Gleb Karakulov war Hauptmann des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSO). Der FSO ist für den persönlichen Schutz des russischen Präsidenten verantwortlich, also quasi das russische Pendant zum amerikanischen Secret Service.
Bis Mitte Oktober 2022 war Karakulov als «Ingenieur» in der Kommunikationsabteilung für Wladimir Putin tätig. Zu seinen täglichen Aufgaben gehörte es, die Kommunikation der höchsten Staatsbeamten – des Präsidenten und des Premierministers – zu verschlüsseln. Und er versorgte die Machthaber mit geheimdienstlichen Informationen.
Er sei Teil der sogenannten «Feldeinheit» gewesen, die dem russischen Präsidenten und dem Ministerpräsidenten während ihrer Geschäftsreisen, in ganz Russland und im Ausland, eine abhörsichere Kommunikation ermöglichte.
Dann floh er überraschend mit seiner Familie nach Istanbul. Und packte über den Diktator im Kreml aus: In einem in dieser Woche veröffentlichten Interview mit dem russischen Exil-Medium «Dossier Center», das vom russischen Oppositionellen Michail Chodorkowski gegründet wurde, gibt der Ex-Sicherheitsbeamte pikante Details preis.
Der seltene Austritt eines russischen Insiders werfe Fragen darüber auf, wie tief die öffentliche Unterstützung für den Krieg in der Ukraine tatsächlich in Russland sei, hält die Nachrichtenagentur AP fest.
Boris Bondarev, ein früherer russischer Diplomat in Genf, der im Mai 2022 kündigte und den Kreml öffentlich anprangerte, sagte, es gebe viele Russen, die sich im Stillen gegen den Krieg aussprächen, es aber nicht wagten, sich öffentlich zu äussern, aus Angst, ihre Lebensgrundlage zu verlieren.
Karakulov sagt, er hätte nur noch zwei Dienstjahre absolvieren müssen, um eine staatliche Rente zu erhalten.
Der Ex-Sicherheitsbeamte sagt:
Er habe es zwar geschafft, sich zu beruhigen, und sich eingeredet, dass ihn der Krieg nichts angehe. Mit zunehmendem Ekel habe er dann allerdings mitanhören müssen, wie sich seine Kollegen begeistert darüber austauschten. Wie sie jedes Detail dessen, was im Krieg geschah, auskosteten.
Ihm sei klar geworden, dass er versuchen musste, schon vor der Pensionierung irgendwie wegzukommen.
Dann wurde am 21. September 2022 die russische Mobilmachung verkündet.
So habe er eine Dienstreise in die Hauptstadt von Kasachstan genutzt, um sich mit Frau und Kind, die ebenfalls nach Astana gereist waren, per Flugzeug nach Istanbul abzusetzen. Die Flucht sei ihm nur dank des «Aussendienst»-Passes geglückt, den ihm sein Arbeitgeber ausgehändigt hatte.
Karakulow sagt, dass Präsident Putin in einem Informationsvakuum lebe. «Er benutzt kein Handy.» In all seinen Dienstjahren habe er den Kremlchef nie mit einem Smartphone gesehen. Putin benutze auch das Internet nicht.
Beim Ministerpräsidenten der Russischen Föderation (seit 2020 ist das Michail Mischustin) reise normalerweise ein weiterer FSO-Beamter mit, der für das Internet zuständig sei – «ein digitales Büro, ein Laptop und Zugang zum Netzwerk». Bei Putin werde das nicht gebraucht. Seine Haupt-Informationsquelle seien die russischen Geheimdienstberichte. Der Präsident bestehe aber darauf, an jedem Ort, an dem er sich aufhalte, russisches Fernsehen zu haben.
Putin arbeite viel, erzählt Karakulow. Dies konnte er während seiner Geschäftsreisen beobachten. Er gehe nicht vor 2 oder 3 Uhr morgens Moskauer Zeit ins Bett. «Als er in Kamtschatka war, hatte er mitten in der Nacht ein Meeting, einfach, weil es in Moskau Tag war und es ihm passte.»
Der russische Präsident hat eine mobile «Telefonzelle», die der FSO bei jeder Auslandsreise mitnehmen muss. Es sei ein Ort, von dem aus Gespräche mit garantierter Vertraulichkeit geführt werden könnten, sagt Karakulow.
Der russische Machthaber hat einige offizielle und inoffizielle Wohnsitze. Sein häufigster Aufenthaltsort sei in Waldai, rund 400 Kilometer nordwestlich von Moskau gelegen. Unbestätigten Berichten zufolge soll Putin dort mit Alina Kabajewa und den Kindern in einem Palast im Wald leben.
Ex-Geheimdienstoffizier Kuarakulow verrät:
Putin hat also identische Büros an mehreren Standorten eingerichtet, mit übereinstimmenden Details bis hin zu Schreibtisch und Wandbehängen. Dies sei ein Trick, «um erstens ausländische Geheimdienste zu verwirren und zweitens jeden Anschlag auf sein Leben zu verhindern».
Kuarakulow sagt, er habe von seinen Kollegen, Putins Leibwächtern, nie gehört, dass jemand versucht habe, ihn zu ermorden. Das halte den russischen Machthaber aber nicht davon ab, Angst zu haben.
Laut Karakulow hat Russland einen «sich immer noch selbst isolierenden Präsidenten». Und: «Wir müssen vor jeder Veranstaltung zwei Wochen strenge Quarantäne einhalten, auch wenn sie nur 15 bis 20 Minuten dauert.»
