Alertswiss kann Leben retten. Etwa dann, wenn bei einer drohenden Naturkatastrophe oder einem anderen schwerwiegenden Ereignis die gefährdete Bevölkerung möglichst rasch informiert werden muss.
Allerdings kam es am letzten Wochenende zu Vorfällen rund um die App, die Fragen aufwerfen.
watson hat sich auf Spurensuche begeben und erklärt, wie die Alertswiss-Einstellungen angepasst werden können, um unnötige Schrecken zu vermeiden.
In der Nacht auf Sonntag sorgte die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) herausgegebene Alertswiss-App gleich selbst für Schreckmomente. Mit einem durchdringenden, sehr lauten Alarmton riss sie viele Handy-Nutzerinnen und -Nutzer aus dem Schlaf.
Der Grund war ein Warnhinweis der höchsten Stufe. Im aktuellen Fall wurde der entsprechende Alarm auf Begehren der Zürcher Stadtpolizei von der Kantonspolizei Zürich via Alertswiss-App auf sehr viele Smartphones gepusht. Der Alarm vermochte – je nach Gerät und den von den Usern vorgenommenen Einstellungen – den «Nicht stören»-Modus zu durchdringen.
In Gefahr waren eigentlich nur Anwohnerinnen und Anwohner in der Stadt Zürich, die sich in der Nähe der Friesstrasse aufhielten. Denn dort kam es wegen eines Grossbrandes zu starker Rauchentwicklung und die Rettungskräfte befürchteten, es könnten giftige Substanzen in umliegende Wohnhäuser eindringen.
In der Einsatzzentrale der Stadtpolizei wurde daraufhin beschlossen, die Bevölkerung nicht nur zu warnen, sondern auf dem Smartphone zu alarmieren.
Durch den Alertswiss-Alarm wurden aber auch viele Menschen ausserhalb des vom Brand betroffenen Gebietes aufgeschreckt. Die Gründe dafür sind in der Funktionsweise der App zu suchen (dazu unten mehr).
Laut Rückmeldungen aus der Bevölkerung heulten in derselben Nacht in mehreren Gemeinden in den Kantonen Aargau und Schwyz für kurze Zeit auch die Alarmsirenen auf den Dächern. Jedenfalls gingen entsprechende Meldungen bei der Polizei ein. Stunden später gaben die kantonalen Behörden über die Alertswiss-App Entwarnung: Es habe sich um Fehlalarm gehandelt. Und: Man müsse die Vorgänge weiter untersuchen.
Auf den Social-Media-Plattformen kommentierten User die auffällige zeitliche Übereinstimmung. Gab es einen direkten Zusammenhang zwischen den Ereignissen, gar ausgelöst durch technisches Versagen der App?
Auch beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), das Alertswiss entwickeln liess und betreut, laufen derzeit noch Abklärungen zu den Vorgängen.
Ein Sprecher der Zürcher Stadtpolizei erklärte gegenüber watson, dass nach der Lagebeurteilung durch Schutz und Rettung Zürich (SRZ) beschlossen wurde, die Bevölkerung per Alertswiss-App zu alarmieren.
Das Verschicken des Alarms übernahm die Kantonspolizei. Sie verfügt in ihrer Einsatzzentrale über den entsprechenden Computer-Zugang und gewährleistet jeweils die Alarmierung für alle lokalen und regionalen Polizeibehörden und andere Institutionen im Kanton.
Die Verantwortlichen nahmen gemäss den vorliegenden Erkenntnissen bewusst in Kauf, alle Alertswiss-User im Kanton Zürich zu alarmieren. Respektive alle User, die in den App-Einstellungen festgelegt haben, bei Ereignissen im Kanton Zürich alarmiert zu werden, und deren Mobilgerät nicht im Flugmodus war. Eine geografisch eng begrenzte Alarmierung sei nicht möglich gewesen.
Christian Fuchs vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) verneint dies auf Anfrage von watson.
Die sehr lauten Alertswiss-Alarme, wie sie wie in der Nacht auf Sonntag viele ahnungslose Menschen verunsicherten, sind extrem selten. Der Kanton Zürich, der die entsprechende Meldung publiziert hat, tat dies letztmals 2022, wie das BABS erklärt. Man werde nun mit den Verantwortlichen den Fall im Detail besprechen, um allfällige Verbesserungen zu finden.
Dass auch viele Alertswiss-User ausserhalb des betroffenen Gebiets durch den App-Alarmton geweckt wurden, war quasi ein gewollter «Kollateralschaden».
Dazu erklärt der auf Ereigniskommunikation spezialisierte BABS-Mitarbeiter Christian Fuchs:
Dass Alertswiss-Alarmmeldungen auch auf stummgeschalteten iPhones und iPads sowie auf Android-Mobilgeräten im «Nicht Stören»-Modus funktionieren, hat mit entsprechenden System-Funktionen zu tun.
Der Bundesrat hat Ende 2024 eine Modernisierung und den digitalen Ausbau des Schweizer Warnsystems beschlossen. Die Alarmierung per Smartphone soll durch die Einführung der Cell-Broadcast-Technologie entscheidend verbessert werden. Damit lassen sich Textnachrichten von bis zu 500 Zeichen auf alle Geräte im Empfangsbereich einer Mobilfunkantenne schicken.
