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Desinformationskrieg Russland: Holocaust-Memorial in Paris besprayt

Holocaust-Memorial mit roten Händen besprayt – das steckt hinter dem Antisemitismus

Ein neuer Fall antisemitischer Stimmungsmache in Paris zeugt vom Versuch Russlands, die Europawahlen in zwei Wochen zu beeinflussen und die westlichen Demokratien zu destabilisieren.
28.05.2024, 16:5428.05.2024, 16:54
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Emmanuel Macron verurteilte einen Akt von «abscheulichem Antisemitismus» im jüdischen Memorial von Paris: Auf eine Gedenkwand mit Tausenden von Inschriften hatten Unbekannte um drei Uhr morgens eine Vielzahl roter Hände hingesprayt.

Dieses Symbol geht auf einen Vorfall in Ramallah im Jahr 2000 zurück, als Palästinenser zwei israelische Reservisten lynchten und ihre blutigen Hände durch die Fenster eines Polizeipostens zeigten.

Bloss: Hinter dem Anschlag in Paris von Mitte Mai stecken offenbar keine propalästinensischen Aktivisten, sondern russische Auftraggeber. Die Pariser Staatsanwaltschaft identifizierte einen der drei Täter dank Handy-Lokalisierung und Überwachungskameras als einen Bulgaren, der Verbindungen zu russischen Geheimdiensten haben soll. Das Trio hat sich nach Belgien abgesetzt, wo es von der Bildfläche verschwunden ist.

Rote Hände, Zeichen des Antisemitismus, an den Wänden des Pariser Holocaust-Memorials.
Rote Hände, Zeichen des Antisemitismus, an den Wänden der Holocaust-Gedenkstätte in der französischen Hauptstadt.Screenshot: x.com

Die französischen Behörden gehen laut dem Wochenmagazins «Le Canard Enchaîné» davon aus, dass sich die Spray-Attacke in die Versuche Russlands einreiht, in den EU-Staaten und insbesondere Frankreich vor den Wahlen ins Europaparlament vom 9. Juni politische Spannungen zu schüren. Und ganz konkret den Wahlausgang zugunsten von Pro-Putin-Parteien beeinflussen.

Der französische Ex-Diplomat in Moskau, Alexandre Melnik, erklärte, diese Desinformationskampagne erinnere an das Vorgehen der Sowjetunion während des Kalten Krieges. Ziel sei es heute, zum einen den Nahostkonflikt in die Banlieue-Zonen um Paris und Marseille zu bringen; weiter solle Frankreich wie die Ukraine als ein Hort des Antisemitismus und Nazismus angeprangert werden.

Missbrauchtes Protest-Symbol
Rote Hände als legitimer Protest wurden zum ersten Mal am 12. Februar 2002 eingesetzt, als das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention in Kraft trat. Dieser Tag ist seitdem ein weltweiter Aktionstag gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten.

Das Symbol der roten Hand wurde von einem Bündnis internationaler Menschen- und Kinderrechtsorganisationen eingeführt, heute Child Soldiers Initiative (CSI) genannt, einer weltweiten Kampagne gegen den Missbrauch von Kindersoldaten.

Den rot gefärbten Händen werde in Kreisen antiisraelischer Aktivisten allerdings noch eine weitere Bedeutung zugeschrieben, konstatierte die NZZ. Sie sollen angeblich an einen Vorfall erinnern, bei dem 12. Oktober 2000 in der palästinensisch kontrollierten Stadt Ramallah im Westjordanland ein Mob zwei israelische Reservisten lynchte. Ein italienisches Fernsehteam habe den Moment gefilmt, als einer der Mörder ans Fenster trat und der draussen stehenden Menge seine blutverschmierten Hände zeigte. (dsc)

Warum ist Frankreich im Visier der Russen?

Paris ist im Fadenkreuz des Kremls, seitdem der französische Präsident Macron gegenüber seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin einen harten Kurs fährt und auch die Entsendung von Bodentruppen nicht ausschliessen will.

Die Graffitis der «roten Hände» erinnern an frühere, offenbar auch russisch inspirierte Sprayaktionen mit blauen Davidsternen an Pariser Hausfassaden. Vor den Olympischen Spielen in Paris schüren russische Trolls Ängste ausländischer Gäste vor einer angeblichen Bettwanzen-Invasion. Macron ist auch persönlich im Visier, geisterten doch Meldungen durch das Netz, die Gattin Brigitte Macron sei «trans» und ursprünglich ein Mann gewesen.

