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Ghost of Yotei Review: Das vielleicht beste Spiel, das ich je spielte

Der Yotei-zan in Hokkaido: Hier fliesst bald schon sehr viel Blut.
Der Yotei-zan in Hokkaido: Hier fliesst bald schon sehr viel Blut.bild: zvg
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Das vielleicht beste Game, das ich je gespielt habe

25.09.2025, 15:0125.09.2025, 16:39

Was unterscheidet ein gutes Spiel von einem herausragenden? Ein gutes Game macht keine grossen Fehler. Damit hält es die SpielerInnen bei Laune – so lange, bis diese zum nächsten guten Game weiterziehen.

Herausragende Games sind anders. Sie können sich Fehler erlauben – auch grobe Schnitzer. Sie können das, weil sie über ein Alleinstellungsmerkmal verfügen, das sämtliche Kritikpunkte überstrahlt. Ein Beispiel: «Cyberpunk 2077». Jesus Maria! Ein Handling, als hätten sich Videospiele seit 1992 und «Wolfenstein 3D» nicht mehr weiterentwickelt. Trotzdem ist «Cyberpunk 2077» ein herausragendes Game. Warum? Wegen der Atmosphäre. Die fiebrige Endzeitstimmung in Night City ist dermassen überwältigend, so dicht, dass die (berechtigte) Kritik an Gameplay und Handling darin untergeht.

«Ghost of Tsushima»: Nie sah eine Open World so malerisch aus.
«Ghost of Tsushima»: Nie sah eine Open World so malerisch aus.bild: Screenshot

Auch «Ghost of Tsushima» hatte 2020 ein paar Mängel. Es ist Klagen auf allerhöchstem Niveau, aber das Game war repetitiv. Immer wieder Füchse verfolgen, immer wieder feindliche Lager ausheben, klettern, ah, ein Schrein, cool, next. Und die Story? Die war doch eher fad.

Doch «Ghost of Tsushima» hatte eben auch dieses Alleinstellungsmerkmal, dieses Ding, das alles überstrahlte: Noch nie war ein Open-World-Game so malerisch inszeniert worden. «Malerisch» ist untertrieben. Die visuelle Umsetzung von «Tsushima» war fast schon poetisch. Die Wälder, die Blumenmeere, die Wetterlagen, das Blut im Schnee … wie sich das Gras im Wind wiegt – ein Game-Design, als hätte Caspar David Friedrich darüber gewacht. «Ghost of Tsushima» war mit Abstand das schönste Open-World-Game seiner Zeit. Entsprechend viele Preise sahnte Hersteller Sucker Punch dafür ab.

Die «Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung» des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich, 1822.
Die «Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung» des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich, 1822.

Am 1. Oktober erscheint nun endlich der Nachfolger «Ghost of Yotei». Japan-Fans werden es wissen: Der Yotei-zan ist ein Vulkan auf der Nordinsel Hokkaido (im 17. Jahrhundert noch Ezo genannt). In seinem Schatten muss die kleine Atsu zusehen, wie ihre Familie von der tarantinoesken Gangstertruppe Yotei Six niedergemetzelt wird. Sie selbst überlebt wie durch ein Wunder. Nach Jahren im Exil kehrt Atsu als kampferprobte Frau zurück, um an den Mitgliedern der Yotei Six Rache zu nehmen. So weit das neue Setting.

Der offizielle Release-Trailer

Das Spiel startet indes mit viel Altbekanntem. Atsu reitet durch eine wunderschöne Graslandschaft mit Blumen. Vor ihr steigen Kraniche auf, neben ihr grast eine Wildpferdherde, im Wald nebenan steht ein kapitaler Hirsch. Das sieht erneut alles wunderschön aus – noch romantischer als beim Vorgänger, noch dramatischer. Auch die ersten Kämpfe sind «Tsushima» 2.0 – mehr Ballett als Kneipenschlägerei. Wer «Tsushima» liebte, wird sich in «Yotei» sofort wohl fühlen.

