In Deutschland und Österreich ist eine explosive Smartphone-App lanciert worden. Ungewöhnlich ist nicht nur der Name, «Lernsieg», sondern auch das Ziel: Schülerinnen und Schüler können über die App ihre Lehrer bewerten. Und auch für die Bildungseinrichtungen Schulen selbst gibts Noten.
Schüler, die Lehrer beurteilen wollen, müssen die App installieren und sich über ihre Handynummer anmelden.
Nach «erfolgter Verifizierung» können Schüler sowohl Schulen als auch Lehrer in verschiedenen Kategorien bewerten.
Die Noten-Skala, reicht von 1 bis 5. Und zwar in Sterne-Form: Maximal fünf Sterne stehen für «sehr gut», die tiefste Bewertung, ein Stern, bedeutet «nicht genügend».
Bei Schulen sind die Bewertungs-Kategorien zum Beispiel Klassenzimmer, Sportanlagen, Mensa und Kantine oder auch die Unterstützung der Klimaschutz-Bewegung «Fridays for Future».
Bei Lehrern sind die Bewertungs-Kategorien unter anderem Unterricht, Fairness, Respekt, Durchsetzungsvermögen und Pünktlichkeit. Jeder Schüler hat angeblich nur eine Stimme, kann die Bewertungen aber jederzeit ändern. Und die Bewertungen können mit Pseudonym abgegeben werden.
Wer einem Lehrer weniger als fünf Sterne gibt, soll in vorgegebenen Unterkategorien sagen, welche Mängel es gibt. Etwa dass der Unterricht nicht spannend aufgebaut sei. Für jede Schule gebe es zudem ein Ranking der «besten» Lehrer.
Insgesamt 90'000 Pädagogen sollen in der Datenbank, die zur App gehört, bereits eingetragen sein. Bei diesen Daten soll es sich um öffentlich zugängliche Informationen handeln, die der App-Erfinder über das Internet einholen konnte.
Die «Lernsieg»-App soll für Android-Smartphones und iPhones (iOS) kostenlos angeboten werden.
Sie sei nur für Deutschland und Österreich verfügbar, heisst es in Medienberichten. Fakt ist: Weder im Schweizer App Store von Apple, noch im Google Play Store, ist sie zu finden.
#Lernsieg meine #App zur #Lehrerbewertung ist ab jetzt online! Im App Store findet man sie schon, im Play Store wird sie in Kürze zu finden sein, #Android User können sie aber hier schon runterladen https://t.co/ItpQjaGqj7
— Benjamin Hadrigan (@BHadrigan) November 15, 2019
Erfinder und Herausgeber der App ist der 17-jährige Schüler Benjamin Hadrigan. Ziel sei nicht, wie von der Lehrergewerkschaft befürchtet, Pädagogen an den Pranger zu stellen, behauptete Hadrigan bei einer Pressekonferenz in Wien. «Mir geht es darum, Schülern eine Stimme zu geben.»
Bleibt anzumerken, dass Hadrigan im Frühjahr 2019 ein Buch mit Lerntipps veröffentlicht hat. Sein Werk trägt den gleichen Titel wie seine umstrittene App: «Lernsieg». Darin stelle er ein von ihm entwickeltes Lernsystem mit Social-Media-Anwendungen wie Snapchat vor, mit dem er sich vom schlechten Schüler zum Klassenbesten gewandelt habe.
Mit dem österreichischen Schulsystem scheint der junge Mann auf Kriegsfuss zu stehen. In einem Interview sagte er im Frühjahr, die Schüler erhielten zu wenig Hilfe und müssten es aus seiner Sicht selbst in die Hand nehmen.
Seine Kritik am Schulsystem hat der junge Österreicher auch schon in diesem Apple-Podcast geäussert.
Laut Medienberichten hat der 17-Jährige die App mithilfe eines «Investorenkonsortiums» entwickelt und einer auf Medienrecht spezialisierten Anwaltskanzlei.
Tatsächlich soll zu einem späteren Zeitpunkt mit der App Geld verdient werden. Wie das gehen soll, ob zum Beispiel Werbung geschaltet wird, wurde noch nicht verraten.
#lernsieg #lehrer #bewertungsapp @BenjaminHadri #benjaminhadrigan @philippploner pic.twitter.com/SDUvMbFpF1
— Hadschi Bankhofer (@HadschiB) November 15, 2019
Das werden wohl die Richter entscheiden.
«Missbrauch wird man nie ganz ausschliessen können», sagte der bei der App-Entwicklung beigezogene Medienanwalt laut österreichischen Medienberichten. Er gehe aber davon aus, dass die App in rechtlicher Hinsicht problemlos sei.
Schon vor der Lancierung hat die Lehrer-Bewertungs-App für Diskussionen und Ärger gesorgt. Die österreichische Lehrer-Gewerkschaft wollte die App noch vor der Lancierung verbieten lassen, was ihr offensichtlich nicht gelang.
Ein Gewerkschaftsvertreter hat angekündigt, dass alle Rechtsmittel ausgeschöpft werden sollen. Man habe Bedenken wegen des Datenschutzes, zudem könnten die Persönlichkeitsrechte der gelisteten Pädagogen verletzt werden.
Das scheint den App-Erfinder nicht zu kümmern:
Eine Kommentarfunktion hat die von der Wiener Firma «all about apps» entwickelte Anwendung nicht, Diffamierung sei ausgeschlossen, meint Hadrigan. Überhaupt gebe es für Lehrer «keinen Grund zum Fürchten»: Es werde nicht die Beliebtheit abgefragt, sondern objektive Kriterien. Zudem könnten die Bewertungen laufend aktualisiert werden.
Tatsächlich bietet die Lehrer-Bewertungs-App ein beträchtliches Missbrauchspotenzial, wie der Erfinder in einem Interview einräumen musste. Auf die Frage eines Journalisten, ob es möglich sei, als Schüler auch Lehrer von fremden Schulen zu bewerten, antwortete der 17-Jährige:
Um Manipulation bei den Ergebnissen wie mehrfache Stimmabgabe zu verhindern, wird jede Anmeldung per SMS verifiziert. Ob tatsächlich nur Schüler ihre Stimme abgeben, könne man zwar nicht überprüfen.
Die österreichische Bildungsministerin Iris Rauskala, eine 41-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin, hat sich bereits zur Lehrer-Bewertungs-App geäussert. Die Politikerin, die der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) angehört, sprach sich nicht gegen die App aus, sondern plädierte für eine «konstruktive kritische Feedback-Kultur». Selbst wenn die Persönlichkeitsrechte von Lehrern durch die App verletzt würden, würde ihr Ministerium keine juristischen Schritte einleiten, denn dafür sei die Gewerkschaft zuständig.
In Medienberichten wird an die deutsche Webseite spickmich.de erinnert, die vor rund zehn Jahren zahlreiche Gerichte in Deutschland beschäftigte. Immer wieder hätten Lehrer versucht, sich auf juristischem Weg gegen die teils diffamierenden Kommentare auf der Website zur Wehr zu setzen. Ohne Erfolg. Im August 2010 lehnte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Beschwerde gegen spickmich.de ab. Inzwischen sei das Portal allerdings eingestellt worden.
Die österreichische Journalistin Claudia Zettel kommentiert:
Ein österreichischer Internet-User stellt die kritische Frage, warum die App öffentlich zugänglich sei.
Ein anderer User äussert wegen des Missbrauchspotenzials Bedenken:
(dsc)
Hand aufs Herz: Manchmal ist einfach auch nicht der Lehrer an der schlechten Note schuld.