Die Beamten des FSO seien ratlos, warum dies immer noch so sei. Denn es würden alle gezwungen, sich gegen Covid zu impfen. Es gebe Gesundheitsscreenings und für alle Mitarbeiter des Präsidenten mehrmals täglich PCR-Tests.
Der russische Präsident habe den Kontakt zur Welt verloren, warnt der ehemalige Geheimdienstoffizier:
Der russische Machthaber nutzt nicht den ÖV, hat aber einen gepanzerten Zug. Irgendwann im Jahr 2014 oder 2015 sei dieser zum ersten Mal im Fahrplan des FSO aufgetaucht, verrät der Geheimdienstoffizier Karakulow. «Er sieht aus wie ein gewöhnlicher Zug, also wie alle anderen Züge der Russischen Eisenbahn – grau mit einem roten Streifen.»
Putin benutze diesen, weil es weniger auffällig sei. Flugzeuge würden in bestimmten Überwachungsdiensten angezeigt. Ein grauer Zug ermögliche es, unerkannt zu reisen.
Die regelmässige Nutzung des Zuges habe zwischen August und September 2021 begonnen. Die FSO-Mitarbeiter würden auch vor solchen Reisen in Quarantäne gesetzt.
Die Antwort des Geheimdienstoffiziers ist klar: «Die Hälfte des FSO ist der Meinung, wir hätten den Maidan in Kiew bereits 2014 mit Raketen bombardieren sollen.» Soll heissen, seine Kollegen sind klar für den Angriffskrieg.
Er habe gehofft, dass es Leute gebe, die zumindest in privaten Gesprächen so etwas äussern würden wie: «Leute, das ist Krieg; Menschen sterben.» Doch seien solche Sätze nie zu hören gewesen. Leider seien fast 100 Prozent für Putin.
Im «Dossier Center»-Interview wird Karakulow gefragt, ob er seinen ehemaligen Kollegen vom Geheimdienst etwas mitteilen wolle. Seine Botschaft ist mehr als deutlich:
Er sei sich sicher, dass die Geheimdienstmitarbeiter viele Handlungen des Oberbefehlshabers Putin infrage stellten, doch der Eid zwinge sie, diese nicht zu stellen, sondern seine Befehle reibungslos auszuführen.
Man werde ihm in Russland wahrscheinlich vorwerfen, unpatriotisch zu sein. Beim Patriotismus gehe es aber darum, sein Land zu lieben. «In diesem Fall müssen wir unser Land retten. Es ist ein verrückter und schrecklicher Krieg im Gange. Er muss so schnell wie möglich gestoppt werden.»
Er wolle sich auch an die Bürger Russlands wenden.
Dies verneint Karakulow.
Vor 2020 (und der Corona-Pandemie) sei Putin viel gereist. «Danach blieb er in seinem Bunker und machte vielleicht nur eine, maximal drei Geschäftsreisen im Jahr.»
Seit seinem Dienstbeginn als FSO-Beamter im Jahr 2009 seien nur ein oder zwei von Putins Geschäftsreisen aus gesundheitlichen Gründen abgesagt worden. Er sei «bei besserer Gesundheit als viele andere in seinem Alter».
2021 liess der berühmte Kremlkritiker Alexej Nawalny, der im selben Jahr vom russischen Regime inhaftiert worden war, ein brisantes Enthüllungsvideo veröffentlichen. Es prangerte Putins luxuriösen Palast am Schwarzen Meer an.
Karakulow bestätigt nun, dass der Milliardenbau tatsächlich dem russischen Machthaber gehört. Dies habe ihm ein Geheimdienstkollege bestätigt, der «für den Funkverkehr und alle zu besichtigenden Einrichtungen zuständig» sei.
Und auch die vom Nawalny-Team identifizierte Luxusjacht Scheherazade gehöre tatsächlich Putin.
Putin ist bekannt dafür, unliebsame Personen und Staatsfeinde auch im Ausland töten zu lassen. Darum verwundert es nicht, dass Karakulov im Interview mit «Dossier Center» darauf angesprochen wird, ob er nicht Angst davor habe, dass der russische Geheimdienst hinter ihm her sei.
Karakulov antwortet, seinen Verwandten in Russland sei schon am 8. oder 9. November ein Besuch abgestattet worden. Er spüre eine wachsende Angst in sich.
Karakulovs Gespräch mit «Dossier Center» fand bereits Ende 2022 statt, wie es auf der Website heisst. Um ihn zu schützen, sei es erst jetzt veröffentlicht worden. Denn russische Behörden hätten ein Strafverfahren wegen Fahnenflucht eröffnet. Nach dem Ex-FSO-Beamten werde gefahndet.
«Dossier Center» versichert, man habe diverse Dokumente überprüft, die Karakulov übergeben habe. Sein Dienstpass sei in der Datenbank des russischen Innenministeriums als gültig aufgeführt gewesen. Die Daten der Grenzübergangsstempel stimmten mit den Daten überein, die der FSO-Beamte im Interview genannt habe. Die Echtheit des von Karakulov vorgelegten Personalausweises sei von einer den Sicherheitsdiensten nahestehenden Person bestätigt worden.
Man habe auch die Biografie von Karakulov überprüft, heisst es weiter. Er habe tatsächlich an einer russischen Militärakademie studiert und sei im Studentenwohnheim eingeschrieben gewesen. Er habe auch Fotos mit seinen Klassenkameraden auf Social-Media-Plattformen gepostet und es fänden sich dort Hinweise auf seine Familienangehörigen.
Die Nachrichtenagentur AP sagt, sie habe weitere Schritte unternommen, um das Material zu prüfen und zu verifizieren.
Wie passt das in das Weltbild der Coronaschwurbler und jetzt Putinfreunde?