Die ersten Stunden sind eine Qual: Als Bodyguard-Heinrich werde ich dazu gezwungen mit Adel-Hans eine Männerfreundschaft einzugehen, die mit pubertierenden Sprüchen und Möchtegern-Situationskomik um sich wirft. Obendrauf kommt ein schwieriges Frauenbild und eine Geschichte, die mich für dumm verkaufen möchte. Dazu gesellt sich eine schwache Technik, die mir aus dem Nichts auftauchende Objekte, stocksteife Gesichtsanimationen und eine Lippensynchronität aus der Game-Hölle um die Ohren haut.
Die Erinnerungen an den ersten Teil rütteln jedoch das Durchhaltevermögen wach. Auch damals war alles vorerst harzig und anstrengend, doch die Welt zog einen immer mehr hinein, auch wenn sich der historische Kontext hin und wieder zu viele Freiheiten gönnte. Das tut die Fortsetzung übrigens auch, aber das ist eine andere Baustelle.
Ich mache weiter und akzeptiere diese eigenwillige Bromance, die durchaus ihren storytechnischen Sinn besitzt, und lasse mich hoffnungsvoll treiben. Doch schon stolpere ich über das Kampfsystem, das so gar nicht in mich hinübergehen möchte. Also muss ich qualvoll viel üben, um mich später den Rittern, den Banditen und anderen Gruppierungen erwehren zu können.
Als gewisse Umstände dazu führen, dass Hans und Heinrich fast nackt in einer alten Waldhütte landen, anschliessend ein Tutorial im Tutorial beginnt und die Zeit einfach nicht vorübergehen möchte, ist der Geduldsfaden dem Reissen nah. Es folgen noch ein paar peinliche Dialoge mehr und ein klassischer Besuch in einer Schenke, wo wiederum ein schwieriges Frauenbild vorherrscht, bis es dann endlich geschieht: Das Spiel öffnet sich und breitet wohlwollend seine Arme aus.
Aus Gründen werde ich von Hans getrennt und bin nun auf mich alleine gestellt. Ich habe keine ordentliche Kleidung, keinen Job und Hunger. Willkommen auf der untersten Hierarchiestufe. Also muss ich mich jetzt dem Mittelalter stellen, selber klar kommen und mich rollenspieltechnisch entscheiden, in welche Richtung ich mich denn nun entwickeln möchte. Ich kann zwar jetzt brav der Story folgen, die mich dann schon an die richtigen Orte bringt und mir die richtigen Hinweise vor die Füsse legt, oder ich lasse mich auf die Nebenaufgaben ein, die mich ablenken wollen.
In den nächsten Spielstunden wird es eine Mixtur aus beidem. Ich folge dem Hauptpfad, um Rache an der Vergangenheit zu nehmen und mittelalterliche Tyrannen im 15. Jahrhundert zu bodigen, als auch den seichten aber wahnsinnig unterhaltsamen Nebenaufgaben. Kurzweilige Liebschaften, heldenhafte Abenteuer, Spurensuche bei Nacht und viele andere Begebenheiten, welche den sprudelnden Ideenreichtum des Entwicklerstudios zeigen, wollen erledigt werden.
Doch der Abstand zwischen Hauptstory und Nebenbeschäftigungen wird immer grösser bis beide fast nicht mehr sichtbar werden. Denn weder der Reiz der Hauptgeschichte noch die oftmals vorhandene Kuriosität der Nebenquests können mich davon abhalten, dass ich mich immer mehr einem Bestandteil dieser Welt widme, die mir schon von Anfang leise von Weitem zurief: Die Natur.
So kommt es denn, dass ich mich vom eigentlichen Spiel immer mehr verabschiede und durch die Welt spaziere, um die freie Natur aufzusaugen. Ich entdecke kleine Trampelpfade, die mich an verwunschene Orte bringen, ich schleiche durch kleine und grosse Wälder in denen kein Baum dem anderen gleicht und ich bleibe oft einfach nur minutenlang stehen und beobachte das Treiben der Flora und Fauna.
Hin und wieder taucht ein Mensch auf, der mit mir ein Schwätzchen halten möchte oder ein Tier rennt aus dem Unterholz an mir vorbei, dem ich wehmütig nachblicke. In der Ferne wartet eine Burg auf ihre Entdeckung, ein plätscherndes Gewässer verlangt nach Aufmerksamkeit und die totale Freiheit umschmeichelt mich in jeder Sekunde. Was genau verbirgt sich dort bei der Baumgruppe? Werde ich hinter dem nächsten Hügel noch mehr von der Natur überwältigt? Und was passiert eigentlich, wenn ich einem Passanten einfach nur die ganze Zeit über durch die wunderschöne Landschaft folge?
Einfach mal stehen bleiben und horchen ist ebenfalls eine spielerische Option, welche die Sinne kitzelt. Wahrlich faszinierend, was die Entwickler hier geleitstet haben und den Augen und Ohren präsentieren. So wandert die Lust nach der Hauptgeschichte immer mehr nach hinten. Auch wenn ich in der Haut von Heinrich durch das vergangene Böhmen schlendere, bleibt mir sein Schicksal vorerst total egal.
Ich weiss ehrlich gesagt nicht wie viele Stunden ich bereits mit dem ziellosen Spazieren und Entdecken in dieser fantastischen Welt verbracht habe, und möchte es eigentlich auch gar nicht wissen, aber ich weiss, dass es noch mehr werden. Vielleicht gönne ich mir mal noch eine Nebenaufgabe. Vielleicht werde ich Heinrich auch noch bis zum Ende seines persönlichen Dramas begleiten und ihm das geben, wonach er so lange schon dürstet.
Aber vorerst bin ich dann mal wieder weg und begebe mich auf den nächsten Trampelpfad, um mich der Natur, der offenen Spielwiese komplett hinzugeben und geniesse dabei jede einzelne Minute in der totalen Freiheit, die mir wiedermal aufzeigt, dass ein Videospiel auch komplett anders funktionieren kann, um stundenlang zu begeistern.
«Kingdom Come: Deliverance 2» ist erhältlich für Playstation 5, Xbox Series X/S und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.
Was ist schwierig oder problematisch?
Diese Kritik verstehe ich nicht.
Das Spiel ist bekanntlich im Mittelalter angesiedelt.
Frauen waren damals rechtlich weitestgehend handlungsunfähig und es gab extreme Rituale wie Hexenverbrennungen etc.
Entweder ist das Spiel einigermassen historisch realistisch oder dann eben total verfälscht.
Jahrelang habe ich gar nicht mehr PC Spiele gespielt, KCD hat mich dazu zurückgeholt :)
Ne Spass beiseite. Das Spiel ist echt ein spielbares Gemälde. Hat seine Macken aber man merkt wieviel Liebe zum Detail da drinsteckt.