Die Revolution begann zaghaft, doch sie war nicht aufzuhalten.
Als am 10. Juli 2008 Apples App Store offiziell in Betrieb ging, ahnte niemand, was daraus werden würde. Knapp sieben Jahre später weiss jedes Kind und (fast) jede Grossmutter, was es mit den «Äpps» auf sich hat.
Schlaue Köpfe wie der Gründer der Zürcher Firma Taktil Software, Marco Klingmann, haben schon früh das Potenzial der kleinen digitalen Helfer erkannt. Mit dem Siegeszug der Smartphones war die App-Revolution nicht mehr aufzuhalten.
Heute gibt es allein in Apples App Store 1,4 Millionen Anwendungen, und einige davon sind hierzulande entwickelt worden. An der diesjähriger Apple-Techkonferenz Worldwide Developer Conference (WWDC) nehmen denn auch rund zwei Dutzend Schweizer Software-Entwickler teil.
Klingmann und seine beiden Mitstreiter können dieses Jahr aus zeitlichen Gründen nicht in San Francisco dabei sein. Im Interview fühlen sie der Schweizer App-Community den Puls und verraten, was sie mit ihrer preisgekrönten ÖV-App («Departures») weiter vorhaben.
Hand aufs Herz, Marco, Tobias und Yves, herrscht in eurer Software-Bude in Zürich Goldgräberstimmung?
Marco Klingmann: Eine solche Stimmung gab es um das Jahr 2008. (lacht) In der Zwischenzeit hat sich das Goldgräberdorf professionalisiert und spezialisiert.
Schweizer Entwickler leben vor allem von Aufträgen aus der Wirtschaft, wie die Marktstudie «App Economy Schweiz» zeigt. Die NZZ titelte «App-Entwickler zwischen Auftrags- und Traumjob».
Dies trifft auch auf uns zu. Wir kennen in unserem Umfeld jedoch auch einige Gegenbeispiele, also einzelne Entwickler, die von ihren Apps sehr gut leben können. Für Neulinge ist das Klima jedoch rauer geworden.
Die Schweiz soll für App-Entwickler ein interessanter Markt sein, weil der durchschnittliche Preis pro App mehr als doppelt so hoch sei wie im Ausland. Könnt ihr dies bestätigen?
Dass die Apps in der Schweiz teurer sind, ist uns nicht bekannt. Die Schweiz ist vergleichsweise klein und daher für Apps im Ein-bis-zwei-Franken-Bereich allein kein sehr interessanter Markt.
Wie viel darf eine App maximal kosten, damit sie beim Massenpublikum Erfolg hat?
Sie soll wohl wenn möglich gratis sein. Selbst wenn eine App nur einen Franken kostet, stellt dies jedes Mal eine Kaufentscheidung dar. Um eine erfolgreiche App zu lancieren, braucht’s jedoch einiges mehr als nur einen tiefen Preis.
Ihr habt schon Apps für die ETH Zürich, die Credit Suisse und die Erklärung von Bern (EVB) entwickelt. Was ist euer Erfolgsgeheimnis?
Eine gute App braucht in erster Linie einen Zweck. Sie muss ein Bedürfnis des Benutzers erfüllen und dies auf eine intuitive Art und Weise. Die Benutzerführung muss einfach sein und das Design pixelgenau passen. Viele erfolgreiche Apps haben gemeinsam, dass sie wenige Funktionen haben, diese aber sehr gut ausführen.
Was haltet ihr vom Freemium-Modell, also eine App gratis anbieten und mit kostenpflichtigen Zusatzinhalten Kasse machen?
Durch die Vielzahl der Apps ist es zunehmend schwieriger, die passende zu finden. Von daher ist es aus Nutzersicht wünschenswert, eine App zunächst kostenlos testen zu können.
Im App Store von Apple gibt es über 1,4 Millionen Apps. Wie macht man sich da mit einer Eigenkreation bemerkbar?
Wir sehen, dass viele Medien und auch Nutzer bezüglich App-News gesättigt sind. Die Apps müssen einen Nutzen und extrem hohe Qualität haben, damit sie bemerkt werden.
Braucht es zwingend ein riesiges Marketing-Budget, um mit einer App Erfolg zu haben?
Entwickler wie Andreas Illiger von «Tiny Wings» haben gezeigt, dass man auch ohne Marketing eine App zum Erfolg bringen kann. Dies entspricht allerdings nicht der Regel. Ein grosses Marketing-Budget hilft bestimmt, eine gute App zu pushen.
Die schiere Menge an Apps im App Store scheint viele Nutzer zu überfordern. Man hält sich an bekannte Namen. Ist es überhaupt noch realistisch, von einer Killer-App zu träumen?
Oh ja. Es wird immer Raum für neue und innovative Apps geben.
Apple nimmt bei Verkäufen im App Store einen Drittel des Erlöses. Haltet ihr das für angemessen?
Wir haben Software für Mobiltelefone bereits vor der iPhone-Ära entwickelt. Damals war es üblich, dass der Operator rund 50 Prozent des Preises für sich behielt. Weil du als einzelner Entwickler nicht selbst Verträge mit allen Operators der Welt machen kannst, kam noch ein Zwischenhändler wie damals zum Beispiel Jamba dazu: Der nahm von dem was bleibt wieder rund 40 Prozent. Apple hat mit der Zwei-zu-Eins-Verteilung der erzielten Erlöse eine Revolution gebracht.
Bei den ‹Best of Swiss App Awards 2014› liefen die allermeisten der eingereichten Apps auf dem iPhone oder iPad. Warum ist iOS so dominant?
