Die Bundesregierung hat sich im Streit um die Zukunft von Autos mit Verbrennungsmotor mit der EU-Kommission geeinigt. Das teilten FDP-Verkehrsminister Volker Wissing und EU-Kommissionsvize Frans Timmermans bereits am Samstag mit. Die Einigung sei gestern am späten Abend erfolgt, teilte Wissing mit. Man habe den Weg dafür freigemacht, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die ausschliesslich klimaneutralen Kraftstoffe tanken, auch nach 2035 neu zugelassen werden können.
Der Weg ist frei: Europa bleibt technologieneutral. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor können auch nach 2035 neu zugelassen werden, wenn sie ausschließlich CO2-neutrale Kraftstoffe tanken. 1|2
— Volker Wissing (@Wissing) March 25, 2023
Laut Wissing wurden konkrete Verfahrensschritte und ein konkreter Zeitplan verbindlich fixiert. «Wir wollen, dass der Prozess bis Herbst 2024 abgeschlossen ist.» EU-Kommissionsvize Timmermans schrieb auf Twitter: «Wir haben mit Deutschland eine Einigung über die künftige Verwendung von E-Fuels in Autos erzielt.» Man werde jetzt daran arbeiten, dass die Verordnung über CO2-Standards für Autos so schnell wie möglich verabschiedet werde.
Die Ausnahmeregelung für künstliche Kraftstoffe ist noch nicht definitiv. Sie muss noch einige Hürden überwinden. Dass die deutsche FDP zum Retter der umstrittenen E-Fuels wird, ist daher noch längst nicht beschossene Sache.
FDP-Verkehrsminister Wissing vollzog zuletzt eine 180-Grad-Kehrtwende: Vor gut einem Jahr sprach er sich noch dezidiert gegen E-Fuels (synthetische Kraftstoffe) aus:
E-Fuels sind (solange es nicht Direct Air Capture in gigantischem Ausmaß gibt) weder klimaneutral noch bezahlbar. Außerdem werden bei Ihrer Verbrennung weiterhin Stickoxide frei. https://t.co/kDL31OGFAg
— @ChrisStoecker (@ChrisStoecker) March 25, 2023
Autos mit E-Fuels zu betreiben ist laut Kritikern ein ineffizientes Verfahren aus knappem Ökostrom Mobilität zu machen. E-Autos würden Strom effizienter nutzen. Wissenschaftler plädieren daher dafür, knappe E-Fuels ausschliesslich in Branchen zu verwenden, die anders als Autos schlecht elektrifiziert werden können, etwa die Flugbranche.
Europaparlament und EU-Staaten hatten sich bereits im Oktober darauf geeinigt, dass in der EU ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. Für die deutsche FDP ist es aber wichtig, dass auch danach noch Neuwagen mit Verbrennungsmotoren zugelassen werden können, die E-Fuels tanken – also klimaneutrale künstliche Kraftstoffe, die mit Ökostrom erzeugt werden. Wie überwacht werden soll, dass wirklich nur E-Fuels verwendet werden, ist unklar.
Eine für Anfang März 2023 vorgesehene Bestätigung der Einigung durch die EU-Staaten wurde von Deutschland zunächst gegen den Willen grosser Teile der eigenen Autoindustrie verhindert. Seitdem verhandelten Bundesverkehrsministerium und EU-Kommission über einen Kompromiss.
VW, Audi, Mercedes und Co. hatten das Verbrennerverbot akzeptiert, da es ihnen Planungssicherheit gibt und sie bereits auf Elektroautos umgeschwenkt sind. Warum die FDP trotzdem die Hintertüre für E-Fuels öffnen will, ist unklar. Deutsche Medien spekulieren, dass sich die Partei so Wählerstimmen verspricht, da laut Umfragen noch immer eine knappe Mehrheit der Deutschen das Ende von Benzin-Autos skeptisch sieht.
In dieses Bild passt, dass FDP-Chef Christian Lindner vorschlägt, die Steuern auf E-Fuels zu senken. Dies könnte im Endeffekt ein verstecktes Steuergeschenk für Reiche werden, die sich Autos mit teuren E-Fuels leisten können.
Porscheminister #Lindner gibt bekannt: pic.twitter.com/8fLP9SH5An
— Nicht Chevy Chase (@DrWaumiau) March 26, 2023
Viele EU-Partner hatten irritiert auf das deutsche Verhalten in dem Streit reagiert.
Am Donnerstag sprach etwa der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins am Rande des EU-Gipfels vor laufenden Kameras von einem «sehr, sehr schwierigen Zeichen für die Zukunft». Es sei verwunderlich, dass eine Regierung sich plötzlich anders entscheide, nachdem eine Vereinbarung bereits getroffen worden sei.
Karins warnte: «Die gesamte Architektur der Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn wir das alle tun würden.» Hinter vorgehaltener Hand äusserten sich Diplomaten in Brüssel deutlicher. Sie werfen Deutschland einen Vertrauensbruch vor.
(oli/sda/dpa)