Sam Porter (Norman Reedus) ist wieder da. Wobei er eigentlich nie weg war. Denn 11 Monate nach den Ereignissen des ersten Teils hat sich der Postbote mit dem Kleinkind Lou einfach zurückgezogen und sich von der kaputten Gesellschaft komplett abgewandt. Doch als er unverhofft Besuch in seiner eigentlich gut versteckten Bude bekommt, muss er wieder aufbrechen, um das zu tun, was er am besten kann: Pakete ausliefern und Menschen miteinander verbinden.
Es ist (immer noch) kompliziert: Nach einer globalen Katastrophe ist die Menschheit komplett auseinandergebrochen und karge Landschaften haben den Planeten zurückerobert. Parallel machen Geisterwesen das Leben an der Oberfläche ungemütlich, verschiedene Gruppierungen suchen nach einem neuen Sinn und Technologie beherrscht das menschliche Sein.
In diesen schwierigen Zeiten stampfte Sam durch malerische Landschaften und brachte Pakete von A nach B. Zusätzlich sorgte er mit technischem Schnickschnack dafür, dass sich verschiedene Stationen miteinander verbinden und die Menschen wieder näher zusammenrücken. Sam brachte quasi das neue Internet in abgelegene Bereiche in Nordamerika damit sich die neue Vereinigung UCA entfalten und wachsen konnte.
Zusätzlich trafen wir in «Death Stranding» auf viele schräge Figuren, die uns eine verworrene Hintergrundgeschichte erzählten, die wir bis heute nicht ganz entschlüsseln geschweige denn verstehen können. Sam wurde zudem zum Babysitter indem er ein ganz besonderes Kind beschützte, das er stets bei sich trug. Dieses eine Kind, das nun bei ihm lebt, beschützte wiederum Sam selber, damit er seine (Helden-)Reise fortsetzen und bestehen konnte.
Wie schon erwähnt, kann sich Sam nach den Ereignissen im ersten Teil nicht wirklich ausruhen und sein verdientes einfaches Leben geniessen. Denn die Vereinigung UCA braucht wieder seine Hilfe, weil sie sich gen Süden nach Mexiko ausdehnen und weitere Menschen verbinden möchte. Diese friedliche Mission wird schliesslich aus Gründen angenommen und löst Ereignisse aus, die Sam ziemlich durchrütteln werden.
Doch nach diesen ersten Irrungen und Wirrungen geht es erst richtig los: Ein ganzes Team aus verrückten Figuren wartet auf seine Mithilfe, ein neuer Schauplatz (Australien) will jenseits von Nordamerika via Portal (!) erschlossen werden, neue Antagonisten betreten die Bühne und der Sack mit Fragezeichen wird immer voller.
Es gibt wieder jede Menge zu tun. Nebst den obligaten Missionen, die die Geschichte vorantreiben, darf man sich auf der Landkarte gehörig austoben und ganz viel anstellen, um mit ausgeklügelter Future-Technik Menschen zu beliefern und zu verbinden. War der Vorgänger in Sachen Landschaften doch etwas gar eingeschränkt, bietet der neue Kontinent eine Fülle an unterschiedlichen Landschaftsbildern, welche die Abwechslung gehörig nach oben drückt und unsere Augen jederzeit erfreut.
Auf seiner neuen Reise trifft Sam nicht immer auf wohlgesinnte Menschen. Denn auch Banditen, übersinnliche Wesen und religiöse Gruppierungen wollen uns den simplen Paketdienst erschweren. Bevor ein neuer Lieferdienst beginnt, dürfen wir uns aber auf der Karte einen genauen, sicheren Weg bahnen, um an unser Ziel zu kommen. Der leichtere Weg, wo uns Naturereignisse wie Erdbeben oder Extremwetter in den Weg stellen, kann sich aber auch als sehr zäh präsentieren.