Wir erstellen unsere Apps zuerst für iOS, weil die Entwicklung einfach mehr Spass macht.
Das Apple-Ökosystem gilt aber auch als besonders lukrativ für Entwickler.
Im Schnitt geben iOS-Nutzer sicher mehr Geld aus für Apps als Android-Nutzer. Unsere Haupteinnahmen stammen jedoch aus Auftragsarbeiten, nicht aus App-Verkäufen.
Ihr entwickelt auch für Android und Windows Phone, gibt es grosse Unterschiede im Vergleich mit iOS?
Auf der Android-Platform geniessen der Entwickler und auch der Benutzer mehr Freiheiten. Dafür macht er Abstriche beim Design. Bei uns haben Design und die ‹User Experience› Vorrang.
Stichwort «Swissness»: Entwickelt ihr alles selber oder lagert ihr Programmierarbeiten ins günstigere Ausland aus?
Bis jetzt haben wir alle Entwicklungen ‹inhouse› gemacht. Zur Zeit experimentieren wir aber mit möglichen Outsourcing-Partnern im Ausland.
Apps haben praktisch alle Bereiche unseres Lebens erobert. Gleichzeitig scheint es, als hätten viele Schweizer Firmen den Einstieg verschlafen. Täuscht der Eindruck?
Die Consumer-Apps haben vorgemacht, wie praktisch und einfach man damit arbeiten kann. Dies schlägt sich nun ganz klar auf eine neue Generation von Firmensoftware nieder. Die Mitarbeiter und Entscheidungsträger in den Unternehmen wissen durch die Erfahrung mit ihren eigenen Smartphones, dass es möglich ist, ansprechende und einfach zu bedienende Apps auch für komplexere Prozesse zu realisieren.
Am Montag beginnt in San Francisco die Apple-Entwicklerkonferenz. Was erwartet ihr von der diesjährigen WWDC?
Wir wissen dazu leider auch nicht mehr, als was in der Gerüchteküche gemunkelt wird. Die Apple Watch, das HomeKit und iOS 9 werden bestimmt im Fokus stehen. (lacht) Und wir hoffen, dass wir nach der WWDC kein neues U2-Album auf unseren Geräten finden.
Wird jemand von euch vor Ort sein?
Wir waren zwei Mal an der WWDC und da sollte man unbedingt mal hingehen. Dieses Jahr gehts nicht. Die Sessions sind aber mittlerweile praktisch sofort als Video verfügbar und wir werden uns die Informationen auf diese Weise holen.
Was erhofft ihr euch von iOS 9?
Wir sind besonders gespannt auf den Split-Screen-Modus. Diese neue Funktion soll laut Gerüchteküche erlauben, mehrere Apps oder ‹Views› auf dem iPad gleichzeitig zu sehen.
Trifft aus eurer Sicht zu, dass iOS 8 zunächst unerwartet viele Fehler aufgewiesen hat?
Ja, iOS 8 hatte einige Bugs. Diese wurden von Apple jedoch schnell behoben.
An der letztjährigen WWDC hat Apple die Programmiersprache Swift lanciert. Welche Rolle spielt Swift bei euch?
Swift ist eine sehr starke Programmiersprache und wir haben erste Apps damit erstellt. Die Sprache bringt dem Entwickler viele Erleichterungen und macht die Arbeit effizienter. Wir setzen sie in einigen neuen Projekten ein und sind sehr zufrieden.
Sollen angehende App-Entwickler Swift lernen?
Ja. Wir denken, dass sich diese Sprache etablieren wird.
Mittlerweile gibt es nicht nur Apps für das Smartphone, sondern auch Apps für Fernseher, fürs Auto und nicht zuletzt für Smartwatches. Wie intensiv beschäftigt ihr euch mit der Apple Watch und anderen Wearables?
Wir haben im Rahmen eines Hackathons eine erste Apple-Watch-App erstellt, die dort den ersten Preis gewonnen hat. Wir beobachten gespannt, wie sich die Benutzerzahlen entwickeln.
Gibts es auf Kundenseite bereits eine grosse Nachfrage nach entsprechenden Apps?
Das Interesse der Kunden an der Apple Watch ist gross. Wir haben schon einige Anfragen bekommen, meist in Verbindung mit einer bereits bestehenden Applikation. Das Interesse an TV- und Auto-Apps hält sich hingegen in Grenzen.
Ihr habt dieses Frühjahr in den USA einen Preis für die beste Pendler-App gewonnen. Wie waren die Reaktionen?
Über die «Departures»-App wurde in New York intensiv berichtet, im Fernsehen, in Zeitungen und in Blogs. Unsere Kunden haben sich auch sehr gefreut und uns gratuliert.
Ursprünglich habt ihr diese App für das Schweizer Verkehrsnetz entwickelt. Wie gehts damit weiter?
Die App für das das Schweizer ÖV-Netz werden wir als nächstes mit NASA-Daten anreichern. Die New Yorker Version zeigt bereits heute, wann die nächsten Raketen ins All fliegen.
Wenn wir nebst unseren Aufträgen etwas Freiraum haben, dann möchten wir die «Departures»-App in weiteren Grossstädten verfügbar machen.
Auf welche andere App-Kreation seid ihr besonders stolz?
Wir haben viel Herzblut in den «Couch Music Player» fürs iPad gesteckt. Damit kann man auf intuitive Art und Weise eigene Playlists mit Songs aus der lokalen Musikbibliothek erstellen.