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Ukraine-Krieg: Lügen-Kampagne bei X zeigt, wie verzweifelt Russland ist

In this photo illustration, X logo is displayed on a smartphone with Elon musk profile in the background
Einmal mehr spielt Elon Musks Social-Media-Plattform X bei der Verbreitung von russischer Desinformation eine zentrale Rolle.Bild: imago-images.de
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Diese Schmieren-Kampagne bei X zeigt, wie verzweifelt Russland gerade ist

Mit haltlosen Drogenvorwürfen versucht Russland, die jüngste Solidaritätsreise europäischer Spitzenpolitiker in die Ukraine zu diskreditieren. Die Kampagne entlarvt sich bei näherem Hinsehen selbst.
12.05.2025, 22:0212.05.2025, 22:02
Anna Von Stefenelli / watson.de
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Dieser Besuch in Kiew dürfte für den russischen Machthaber Wladimir Putin ein Dorn im Auge sein: Der deutsche Kanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer reisten gemeinsam in die ukrainische Hauptstadt – ein symbolträchtiger Akt westlicher Solidarität.

Von Polen aus stiegen sie in einen Sonderzug, um über Nacht in die ukrainische Hauptstadt zu reisen. Auch der polnische Regierungschef Donald Tusk war in die Ukraine gereist. In einer gemeinsamen Erklärung unterstützen die vier Europäer die Forderungen von US-Präsident Donald Trump nach einem Friedensabkommen und fordern Russland auf, «die Bemühungen um einen dauerhaften Frieden nicht länger zu behindern».

Bilder und Videoaufnahmen aus dem Zugabteil zeigen Merz, Macron und Starmer in seltener informeller Stimmung.

Kurz darauf startet Moskau eine gezielte Desinformationskampagne. Russische Regierungsvertreter verbreiten öffentlich haltlose Anschuldigungen über angeblichen Drogenkonsum der Staatschefs. Die Vorwürfe stützen sich auf aus dem Kontext gerissene Szenen und werden auf Social Media weiterverbreitet – von russischen Kanälen ebenso wie von rechten Influencern.

«Die scheinen echt verzweifelt zu sein, wenn sie schon auf der Ebene Trash-Propaganda betreiben.»
Osteuropa-Expertin Annette Werberger

Die Desinformations-Kampagne

Russland verbreitet falsche Koks-Vorwürfe gegen Merz und Macron

Die Falschinformationen kommen offenbar sogar von höchster Stelle. Am Sonntag veröffentlichte Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Aussenministeriums, auf Telegram einen Ausschnitt aus dem Video der Kiew-Reise. Darin behauptete sie, Merz, Macron und Starmer seien «high» gewesen. Wörtlich schrieb sie: «Offenbar so sehr, dass sie vergessen haben, ihr Werkzeug (Beutel und Löffel) wegzulegen.»

Zusätzlich warf Sacharowa dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj «langjährigen Kokainkonsum» vor. Europa werde inzwischen von «abhängigen Zeitarbeitern» regiert, lautete ihre Wortwahl.

Wenig später verbreitete auch Kirill Dmitrijew, Putins Sondergesandter für Ukraine-Gespräche, das Video. Auf X schrieb er: «Handelt es sich bei diesem Filmmaterial um künstliche Intelligenz oder um reale Aufnahmen?» Und weiter: «Handelt es sich um Zucker oder etwas ganz anderes?»

Mit einem letzten Satz – «Falls es echt ist, erklärt es viele aktuelle Ideen und Vorschläge» – lieferte Dmitrijew den gewünschten Spin: Misstrauen und Spott gegenüber westlichen Regierungschefs.

Desinformations-Kampagne Russlands (12. Mai 2025)
Auf Elon Musk Social-Media-Plattform X wurde den tausendfach verbreiteten Lügen widersprochen.Screenshot: x.com

Der Faktencheck

Was auf den Fotos wirklich zu sehen ist

Auf den Videoaufnahmen ist zu sehen, wie die Staatschefs Gegenstände wegräumen. Während prorussische Accounts und rechte US-Influencer die Aufnahmen rasch mit dem Drogen-Vorwurf verbreiteten, liefern offizielle Pressefotos eine eindeutige Auflösung: Macron hebt ein zerknülltes Taschentuch vom Tisch.

Hier lässt Macron das zerknüllte Papiertaschentuch verschwinden:

On Telegram, Zakharova accused France, UK, and Germany’s leaders of drug use: “A Frenchman, an Englishman, and a German got on a train and got high.” In her view, a video shows Macron and Merz allegedly hiding cocaine and a pipe while clearing a table.