Wem das alles dann doch zu anstrengend ist, der sattelt seine Waffen und geht in bestimmten Gebieten auf Konfrontation. Hier darf zwar auch herumgeschlichen und brav infiltriert werden, doch eine aggressive Vorgehensweise ist ebenfalls möglich und spieltechnisch halt auch einfacher.
Auch wenn hier dann fröhlich herumgeballert und geprügelt werden darf, drücken sich jene kurzen Actionsequenzen aber nie in den Vordergrund. Das gemütliche Reisen und der Kampf gegen die raue Natur ist und bleibt der Kern der Spielmechanik. Daran ändern auch die eindimensionalen Bosskämpfe, die regelmässig zur Ballershow einladen, überhaupt nichts.
Wie schon im Vorgänger darf im verschachtelten Spielmenü allerhand eingestellt, gewerkelt und ausprobiert werden. Vor allem wenn ihr euch in einer der Basen aufhaltet, werdet ihr von so vielen Möglichkeiten erschlagen, dass ihr manchmal nur noch froh seid, wenn es endlich mit der nächsten Lieferung weitergehen kann.
Tüftler und besonders verspielte Naturen gehen natürlich besonders tief rein in die Spielmechanik und staunen darüber, was hier alles möglich ist und wie detailverliebt Hideo Kojima wiedermal seine zahlreichen Ideen umgesetzt hat.
Ihr könnt eure Ausrüstung optimieren, eure Waffen upgraden, Dokumente erforschen, Fahrzeuge bauen, Gadgets konstruieren und noch viele weitere Dinge herstellen sprich Fähigkeiten verbessern und herumwerkeln, damit die Reise bequemer und leichter vonstatten geht.
«Death Stranding 2» ist ein visuelles Meisterwerk. Alleine der Prolog und die anschliessenden ersten Spielstunden lassen unsere Münder offen stehen. Die fast schon fotorealistische Optik lässt uns genau hinschauen und überrascht immer wieder, wie gut dieses Videospiel aussieht und wie lebensecht die Figuren darin agieren. Egal ob aktive Spielabschnitte oder Zwischensequenzen konsumiert werden, das Staunen will nicht mehr aufhören.
Schon der Erstling konnte auf visueller Ebene komplett überzeugen. Was jedoch die Fortsetzung uns kredenzt ist wahrlich meisterhaft. Obendrauf gibt es eine musikalische Untermalung, die immer wieder perfekt passende Stücke in der Szenerie hinzufügt, wenn der richtige Moment gekommen ist. Hideo Kojima hat wiedermal bewiesen, dass er ein geschmeidiges Händchen besitzt, um an bestimmten Stellen die nötige Tonalität zu treffen.
Trotz berauschender Audio und Visualität kann «Death Stranding 2» nicht verbergen, dass während mehr als 50 Spielstunden more of the same serviert wird. Die Areale sind grösser und weitläufiger, die Geschichte noch verwirrender und ausufernder, die Figuren noch abgefahrener und witziger, die Action noch knackiger und kurzweiliger und die spielmechanische Tüftelei noch tiefer und verspielter. Wer den ersten Teil schon geliebt hat, der wird mit der Fortsetzung nochmals eine Gefühlswelle sondergleichen erhalten, sich frisch verlieben und Welten entdecken, die begeistern und einlullen.
Wer schon beim ersten Teil den Kopf geschüttelt hat, wird einen grossen Bogen um das Sequel machen. Doch was ist mit den Spielenden, die Teil 1 nicht kennen, aber nun auf der Playstation 5 einen ordentlichen Exklusivtitel spielen möchten?
Auch wenn einige Geschehnisse aus dem Vorgänger erzählt werden und es vor Spielbeginn die Möglichkeit gibt eine kurze, leider nicht so sehr aussagekräftige Zusammenfassung anzusehen, bleiben viele, viele Dinge im Dunkeln und viele, viele Zusammenhänge, Begegnungen und Anspielungen werden vorbeirauschen und Fragezeichen hinterlassen.