Die französische Regierung hat Anfang Mai reagiert und die Social-Media-Plattformen angewiesen, gegen sogenannte Deepfakes und andere Manipulationen schneller und systematischer vorzugehen. Die für Informatik zuständige Staatssekretärin Marina Ferrari erklärte, der Kampf gegen die Desinformation sei für die westlichen Demokratien eine alltägliche Aufgabe geworden – «und in Wahlzeiten sogar lebenswichtig».

Der französische Geheimdienst DGSI ermittelt gegen ein von Moskau gesteuertes Propagandanetz namens «Portal Kombat», bestehend aus 193 Einzeladressen. Sie haben eine gesamteuropäische Dimension.

  • Frankreich hat deshalb zusammen mit Deutschland und Polen bereits anfangs dieses Jahres eine gemeinsame Planungsgruppe gegen die Troll-Lawinen aus dem Osten gebildet.
  • Tschechien hat seinerseits Sanktionen gegen das einem Oligarchen gehörenden Portal Voice of Europe erlassen, das bis ins Europäische Parlament in Strassburg wirkt. Ferner hat Prag drei Personen wegen russischer Spionage mit Sanktionen belegt.

Russland schmiert Europaabgeordnete – und profitiert auch, wenn sie auffliegen

Der belgische Premierminister Alexander de Broo hat im März bekannt gemacht, Russland bezahle auch Europaabgeordnete aus Deutschland, Frankreich, Ungarn, Polen, Belgien und den Niederlanden. Der deutsche AfD-Vertreter Petr Bystron musste seine Wahlarbeit deshalb einstellen. In Paris erklärte Marine Le Pen – die von einer putinnahen Bank 2017 zumindest einen Kredit erhalten hatte –, sie sei nicht betroffen.

Moskau bestreitet jede Mitwirkung oder Drahtzieherschaft, im Fall der «roten Hände» genauso wie gegenüber den belgischen Behauptungen. Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew, heute Nummer zwei der Nationalen Sicherheit seines Landes, hatte allerdings im Februar freimütig erklärt, dass es wichtig sei, dass Moskau russlandfreundliche Westpolitiker unterstütze – und dies «auf alle möglichen, offiziellen oder geheimen Arten».

Auch der französische Forscher David Colon, Autor eines Buches über den «Informationskrieg» in Europa, erklärte, die Bezahlung von Politikern gehöre wie Hackerangriffe, Fake-Kampagnen oder Influencer-Manipulierung zu den russischen «Hybrid-Waffen».

Die Korrumpierung von Parlamentariern erlaube eine wirksame Politspionage, aber nicht nur: Wenn diese «nützlichen Idioten» aufflögen, untergrabe dies allgemein das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Darauf sei Putin ganz besonders aus.

Quellen

(aargauerzeitung.ch)

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kramofix
28.05.2024 17:45registriert August 2021
Seit mindestens 2016 manipuliert Russland mit Falschinformationen westliche Demokratien und destabilisiert die demokratische Grundordnung. Wir sind längst im Krieg mit Russland, wir haben es nur noch nicht gemerkt.
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MartinZH
28.05.2024 23:34registriert Mai 2019
Putins RuZZland führt einen hybriden Krieg gegen "den Westen".

Das Ziel ist: Stimmungsmache, Spaltung der Gesellschaft und die "Salonfähigkeit-Machung" der rechtspopulistischen u. anti-demokrat. Kräfte in Europa.

Die Europa-Wahlen werden nachweislich vom Kreml beeinflusst. Und die Zuwendungen des Kremls zugunsten der AfD und weiteren Parteien sind nur die Spitze des Eisbergs.

Die freie, demokratische Welt MUSS sich gegen diese Einflussnahme wehren. Die russ. Machenschaften müssen klar benannt u. offengelegt werden.

Es ist NICHT 'pathetisch' festzustellen, dass die Demokratie in Gefahr ist.
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Krasse Siech
28.05.2024 22:19registriert Dezember 2023
Dabei darf nicht vergessen werden, dass sich der Angriff auf Juden in F innerhalb kürzester Zeit verzehnfacht hat. Und mir ist nicht bekannt, dass ein einziges Mal ein Lepenist der Täter war. Im Ggs. zur üblichen Darstellung sind nicht mehr irgendwelche Reaktionäre Wähler der Le Pen. Vielmehr sind es zunehmend Minderheiten und Berufsgruppen, die täglich an Leib und Leben bedroht sind: Juden, Schwule, Lehrer, Pfleger etc. Sogar bei den Jungen ist sie Nummer 1, da auch sie zu den Hauptopfern der Islamisierung gehören.
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