Mutter, Vater und Kind sitzen in einem Auto und sind unterwegs durch eine raue Wüstenkulisse in Nordamerika. Auf dem Rücksitz hat der Grossvater mit seinem kleinen Hund Platz genommen und begleitet die kleine Gruppe mit bissigen, nörgelnden Kommentaren. Warum genau diese vier Menschen auf der Reise sind und was ihr Ziel ist, bleibt zunächst unbekannt und soll hier auch auf gar keinen Fall verraten werden.
Während des Roadtrips kreuzt diese Familie den Weg einer anderen: Drei Brüder haben ein klares Ziel vor Augen, um eine dringende familiäre Angelegenheit zu regeln und besitzen dabei keine Berührungsängste, um mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Im Gegenteil: Ein geplantes Verbrechen läuft schnell komplett aus dem Ruder und zieht schwerwiegende Konsequenzen nach sich.
Durch Zufall, oder eher durch mehrere Zufälle, geraten die beiden Familien aneinander und sorgen dafür, dass das Leben ab diesem Zeitpunkt für jeden und jede eine dramatische Wende nimmt, die noch lange, lange nachhallen wird.
Und hier nimmt der Spieler einen wichtigen, aktiven Part ein. Denn in zahlreichen Szenen müssen Entscheidungen gefällt werden, die den Ausgang der Geschichte massiv beeinflussen werden. Das hört sich doch genauso an wie bei allen anderen Genre-Vertretern!? In der Tat, doch «As Dusk Falls» geht dennoch eigene Wege.
Bei «As Dusk Falls» fühlen sich die Entscheidungen im Gegensatz zu anderen ähnlichen Videospielen wirklich massiv an. Will heissen, dass die Entscheidungen die Geschichte in eine komplett andere, kaum vorhersehbare Richtung drehen und die Frage gross im Raum hängen bleibt, was wäre nur aus den Figuren geworden, wenn man sich anders entschieden hätte?
Einige Weggabelungen stellen die Spielenden zudem vor Entscheidungen, wo das Sinnieren gar nicht mehr aufhören will und der Controller für eine Weile links liegen gelassen wird. Kann ich die gleich auszuführende Tat mit meinem Gewissen wirklich vereinbaren und kann ich das Kommende gegenüber den anderen Figuren irgendwie rechtfertigen?
Ein weiterer storytechnischer Kniff ist die Tatsache, dass die Erzählung kurz vor einigen dramaturgischen Höhepunkten in die Vergangenheit wechselt, wo wir eine kurze Episode einer ausgewählten Figur erleben. Diese Rückblicke spielen dann besonders frech mit unseren Gefühlen.
Wenn wir zum Beispiel eine Geschichte aus der Vergangenheit eines unsympathischen Charakters erleben, sprich spielen dürfen, indem entlarvt wird, warum er nun mal so ist, wie er ist, werden wir mit einer grossen Portion Empathie sowie Mitleid überschüttet.
Wie gehen wir nun damit in der Gegenwart um, wo wir eine weitreichende, vielleicht negative Entscheidung treffen müssen, die eben gerade diese eine Figur betrifft? Und wieder beginnt das Sinnieren von vorne.
Neben diesen regelmässigen Rückblenden, die uns die Verhältnisse der Figuren erklären und das eine oder andere Geheimnis aufdecken, besticht «As Dusk Falls» durch seine optische Besonderheit. Die Geschichte wird in einzelnen malerischen Standbildern erzählt, die optisch ganz eigene Wege gehen. Diese stakkatoartige Erzählweise wirkt zu Beginn gar etwas zermürbend und zwingt unser verwöhntes Gehirn zum Umdenken.
Hat man sich aber an diese Optik gewöhnt, was durchaus eine gute Stunde dauern kann, erkennt man, dass diese Standbilder-Erzählung die Gefühlsregungen der Figuren und generell ihre Aussagen und Handlungen zusätzlich verstärkt und ihnen ein enormes Gewicht verleiht.
Fazit: In seiner Grundmechanik ist «As Dusk Falls» eines dieser simplen Videospiele, wo Entscheidungen getroffen werden dürfen, welche die Geschichte, die hier etwa sechs Stunden dauert, in eine andere Richtung lenken.
Was dieses erwachsene Familiendrama jedoch von der Konkurrenz abhebt, ist nicht nur die aussergewöhnliche Standbild-Optik, sondern auch die Tatsache, dass das Spiel gekonnt mit unseren Gefühlen spielt und uns unsympathische Figuren plötzlich mit der Hilfe von Rückblenden sympathisch wirken lässt oder mindestens die Empathie für diese Personen aktiviert.
Kommt dazu, dass sich in «As Dusk Falls» die Entscheidungen auch wirklich wie richtige Entscheidungen anfühlen. Hier müssen nicht einfach nur Weggabelungen eingeschlagen oder simple Objekte ausgewählt werden. Nein, die Entscheidungen gehen ins Eingemachte und haben zum Teil wuchtige Auswirkungen auf die Figuren, die sich auch auf den Spieler übertragen.
Wie wäre die Geschichte wohl ausgegangen, wenn ich mich anders entschieden hätte? Nie war die Lust auf ein erneutes Durchspielen so gross wie hier. Und der Cliffhanger am Ende macht euch einfach nur noch fertig und lässt euch verwirrt und nach Luft schnappend vor dem Bildschirm zurück.
«As Dusk Falls» ist erhältlich für Xbox Series X/S, Xbox One und PC. Freigegeben ab 16 Jahren.