Der Bund reagierte am Sonntag zunächst nicht auf Medienanfragen. Weil seitens der Behörden eine Erklärung ausblieb, schossen die Spekulationen ins Kraut.
Auch auf der Social-Media-Plattform X gab es seitens der Alertswiss-Verantwortlichen keine Informationen zu den Vorgängen. Dort twittert gemäss eigenen Angaben das «Redaktionsteam der Nationalen Alarmzentrale» – aber offenbar nur zu Büroarbeitszeiten.
Das letzte X-Posting von Alertswiss datiert vom 8. Juli. Damals informierten die Verantwortlichen über eine neue App-Version, die «neue Funktionen und Optimierungen im Bereich der Barrierefreiheit» bringe. Ein technischer Zusammenhang zwischen diesem Update und den jüngsten Vorkommnissen ist nicht bekannt.
Die Recherchen von watson zeigen, dass es ausserhalb der Bürozeiten nicht nur beim BABS mit der öffentlichen Kommunikation bei Fehlalarmen klemmt. In den laut Medienberichten betroffenen Kantonen Schwyz und Aargau unterliess es die Kantonspolizei, die Bevölkerung über Social-Media-Plattformen oder per Medienmitteilung zeitnah aufzuklären.
Immerhin informierten die zuständigen Behörden die Bevölkerung in der Nacht auf Sonntag via Alertswiss-App über einen angeblichen «Sirenenfehlalarm».
Es ist weiterhin unklar, ob die in den Gemeinden platzierten Sirenen tatsächlich ausgelöst wurden. BABS-Mitarbeiter Christian Fuchs bestätigt, dass die Rückmeldungen aus der Bevölkerung zu den angeblich heulenden Alarmsirenen abgeklärt werden.
This is how sophisticated alarm system is in Switzerland. Scared the shit out of me tho 😂 Shouts to .@Alertswiss
— George Grigalashvili (@grigala_) December 29, 2020
Folks at #Bülach do not drink tap water! 🤷♂️ pic.twitter.com/yqgfWBJ7ap
Bleibt die Frage, warum bei Alertswiss bereits zwei Tage nach den Vorgängen, die landesweit für Aufregung sorgten, nichts mehr dazu zu finden ist.
Das vom BABS entwickelte Alertswiss-Konzept sieht vor, dass nur die jeweils gültigen Meldungen sichtbar und alle nicht länger gültigen Meldungen nicht mehr zugänglich sind, «um Irrtümer über die momentan geltenden Gefahren und Anweisungen zu verhindern». Die Verantwortlichen in den Kantonen legen jeweils fest, wie lange eine Alertswiss-Mitteilung angezeigt wird.
Die zuständige Behörde entscheidet jeweils in eigener Kompetenz, ob und mit welchem Inhalt sie eine Meldung verbreiten will und wie lange diese für die rund 2,2 Millionen App-User sowie die Besucherinnen und Besucher der Alertswiss-Website angezeigt werden.
Zunächst ist für alle Alertswiss-User, die nach den jüngsten Vorkommnissen verunsichert sind, zu betonen, dass die App keinesfalls deinstalliert werden sollte.
Über die kostenlos verfügbare App können die Behörden informieren, warnen oder alarmieren: Die User legen in den App-Einstellungen die «Meldungsstufe» für Pushnachrichten fest. Wer zeitnah vor drohenden Naturgefahren, Terroranschlägen etc. gewarnt werden will, sollte mit dem Schieberegler alle drei aktivieren.
Christian Fuchs empfiehlt:
In verschiedenen Fällen, etwa bei betagten Angehörigen, oder für Pendlerinnen und Pendler, ist es aber durchaus sinnvoll, in der Alertswiss-App einen oder mehrere Kantone zu abonnieren, um informiert zu werden.
Dies sehen offenbar viele Schweizerinnen und Schweizer ähnlich. Im Durchschnitt werden 2 bis 3 Kantone abonniert, erklärt Christian Fuchs vom BABS.
Ob man den Standort des eigenen Mobilgeräts für die Alertswiss-App freigeben will, müssen die Nutzerinnen und Nutzer natürlich selbst entscheiden. Hier können zum Beispiel auch Bedenken reinspielen, gegenüber dem Staat zu viele persönliche Daten preiszugeben.
Auf der Alertswiss-Website wird erklärt:
Um bei echten Notsituationen tatsächlich per Alertswiss-App gewarnt und auch geweckt zu werden, gilt es auf dem Mobilgerät die entsprechenden System-Einstellungen vorzunehmen. Auf dem iPhone müssen insbesondere die «Kritischen Hinweise» aktiviert sein.
PS: Für alle an Krisenbewältigung interessierten watson-User, die bis hierhin mitgelesen haben: Es lohnt sich, in der Alertswiss-App auch einen persönlichen Notfallplan zu erstellen und mit den Liebsten zu teilen. Dies ist im sogenannten «Vorsorge-Tab» möglich und kann bei echten Katastrophenfällen entscheidend sein.