Doch nach dem zehnten Kranichschwarm über einer Wildpferdherde beschleicht mich langsam das Gefühl, dass sich Sucker Punch aufs Akzentuieren der Stärken von «Tsushima» beschränkte – und den Yumi (Langbogen) dabei etwas überspannte. «Bis jetzt ist es einfach ein aufgebohrtes ‹Tsushima›», berichte ich meinem Nachbarn über den Zaun meine ersten Eindrücke nach ein paar Stunden Testzeit. «Es tut weh, das zu sagen. Aber es ist fast ein bisschen Disney-Kitsch.»

Ein Vogelschwarm kommt selten allein. Zu Beginn übertreibt es Sucker Punch mit den Wildtieren. Während gewisser Szenen wechselt das Bildformat auf das ultrabreite Kinoformat 2.35:1.
Ein Vogelschwarm kommt selten allein. Zu Beginn übertreibt es Sucker Punch mit den Wildtieren. Während gewisser Szenen wechselt das Bildformat auf das ultrabreite Kinoformat 2.35:1. bild: zvg

Freundlicher ausgedrückt: Die ersten Stunden «Ghost of Yotei» fühlen sich an wie ein Nachhausekommen. Die Kämpfe mit dem Katana (Schwert) erfordern noch immer Geduld und Präzision. Wer einfach nur auf die Tasten hämmert, beisst bald schon ins saftige Ezo-Gras. Neu ist, dass gewisse Angriffe der Gegner das Potenzial haben, Atsu zu entwaffnen. Wie schon bei «Tsushima» zeigt sich auch bei «Yotei»: In der Ruhe liegt die Kraft.

Auch die Szenerie von «Yotei» erinnert stark an «Tsushima» – auch wenn wir uns 400 Jahre später befinden. Neu existieren eine Art Blumen-Strassen. Auf diesen lässt sich schneller reiten. Ein kompletter Unsinn in meinen Augen. Diese Szenerien sind zum Geniessen da. Alles andere als leichter Trab wird der Schönheit der wilden Klippen, der Steppen und der Berglandschaften von Ezo nicht gerecht.

Warum die Eile bei diesem Panorama?
Warum die Eile bei diesem Panorama? bild: zvg

Ebenfalls nicht neu ist die Hilfe von Tieren. Was bei «Tsushima» der Fuchs war, ist in «Yotei» ein Wolf. Auch hier wird nicht mit der Brechstange Neues erzwungen – doch es gibt kleine, aber feine Unterschiede. Konnte der Fuchs in «Tsushima» bloss ein bisschen gestreichelt (getätschelt) werden, entwickelt sich in «Yotei» zwischen dem Wolf und Atsu langsam eine Beziehung. Das fällt mir aber erst später auf – als ich bereits mit mehreren Waffen ausgerüstet bin und realisiere, wie auch das hervorragende Kampfsystem von «Tsushima» einen Feinschliff erhalten hat. Die Änderungen werden in «Yotei» tröpfchenweise eingeflösst.

Einzelkämpfe gegen Zwischengegner können schon einmal eine knackige Herausforderung darstellen.
Einzelkämpfe gegen Zwischengegner können schon einmal eine knackige Herausforderung darstellen.bild: zvg

Jin erlernte im Verlaufe seiner Abenteuer in «Ghost of Tsushima» verschiedene Kampfhaltungen. Damit konnten sich SpielerInnen den verschiedenen Gegner-Typen anpassen. Der Grundidee, dass andere Gegner andere Mittel erfordern, ist man treu geblieben. Doch statt neue Kampfhaltungen erarbeitet sich Atsu im Verlauf der Story ein ganzes Arsenal an verschiedenen Nah-, Fern- und Schnellfeuerwaffen. Konkret sind es fünf Nahkampfwaffen: das Schwert (Katana), das Doppelschwert (Double Katana), ein Zweihänder (Odachi), ein Speer (Yari) und eine Kette mit Sichel und Gewicht an den Enden (Kurasigama). Im Fernkampf helfen Atsu ein Kurz- und ein Langbogen, aber auch ein Gewehr (Tanegashima). Und als ob das noch nicht genug wäre, kriegt unsere Heldin mit Wurfmessern, Bomben und einer Pistole auch noch Schnellfeuer-Gerät.

