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Heimliche Videos zeigen: Amazon zerstört massenhaft ungeöffnete Ware

Amazons Verhalten, neue Elektronikgeräte und andere Produkte millionenfach zu entsorgen, wird in Berichten aus Grossbritannien als «obszön» gebrandmarkt.
Amazons Verhalten, neue Elektronikgeräte und andere Produkte millionenfach zu entsorgen, wird in Berichten aus Grossbritannien als «obszön» gebrandmarkt.screenshot: youtube
Analyse

Heimliche Videos zeigen: Amazon zerstört weiterhin ungeöffnete Neuware – im grossen Stil

In Amazons Logistikzentren werden abertausende original verpackte Produkte für die Entsorgung vorbereitet. Darunter Laptops, Bücher und Gesichtsmasken, wie ein aktueller Enthüllungsbericht aus Grossbritannien zeigt.
23.06.2021, 11:4924.06.2021, 14:32
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Jetzt mal ehrlich: Wann hast du das letzte Mal bei Amazon eingekauft?

Der jüngste Enthüllungsbericht zu den «Destroy-Stationen» kommt aus Grossbritannien: Dort vernichtet der Online-Riese Amazon jedes Jahr Millionen von unverkauften Produkten, die oft neu und unbenutzt sind.

Das von ITV News gesammelte Filmmaterial zeige «Verschwendung auf einem erstaunlichen Niveau». Und dies, obwohl die heimlich aufgenommenen Videos aus nur einem von 24 Logistikzentren im Land stammten.

Undercover-Aufnahmen aus dem Inneren des Amazon-Lagers im schottischen Dunfermline illustrieren das Ausmass der «Destroy-Ware»: Smart-TVs, Laptops, Drohnen, Haartrockner, hochwertige Kopfhörer, Computerlaufwerke, Bücher in Hülle und Fülle, Tausende von versiegelten Gesichtsmasken – alles sortiert in Kisten mit der Aufschrift «Zerstören».

Ein ehemaliger Mitarbeiter sagte, ihr Ziel sei gewesen, «generell 130'000 Artikel pro Woche zu vernichten».

40 Meilen südwestlich von Dunfermline komme man nach Glasgow, wo Grossbritannien im November die grösste Klimakonferenz der Welt ausrichten werde, heisst es weiter im Enthüllungsbericht. Und doch produziere Amazon «gerade die Strasse hinauf riesige Mengen an Umweltmüll».

«Die Staats- und Regierungschefs sollten den weltgrössten Online-Händler auffordern, mit gutem Beispiel voranzugehen.»
Richard Pallot, Reporter, ITV News

Ist Amazons Vorgehen neu?

Nein.

Nachdem Greenpeace wiederholt auf Missstände hinwies, berichtete watson 2019 über «Destroy-Ware» – die Amazon-interne Bezeichnung für Produkte von Drittanbietern, die in Logistikzentren lagern und vernichtet werden sollen.

Gegenüber deutschen Journalisten sagte der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeits-Management, das Problem betreffe alle Onlinehändler, aber auch «den stationären Handel». Es könne bei all diesen Unternehmen vorkommen, dass sie Produkte im Lager hätten, die dann «vernichtet werden müssen».

Das Problem sei, dass zu viel Angebot geschaffen werde im Vergleich zur Nachfrage. Dadurch entstünden überflüssige Produkte, die dann eben entsorgt würden.

Dass das Zerstören neuer oder neuwertiger Ware unvermindert weiter ging, zeigten zuletzt die Recherchen deutscher Journalisten im Mai dieses Jahres (siehe Quellen).

Was sagt Amazon?

Was Amazon tue, sei nicht illegal, betonen die britischen Reporter in ihrem Enthüllungsbericht. In einer Antwort auf die Ergebnisse der Untersuchung teilte Amazon mit:

«Wir arbeiten auf das Ziel hin, keine Produkte zu entsorgen, und unsere Priorität ist es, nicht verkaufte Produkte weiterzuverkaufen, an wohltätige Organisationen zu spenden oder zu recyceln. In Grossbritannien werden keine Artikel auf die Mülldeponie geschickt. Als letzter Ausweg werden wir Artikel zur Energierückgewinnung schicken, aber wir arbeiten hart daran, die Anzahl der Fälle, in denen dies geschieht, auf Null zu reduzieren.»*

* Übersetzt mit deepl.com.

Warum wird neue Ware vernichtet?