[image or embed]

— WarTranslated (Dmitri) (@wartranslated.bsky.social) 11. Mai 2025 um 17:39

Der vor Merz liegende, längliche Gegenstand ist vermutlich ein Cocktailspiess oder ein Rührstab – er wird später von ihm mit der Hand abgedeckt. Hinweise auf «Kokainbesteck», wie von Sacharowa suggeriert, gibt es nicht.

Naheliegend ist vielmehr, dass die Politiker kleinere Gegenstände und Müll vom Tisch räumten, bevor die Journalistinnen und Journalisten den Raum betraten – ein plausibles Verhalten vor offiziellen Aufnahmen.

Die Analyse

«Trash-Propaganda» als Zeichen der Schwäche

Der Zeitpunkt der russischen Desinformations-Kampagne ist auffällig. Nur wenige Tage zuvor hatten die Ukraine, EU-Staaten und die USA Moskau ein 30-tägiges Waffenstillstands-Ultimatum vorgelegt – ohne Vorbedingungen. Der Beginn: Montag.

Kremlchef Wladimir Putin lehnte die Forderung ab, liess stattdessen erneut Luftangriffe auf die Ukraine fliegen – und flankierte dies mit propagandistischen Attacken gegen westliche Regierungen.

Die Art der Vorwürfe passe zu einer zunehmenden Verrohung russischer Rhetorik, meint Osteuropa-Expertin Annette Werberger von der Europa-Universität Viadrina. Sie ordnet die Aktion als Zeichen strategischer Schwäche ein: «Die scheinen echt verzweifelt zu sein, wenn sie schon auf der Ebene Trash-Propaganda betreiben», kommentierte sie auf X.

Die französische Regierung liess bei X den perfekten Konter folgen:

Tweet der französischen Regierung zur russischen Desinformations-Kampagne.
Das Meme wurde über das X-Profil des Élysée-Palasts veröffentlicht.Screenshot: x.com
«Wenn die europäische Einheit unbequem wird, geht die Desinformation so weit, dass ein einfaches Taschentuch als Drogen dargestellt wird.

Diese Falschmeldungen werden von Frankreichs Feinden im In- und Ausland verbreitet. Wir müssen wachsam bleiben und uns vor Manipulationen schützen.»
quelle: x.com

Auch aus Kiew kam eine Reaktion. Das Zentrum für strategische Kommunikation, Spravdi, das sich der Analyse und Bekämpfung russischer Desinformation widmet, bezeichnete die Kampagne als «eine der lächerlichsten Produktionen aus der Unsinnsfabrik des Kremls».

Die Behörde warnte auch vor der internationalen Verbreitung: Rechte Influencer in den USA hätten das Narrativ schnell übernommen und weiterverbreitet – mit Reichweiten in Millionenhöhe.

Auch in Deutschland machten prorussische Telegram-Kanäle und X-Accounts die Falschbehauptungen publik. Max Mordhorst, ehemaliger FDP-Bundestagsabgeordneter, reagierte auf X mit scharfer Kritik:

«Manchmal ist Demokratie schwer erträglich, wenn man bedenkt, dass es erwachsene Leute in Deutschland gibt, die wahlberechtigt sind und ernsthaft glauben, Macron würde in einem Video ein Tütchen Koks verstecken.»

Die Anschuldigungen gegen Merz, Macron und Starmer reihen sich ein in eine Serie zunehmend aggressiver Rhetorik aus Moskau. Bereits zuvor hatte Ex-Präsident Dmitri Medwedew westliche Friedensinitiativen verspottet, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde von Aussenminister Lawrow verunglimpft und Merz wurde nach seiner Wahl von einem Duma-Abgeordneten beschuldigt, ein «Viertes Reich» errichten zu wollen.

Am Donnerstag könnte Bewegung in die Ukraine-Verhandlungen kommen: Auf Druck der Vereinigten Staaten und Europa hat der russische Präsident die Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche in der Türkei ab Donnerstag vorgeschlagen, allerdings ohne vorhergehende Waffenruhe. Selenskyj äusserte die Hoffnung, «dass die Russen keine Ausreden suchen». Er werde persönlich am Donnerstag auf Putin in der Türkei warten.

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82 Kommentare
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Korrektorat
12.05.2025 23:17registriert Januar 2025
Auch hier in der angeblich gebildeten Schweiz haben wir genügend Knallköpfe die so etwas glauben.
Ironischerweise sind es genau diese Leute, die ohne zu denken/hinterfragen Propaganda weiterverbreiten, die ständig kritisches Denken fordern (und offensichtlich selber daran kollosal scheitern).
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olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario
12.05.2025 23:23registriert Juni 2017
Wer hier Koks sieht, hat entweder nie gekokst oder zuviel.
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Agramantula
12.05.2025 22:55registriert Februar 2022
Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass Putin in die Türkei reist um Selensky zu treffen? Wenn ja, bringt ihn endlich nach Den Haag, wo er hingehört.
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