Mein persönlicher Favorit: das Kurasigama. Es kann Schilder zerschmettern und aus der Distanz lautlos morden.
Mein persönlicher Favorit: das Kurasigama. Es kann Schilder zerschmettern und aus der Distanz lautlos morden.bild: zvg

Parallel zum Umfang an Mordwerkzeug wurden verschiedene Schleich- und Abmurks-Techniken ausgebaut. Atsu kann beispielsweise nun auch aus der Distanz lautlose Attentate ausüben. Die umfangreiche Palette sorgt dafür, dass sowohl Tanks als auch Fernwaffen-Fetischisten oder hinterlistige Meuchler auf ihre Kosten kommen.

Langsam zeigen die Tröpfchen Wirkung. Nach ungefähr zehn Stunden muss ich zugeben, dass mein erster Eindruck falsch war. «Ghost of Yotei» beginnt wie «Ghost of Tsushima» 2.0, entwickelt sich dann aber immer mehr zu einem eigenständigen Titel. Man kann es Entwicklung nennen – oder auch Fortschritt. Denn «Yotei» legt in praktisch allen Bereichen noch zwei, drei Schippen obendrauf. Nicht mit brachialer Gewalt. Hier wurde mit feiner Klinge vorgegangen.

Da wäre beispielsweise der Hauptcharakter: Ja, ich mochte Jin auch. Hätte ich die Wahl, würde ich aber lieber mit Atsu auf einen Sake gehen. Nicht wegen ihres Geschlechts, sondern wegen ihres Humors. So locker wie die Wurfmesser schleudert sie auch mit bissigen Kommentaren um sich. Nicht selten lache ich lauthals heraus. Und Atsu hat Herz – Jin war mir etwas zu unnahbar. Ihre Entwicklung ist deutlich interessanter als die ihres Vorgängers. Sie hat in ihrem Leben vorwiegend Brutalität kennengelernt. Ausgerechnet auf ihrem Rachefeldzug muss sie ihre Komfortzone Krieg nun aber verlassen und sich auch den weniger gewalttätigen Seiten des Lebens stellen.

Die zahlreichen NPCs (wie dieser Kartograf) verfügen über einen eigenständigen Charakter und wirken weit weniger platt als die üblichen Open-World-Dummies.
Die zahlreichen NPCs (wie dieser Kartograf) verfügen über einen eigenständigen Charakter und wirken weit weniger platt als die üblichen Open-World-Dummies. bild: zvg

Ebenfalls mit viel Liebe wurde an den Dialogen gearbeitet. Man merkt, dass dafür viel Zeit und Mühe investiert wurde. Die NPCs unterscheiden sich deutlich in Charakter und Auftreten und sorgen dafür, dass in «Yotei» nie das Gefühl von tumbem Wiederholen der immergleichen Aufgaben aufkommt.

In dieselbe Kerbe schlagen das Level-Design und die Sidequests. Ich habe in einem Open-World-Game noch nie so viel Abwechslung erlebt. Immer mal wieder erhält Atsu Begleitung, kämpft in Schlachten und Getümmel, unter Kanonenbeschuss, auf einer brennenden Brücke, in einer Tropfsteinhöhle, im Tiefschnee, im Bambuswald, entlang von Klippen … die Schauplätze sind, man kann es nicht anders sagen, atemberaubend.

Die Schönheit der Natur bietet den Kriegsgräueln die Stirn.
Die Schönheit der Natur bietet den Kriegsgräueln die Stirn. bild: zvg

Meine Befürchtung von Disney-Kitsch verflüchtigt sich mit Fortlauf des Spiels immer mehr. Das hat auch damit zu tun, dass Sucker Punch im ersten Gebiet («Yotei» ist ungefähr gleich gross wie «Tsushima») tatsächlich etwas zu dick aufgetragen hat. Der Superlativ des Vorgängers darf getrost erneuert werden: Noch nie sah ein Open-World-Game so malerisch aus. Doch zu diesem Superlativ gesellen sich weitere: Ich kann mich nicht an ein so gut ausbalanciertes Game erinnern. Jeder Kampf macht Spass. Dann erwischt es Atsu halt mal. Egal. Dafür darf man es erneut versuchen. Vielleicht mit einer anderen Strategie.