Dazu schrieb Greenpeace schon 2019:

«Was sich nicht schnell verkauft, wird für Drittanbieter auf der Verkaufsplattform Marketplace irgendwann so teuer in der Lagerung, dass sie sich für den Händler nicht mehr rechnet.»

Amazon biete neben Lagerung und Vertrieb für Drittanbieter eine weitere Dienstleistung: Die Vernichtung der Ware zu einem Preis, der deutlich unter dem der Lagerung liege.

Was würde helfen?

  1. Auf Anbieterseite: Amazon und Co. sollten Rabatte einführen für Leute, die bereit sind, etwas länger auf die Auslieferung eines bestellten Produktes zu warten.
  2. Auf Konsumentenseite: Amazon und Co. sollten Rücksendegebühren einführen, wenn jemand online diverse Grössen eines bestimmten Produktes bestellt.
  3. Der Staat sollte die Vorschriften verschärfen für den Handel und die Vernichtung neuwertiger Waren.

Zu 3. In Deutschland wurde eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Vernichtung neuwertiger Waren zurückzudrängen. Das Gesetz gilt seit 2020, aber es wird bislang mangels notwendiger Verordnungen nicht umgesetzt. An denen werde bereits gearbeitet, sagte die Bundesumweltministerin Svenja Schulze vor mehr als 15 Monaten.

Für Online-Shopper weltweit gilt weiterhin:

«Hirn einschalten vor und beim Online-Shopping. Das heisst, nur wirklich benötigte Produkte kaufen und versuchen, möglichst wenige Retouren zu verursachen.»
quelle: watson.ch

PS: Amazon bleibt laut Studie wertvollste Marke

Die Top-100 der weltweit wertvollsten Marken werden einer aktuellen Studie zufolge weiter von US-Techkonzernen wie Amazon dominiert, doch die chinesische Konkurrenz holt auf und übertrifft längst Unternehmen aus Europa.

Mit einem Markenwert von geschätzt 684 Milliarden US-Dollar führt Amazon die Hitliste an, gefolgt von Apple (612 Milliarden), Google (458) und Microsoft (410), wie am Montag aus einer Untersuchung des britischen Marktforschungsunternehmens Kantar hervorging. Wertvollste chinesische Marke ist der Social-Media-Riese Tencent auf Platz fünf, knapp vor Facebook auf dem sechsten Platz.

Quellen

Wir kaufen immer mehr Kleider und die Abfallberge werden grösser:

Video: srf/Roberto Krone
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So sieht's im Amazon-Verteilzentrum aus
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So sieht's im Amazon-Verteilzentrum aus
Schon mal überlegt, wo dein Amazon-Päckli eingepackt wird?
quelle: epa/epa / friedemann vogel
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Die Schweizer lieben Online-Shopping während der Arbeitszeit
Video: srf
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110 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Franz v.A.
23.06.2021 11:59registriert August 2019
Ich habe noch nie bei Amazon bestellt, und werde das auch nie machen. Unterstütze diese Machenschaften nicht.
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Cpt. Jeppesen
23.06.2021 12:21registriert Juni 2018
Nur wenn du genügend Angebot hast bekommst du genug Kunden um das Angebot breiter zu gestalten um noch mehr Kunden zu gewinnen. Und nur die wenigsten sind bereit auf Ware länger als 24 Stunden zu warten. Alles muss jetzt und sofort.
Mit dieser Ausgangslage kann nur der gewinnen, der den Skalierungseffekt für sich am besten nutzen kann. Das damit Umwelt und Menschlichkeit auf der Strecke bleibt, ist seit 30 Jahren bekannt. Dieses zu Regeln müsste gesellschaftspolitischer Konsens sein, ist es aber nicht, siehe CO2 Abstimmung. Von alleine löst sich das Problem nicht, wir alle müssten was tun.
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Madison Pierce
23.06.2021 12:04registriert September 2015
Falls es "nur" um überschüssige Produkte aus dem Marketplace geht, und nicht etwa um Entsorgungen von Rückläufern, weil man zu faul ist, die Ware zu prüfen und zurück ins Lager zu stellen, ist Amazon nur teilweise schuld.

Es ist klar, dass Lagerplatz kostet. Das Problem ist, dass die Herstellung vieler Produkte fast nichts kostet.

Durch die billige Produktion versuchen immer mehr Leute ihr Glück. Vuvuzela? Fidget Spinner? Lustiger Gartenzwerg? Die Idee und eine Anfrage auf Alibaba reicht. Ob man dann 1000 oder 10000 Artikel herstellen lässt, macht nicht so viel aus.
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