Wer also frisch ins «Death Stranding»-Universum einsteigen möchte, sollte sich vorher am besten online ein paar Zusammenfassungen anschauen, um über ein gewisses Grundwissen zu verfügen. Oder dann halt auch einfach den ersten Teil durchspielen, der ja «nur» etwa 40 Stunden dauert.
Manche verehren den Spielemacher Hideo Kojima abgöttisch während andere sein Tun und Schaffen zu überbewertet finden und dafür nur ein müdes Schulterzucken übrig haben. So oder so, der Japaner ist ein Unikat in der Videospielindustrie und geht seit Jahren einen komplett eigenen Weg. Er schaut weder nach links noch rechts, sondern schreitet mit Scheuklappen gerade aus und zieht stets sein Ding durch.
Das wird auch in «Death Stranding 2» immer wieder deutlich. Mit ganz viel Liebe zur Populärkultur, zur Filmwelt und Musiklandschaft nimmt er sich seine Vorlieben heraus und tunkt einzelne Elemente in seine neu erschaffene Welt, in der er schalten und walten kann, wie er möchte. Er ist im wahrsten Sinne sein eigener Boss und hat wieder ein Werk ganz nach seinen eigenen Vorstellungen kreiert.
Mit viel Witz und Drama hat Kojima eine neue Geschichte auf den Bildschirm gezaubert, die zwar verstören und verwirren mag, aber auch berührt. Von Anfang bis Ende menschelt es gewaltig in diesem Videospiel, das obendrauf mit ganz viel Sozialkritik daherkommt. Manchmal mit der Faust aufs Auge nach Aufmerksamkeit schreiend, manchmal ganz behutsam zwischen den Zeilen verpackt.
Dass er es manchmal viel zu gut meint, mit langen Zwischensequenzen überbordet und irgendwie nur schwer zu einem finalen Schluss kommen kann, ist bekannt und wird ihm verziehen. Denn ein solch intensives Autoren-Game ist in der heutigen generischen Videospiellandschaft, die oft zu tief in der Sackgasse feststeckt, mit offenen Armen sehr willkommen.
Auch wenn man seine Künste nicht mag und seiner Kreationen überdrüssig geworden ist, sein jüngstes Schaffen ist beeindruckend, verlangt Respekt und tut dem Medium Videospiel mehr als gut, indem es aufzeigt, was ein einzelner Schaffensgeist alles zaubern kann, um uns Spielende zu unterhalten und zu begeistern.
Fazit: Auch die Fortsetzung ist eine eigenwillige Videospielerfahrung, die Geduld braucht und mit seiner stellenweise intensiven Entschleunigung unsere Nerven strapaziert. Doch «Death Stranding 2» ist auch eine Wohltat. Es tut gut, sich dieser Geschichte mit seinen schrulligen Figuren hinzugeben und alle Ideen dieses aussergewöhnlichen Spielemachers aufzusaugen und erleben zu dürfen.
Auch wenn spielmechanisch kaum Neuland entdeckt und in dieser Fortsetzung schlicht more of the same kredenzt wird, kann man sich den opulenten Schauwerten gepaart mit perfekt ausgewählten Songs nicht entziehen. Was hier alles fürs Auge und für die Ohren geboten wird, ist wirklich ganz gross und gehört zum Besten, was die Videospiellandschaft aktuell zu bieten hat.
Und auch wenn nach dem Schlussakt wieder viele, viele Fragen im Raume stehen bleiben und narrative Löcher in einem wuchern, nickt man nach dem Abspann ehrfürchtig gen Bildschirm und kann sich kaum vorstellen, wie ein eventueller dritter Teil das alles noch übertreffen mag.
«Death Stranding 2: On the Beach» ist erhältlich für Playstation 5. Freigegeben ab 18 Jahren.