Gleiches gilt für die Liebe zum Detail. Wer beispielsweise von einer Patrouille aufgerieben wird, der wird nicht zwingend einfach ins Jenseits befördert. Die Schergen des Oberschurken Saito wollen manchmal auch ein Exempel statuieren – was ihnen dann wiederum zum Verhängnis werden kann.

Mit dem Yari (Speer) lassen sich Gegner umwerfen. Das kann sich gerade gegen beschildete Kombattanten als sehr nützlich erweisen.
Mit dem Yari (Speer) lassen sich Gegner umwerfen. Das kann sich gerade gegen beschildete Kombattanten als sehr nützlich erweisen. bild: zvg

Spätestens Mitte des zweiten Aktes (von drei) hat der stete Tropfen den Stein endgültig gehöhlt. Mir stellt sich zum ersten Mal die Frage, ob dies das beste Videospiel sein könnte, das ich je gespielt habe. Dagegen spricht eigentlich nur eine einzelne, wirklich untypisch plumpe Story-Wendung, mit der versucht wird, Atsu noch einmal richtig Feuer unterm Dach zu machen. Die Irritation verfliegt dann aber schnell in der folgenden Kurosawa-mässigen Schlacht. Stichwort Kurosawa: Wer will, kann das Spiel mit einem Filter spielen, der die Optik der Filme des japanischen Überregisseurs imitiert. Natürlich stehen auch diverse Synchronisationen zur Auswahl. Als Hobbypurist startete ich mit Japanisch. Doch unten zu lesen und oben zu kämpfen, war mir mit der Zeit zu konfus. Und ich befürchtete, so zu viele von Atsus träfen Kommentaren zu verpassen.

Der Kurosawa-Filter: Ein nettes Feature, aber ich konnte mich nicht über eine längere Zeit damit anfreunden.
Der Kurosawa-Filter: Ein nettes Feature, aber ich konnte mich nicht über eine längere Zeit damit anfreunden. bild: zvg

Ich habe nun 48 Stunden im Schwierigkeitsgrad «medium» auf Ezo verbracht. Nach 44 Stunden sah ich die Credits vorbeirauschen. Um diesen Text auf Ende des Presse-Embargos bereit zu haben, musste ich gegen Ende die Sidequests links liegen lassen, die ruhigen Momente auslassen. Das ist nicht, wie das Spiel genossen werden sollte. Nicht unter Zeitdruck. Viel mehr wie ein japanischer Whisky. In Ruhe, mit Gelassenheit – und einem offenen Herzen.

Obwohl ich in dieser Review vieles weglassen musste – ich hätte vertiefter auf das Gameplay eingehen können, auf die Talentbäume, die Upgrades der Waffen, einzelne Quests –, sollte an dieser Stelle klar sein: «Ghost of Yotei» ist ein herausragendes Spiel.

Erneut hat es dieses Alleinstellungsmerkmal. Doch auch in Sachen Liebe zum Detail, Umfang, Handling und Charakter-Design spielt das Game in schwindelerregenden Sphären.

Hat es auch Schwächen?

Die erwähnte Schwachstelle in der Hauptstory – ja. Und manchmal ist der Andockpunkt für Gespräche mit NPCs nur schwer zu finden.

Doch damit hat es sich.

Offen bleibt nur noch die eine Frage: Ist «Ghost of Yotei» wirklich das beste Spiel, das ich je gespielt habe? Die Frage lässt sich natürlich nicht so einfach beantworten. Mit «vielleicht» oder gar «gut möglich» lüge ich aber mit Sicherheit nicht.

«Ghost of Yotei» erscheint am 2. Oktober für die Playstation 5.

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68 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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magicfriend
25.09.2025 15:13registriert Oktober 2014
Sucker Punch allez! Ich freue mich wie ein kleines Kind darauf. Ghost of Tsushima habe ich als eines von ganz wenigen Games 3x durchgespielt. Es ist in Sachen Langzeitmotiviation, Grafik und Kampfsystem etwas vom Besten was es je gab.
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NepomukVogl
25.09.2025 15:13registriert März 2021
Ich freu mich drauf!! 🤩 Aber RDR 2 wird es wohl nicht von meinem persönlichen Thron stossen 😅
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