fehlt’s ihnen halt an Kinderstube, diesen rückständigen Wilden», aber wehe, man darf dem Schokokuss nicht «M*****kopf» sagen, du – FÜRIO!
«MAN DARF HEUTE ÜBERHAUPT NICHTS MEHR SAGEN!!!», kommt denn auch gerne von Menschen, die ständig immer allen alles sagen, inklusive, dass man heute überhaupt nichts mehr sagen darf. Polter-di-Polter.
Man kann nun natürlich sagen, ich sei nicht neutral. Und das wäre absolut korrekt. Von den Medien wird oft mehr Neutralität verlangt, aber einerseits ist das hier eine Kolumne, die per Definition nicht den Anspruch hat, neutral zu sein; und andererseits kommt mir bei dieser Diskussion stets eine Aussage der ehemaligen internationalen CNN-Chefkorrespondentin Christiane Amanpour in den Sinn, die einst sagte: «I believe in being truthful, not neutral», dt.: «Ich glaube an Wahrheitstreue, nicht Neutralität».
Allen Seiten mit ihren Ansichten gleich viel Gewicht zu geben, sei ein Bias, also eine Verzerrung, in sich, vor allem bei Extremen. Sie wünsche sich eine Rückkehr zu faktenbasiertem Journalismus und eine «Abkehr von der Banalisierung der Wahrheit».
Es geht mir darum, sich ab und zu bewusst zu werden, wie sehr in letzter Zeit Begriffe zu verschwimmen beginnen und wie Grenzen in Sachen Hass verwischen, in den Köpfen, dann in den Worten und dann in Form von Taten hinaus in die Welt.
Ich erinnere mich an einen sehr lesenswerten Leitartikel in der NZZ im Nachgang zum Anschlag in Christchurch im März (ich kann den Artikel selbst leider nicht mehr finden, sonst hätte ich ihn verlinkt), der sehr viele gute Analysen unterschiedlicher Ursachen und Dynamiken lieferte.
In einem Punkt war ich jedoch mit dem/r Autor/-in uneinig: Damit, dass solche Geschehnisse nichts mit Menschen wie Donald Trump zu tun hätten. Das geht ein wenig in die Richtung von: «Nicht Waffen töten Menschen, Menschen töten Menschen» – ja, das mag rein technisch stimmen, aber es ist doch reichlich naiv, zu behaupten, Waffen würden das Töten nicht massiv vereinfachen.
Natürlich ist Trump selbst nicht derjenige, der bei all diesen rassistisch motivierten Terroranschlägen den Abzug gedrückt hat, nur wissen wir ja auch alle, dass Zündschnüre nicht unbedingt da anfangen, wo Dinge in die Luft gehen. Und dass es nicht immer gleich eine Handgranate sein muss, sondern dass der stete Funke auch irgendwann zur Explosion führen kann.
Nochmal: Ich spreche die Täter in keinster Form von ihrer Verantwortung frei. Ich sage nur, dass Menschen wie Trump gerne da und dort Briefchen mit Streichhölzern deponieren und sagen: «Lueg mal, wie schön das flackeret».
Und wir wissen ja seit Mani Matter, was passiert, wenn man «es Zündhölzli aazündt».
Ich glaube an die Macht der Worte und dass sie vermögen, schleichend Grenzen verschwimmen und ultimativ verschwinden zu lassen. Grenzen von dem, was man denken, was man sagen und dann auch was man tun kann/darf/soll.
Diese Dynamik hat in Donald Trump eine orangene Galionsfigur gefunden – in einem Mann, der nach #metoo fand, dies seien gerade «für junge Männer furchteinflössende Zeiten», und der einen KKK-Aufmarsch als «some very fine people» bezeichnete. Würg.
Aber man muss für moderatere Ausprägungen dieser seltsamen Banalisierungs- und Umkehrrhetorik nicht übers Meer fahren, sondern kann sich die Plakatwand um die Ecke anschauen.
Hier machen nun also die Netten die Schweiz kaputt. Aber was bedeutet «die Schweiz» überhaupt? Geht es um Werte? Geht es um Wohlstand? Geht es um Sicherheit? Sind wir tatsächlich im Begriff, unsere Identität ein paar trümmligen Würmern zu überlassen, die sie von innen auffressen, aushöhlen und verrotten lassen wollen?
Hinterfragen wir gar nicht mehr, was hier überhaupt gesagt und gemeint wurde, weil wir viel zu fest damit beschäftigt sind, uns über das Plakat aufzuregen (damit meine ich auch meine Wenigkeit, siehe oben, mea culpa)? Glückwunsch zum gelungenen Ablenkungsmanöver, also?
Die BDP startete dieses Jahr mit einem gewagten Slogan in den Wahlkampf: «Langweilig, aber gut.» Mir ist das, obwohl ich nicht BDP wähle, sehr sympathisch, denn es geht als Grundsatz in eine Richtung, in der ich mir Politik (rechts und links!) wieder mehr wünschen würde: Ohne Polemik, ohne Populismus, ohne Ego-Shows und Aufwiegeln. Weniger «Game of Thrones», mehr «Game of Was machemer jetz?». Drum hier ein High 5 an die BDP zu ihrem «Reclaim the Boredom»!
Und eine kleine Aufforderung zu «Reclaim the Niceness»!
Ich mag nette Menschen, ich mag rücksichtsvolle Menschen, ich mag reflektierte Menschen (wieder: an allen Enden des Politspektrums). Und ich will mir durch diese seltsame Umdreh-Rhetorik auch nicht das Gegenteil einreden lassen.
Bin ich nun «eine Nette»? Bin ich die naive «kleine Schwester von Scheisse»?
Vielleicht. Aber ich bin immer noch lieber die kleine Schwester als der grosse Bruder himself.
Schön gesagt und auf den Punkt!
Eine wohltuende Abwechslung für jedesmal, wenn wieder eine politische Diskussion nur mit einem SVP -Polteri und einem Kampfjuso - Bolschewiki stattfindet. Isch halt chli meh Äktschn und so, hä...