Scheherazade. Ein Name, der orientalische Verführung verspricht – und weibliche Klugheit.
Doch Scheherazade ist nicht nur der Name der gewitzten Märchenerzählerin aus «Tausendundeiner Nacht», sondern auch der einer 700 Millionen US-Dollar teuren Megayacht, die derzeit im italienischen Hafen Marina di Carrara in der Toskana liegt.
Wem dieser Ausruf von Dekadenz gehört, ist nicht bekannt. Das Luxus-Lifestyle-Magazin «Boat International» geht davon aus, dass der Besitzer ein «Milliardär aus dem Nahen Osten» sein soll.
Doch neueste Recherchen von Alexei Nawalnys Team lassen anderes vermuten: Scheherazade gehört wohl dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der gerade einen Angriffskrieg in der Ukraine befehligt und dessen Vermögenswerte darum weltweit auf Sanktionslisten stehen.
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Über die Scheherazade, warum sie Putin gehören könnte – und wer dem widerspricht:
Scheherazade ist so beeindruckend, dass sie auf keiner Zusammenstellung der längsten, teuersten oder luxuriösesten Yachten fehlen darf – und sie hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag.
Der schwimmende Luxustempel der deutschen Schiffswerft Lürssen ist 2019 vom Stapel gelaufen, misst 140 Meter in der Länge und 23 Meter in der Breite. Sie umfasst 6 Decks samt zweier Helikopterlandeplätze.
Die diversen Spa-Bereiche können 40 Gäste nutzen, für die 22 Kabinen zur Verfügung stehen. Zusätzlich gibt es Platz für 94 Besatzungsmitglieder.
Selbst für die verschwiegene Welt der Superyachten-Besitzer ist Scheherazade von einem ungewöhnlichen Mass an Geheimhaltung umgeben: Wem das Schiff gehört, war bislang nicht öffentlich. Sie fährt unter Flagge der Cayman Inseln, die Besitzergesellschaft wiederum hat ihren Sitz auf den Marshall Islands. Die Scheherazade besitzt sogar eine Abdeckung, um ihr Namensschild zu verbergen. Und als sie zum ersten Mal im Hafen einfuhr, wurde eine hohe Metallbarriere auf der Pier aufgebaut, um die Yacht vor Schaulustigen zu verbergen.
Am Montag veröffentlichten die Investigativjournalistin Maria Pewtschich und der Anti-Korruptions-Aktivist Georgy Alburow auf YouTube ein Video über Scheherazade und deren Besitzverhältnisse. Beide gehören zum Team des wohl gefürchtetsten Kreml-Kritikers überhaupt: Alexei Nawalny.
Die Recherche der beiden basiert auf einer Besatzungsliste der Scheherazade vom Dezember 2020, diese wird in Auszügen im Video gezeigt. Die Besatzungsliste führt alle ständigen Besatzungsmitglieder auf.
Die Ergebnisse der Auswertung:
Pewtschich twitterte im Anschluss an die Recherche über die Besatzungsmitglieder: «Ein Dutzend von Wladimir Putins Leibwächtern und Bediensteten hält eine der grössten Yachten der Welt ständig instand». Dies sei Beweis genug, dass Scheherzade Putin gehöre. Und sie fordert die italienischen Behörden auf, dass die Yacht sofort beschlagnahmt werde:
To sum up, a dozen of Vladimir Putin’s personal guards and servants are constantly maintaining one of the world’s largest yachts docked in an Italian port. We think that this is a solid enough proof that Scheherazade belongs to Putin himself and must be immediately seized.
— Maria Pevchikh (@pevchikh) March 21, 2022
Bereits am 8. März erklärten US-Beamte gegenüber der «New York Times», dass sie die Besitzverhältnisse der Scheherazade untersuchten. Endgültige Schlüsse lägen aber noch keine vor.
Für den gleichen Artikel interviewte die «New York Times» den Kapitän des Schiffes, Guy Bennett-Pearce, per Telefon. Bennett-Pearce ist britischer Staatsbürger und laut der Recherche von Pewtschich und Alburow der einzige Nicht-Russe auf der Besatzungsliste.
Bennett-Pearce berief sich während des Interviews auf eine «wasserdichte Geheimhaltungsvereinbarung», aufgrund derer er nichts über den Besitzer sagen könne. Er bestritt gegenüber der «New York Times» jedoch, dass Putin die Yacht besitze oder jemals auf ihr gewesen sei: «Ich habe ihn nie gesehen. Ich habe ihn nie getroffen». Er fügt zudem hinzu, dass der Eigner auf keiner Sanktionsliste stünde.
Kapitän Bennett-Pearce sagte, italienische Ermittler seien an Bord gekommen und hätten einige Papiere des Schiffes geprüft: «Sie sind sehr gründlich. Sie untersuchen jeden Aspekt.» Und weiter: «Das ist nicht die örtliche Polizei, die hierherkommt, das sind Männer in dunklen Anzügen.»
Kapitän Bennett-Pearce zeigt sich gegenüber der «New York Times» zuversichtlich, dass die Auswertung der Papiere «alle negativen Gerüchte und Spekulationen» aus dem Weg räume.
Die amerikanischen und italienische Behörden untersuchen also die Eigentumsverhältnisse an der Scheherazade. Gerade in der Szene der Superreichen sei es allerdings üblich, Yachten über Holdings oder Briefkastenfirmen in Steuerparadiesen zu registrieren, wie die «Süddeutsche Zeitung» aus Behördenkreisen erfahren habe. Deshalb sei es häufig schwierig, die Besitzverhältnisse schnell zu klären.
Sollte die Megayacht tatsächlich dem russischen Machthaber Putin gehören, wie Nawalnys Team zu wissen glaubt, könnte sie vom italienischen Staat beschlagnahmt werden. Denn Putin steht aufgrund des Angriffskrieges in der Ukraine auf der Sanktionsliste der EU. Bereits wurden mehrere Yachten von russischen Oligarchen in Italien beschlagnahmt.
Bizarr an der Situation ist, dass Putin erst letzte Woche in einer Videokonferenz, die im russischen Fernsehen übertragen wurde, gegen Oppositionelle und Oligarchen polterte. Dabei hat er diesen vorgeworfen, nicht nur geografisch, sondern auch bezüglich ihrer Werte im Westen verortet zu sein und um die Zugehörigkeit zu einer «höheren Kaste» zu buhlen, die sie mit allen Mitteln zu imitieren versuchten. Er bezeichnete sie als «Abschaum» und sprach von einer «nötigen Selbstreinigung der Gesellschaft», um diese «Verräter» loszuwerden.
(yam)
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