Die Schweiz erhält eine digitale «ID» – das sind die wichtigsten Fragen und Antworten
Fast drei Jahre nach dem Nein des Stimmvolks zu einer privaten E-ID hat der Bundesrat am Mittwoch darüber informiert, wie es mit einer staatlichen Lösung weitergehen soll.
Hier erfährst du alles Wissenswerte zur geplanten digitalen Identitätskarte für die Schweizer Bevölkerung.
Warum ist das wichtig?
Ein vom Staat ausgestellter digitaler Identitätsausweis (E-ID) wird unseren Alltag massiv erleichtern. Etwa dann, wenn man Behördengänge bequem online erledigen kann.
Die E-ID soll von allen Personen bezogen werden können, die eine Schweizer Identitätskarte oder Reisepass oder einen hier ausgestellten Ausländerausweis besitzen.
Zwar existieren bereits privatwirtschaftliche Anwendungen, was die für viele geschäftliche Belange wichtige rechtssichere digitale Identifizierung betrifft. Für die breite Akzeptanz eines digitalen Ausweises braucht es jedoch den Staat. Und genau das stellt die zuständige Bundesrätin, Elisabeth Baume-Schneider, mit der am Mittwoch vorgestellten Gesetzesvorlage in Aussicht: «Die Lösung ist rein staatlich.»
Das Vorgehen wurde von grossen politischen Parteien wie der SP in einer ersten Stellungnahme begrüsst.
Welche begründeten Befürchtungen gibt es?
Rechtsanwalt Martin Steiger, Sprecher der Digitalen Gesellschaft Schweiz, zeigte sich gegenüber SRF vorsichtig optimistisch. Der Bund sei mit der neuen E-ID auf dem richtigen Weg. Angesichts der Cyberattacken auf die Bundesverwaltung, respektive auf deren IT-Partner, werde man die genaue Umsetzung der E-ID aber kritisch verfolgen.
Eine Problematik, die sich in Zusammenhang mit der digitalen Identifizierung stellt, ist die Überidentifikation. Damit ist die Befürchtung gemeint, dass sich Nutzerinnen und Nutzer im Internet vermehrt per E-ID zu erkennen geben müssen. Bei alltäglichen Erledigungen, wo es nicht nötig wäre.
Dazu Martin Steiger:
Wie sicher ist das?
Die Nutzerinnen und Nutzer der Schweizer E-ID sollen sich künftig sicher, schnell und unkompliziert digital ausweisen können, wie die Verantwortlichen betonen. Die Vorlage berücksichtige Sicherheits- und Datenschutzbedenken.
«Wir werden alles unternehmen, um die E-ID zu schützen», versprach Baume-Schneider. Die Bürgerinnen und Bürger hätten die Hoheit über ihre Daten, ausgestellt werde die E-ID ausschliesslich durch den Staat.
«Private Firmen spielen bei der Herausgabe der E-ID keine Rolle mehr», untermauerte Michael Schöll, Direktor des Bundesamts für Justiz (BJ).
Der Datenschutz soll wie bei der Covid-Zertifikate-App durch das System selbst gewährleistet sein («Privacy by Design»). Zudem sollen bei der Nutzung möglichst wenig Daten übermittelt werden (Prinzip der Datensparsamkeit).
Ist die Nutzung freiwillig?
Ja.
Die Nutzung einer E-ID soll freiwillig und kostenlos sein. Sämtliche Dienstleistungen der Behörden, bei denen eine E-ID zum Einsatz kommen kann, würden weiterhin auch in einem analogen Prozess – sprich am Schalter – angeboten.
Gleichzeitig sollen Bund, Kantone und Gemeinden die E-ID akzeptieren müssen, wenn sie eine elektronische Identifizierung vornehmen, zum Beispiel bei der Ausstellung einer Wohnsitzbestätigung oder eines Betreibungsregisterauszugs.
Auch in der physischen Welt – beispielsweise im Laden zum Altersnachweis beim Kauf von Alkohol – soll die E-ID zum Einsatz kommen.
Wann kommt die E-ID?
Die Schweizer E-ID soll nach den heutigen Plänen des Bundes ab 2026 angeboten werden.
Um diesen Zeitplan einzuhalten, wurden die Vorarbeiten für den Aufbau der notwendigen Infrastruktur bereits eingeleitet, wie der Bundesrat am Mittwoch mitteilte.
Warum dauert es so lange?
Nach dem Entscheid des Bundesrates ist nun das eidgenössische Parlament am Zug. Das heisst, der Nationalrat und Ständerat müssen über das neue Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und andere elektronische Nachweise (BGEID) beraten und entscheiden.
Die Botschaft zum entsprechenden Bundesgesetz (BGEID) gelangt rund ein halbes Jahr später ans Parlament als Anfang Dezember 2022 angekündigt. Nach der Vernehmlassung wurde die Vorlage in mehreren Punkten angepasst.
Dieses Erklärvideo zur staatlichen E-ID hat der Bund 2022 publiziert:
Wie wird man die E-ID beziehen?
Wer eine E-ID will, muss nach den Plänen des Bundesrats die folgenden (einfachen) Schritte ausführen:
- Auf dem Smartphone gilt es, die entsprechende App (sie ist derzeit noch nicht verfügbar) zu installieren.
- Dann muss ein von der Schweiz ausgestelltes Ausweisdokument per Kamera eingescannt und auch ein Selfie auf den Bundesserver hochgeladen werden.
- Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) muss danach die Authentizität der Angaben prüfen. Das solle nicht länger als einige Minuten dauern, wird versprochen.
Wie behindertengerecht ist die geplante E-ID?
Die App soll auch Menschen mit Behinderung ohne Einschränkung zugänglich sein. Die E-ID soll zudem nicht nur online, sondern auch im Passbüro ausgestellt werden.
Wie soll eine missbräuchliche Nutzung der E-ID verhindert werden?
Die Nutzerinnen und Nutzer der künftigen staatlich anerkannten E‐ID sollen die grösstmögliche Kontrolle über ihre Daten haben. Die E-ID soll ausschliesslich auf dem Smartphone der Nutzerin oder des Nutzers gespeichert werden.
Im Zusammenhang mit dem Datenschutz schlägt der Bundesrat aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse eine weitere Massnahme vor: Um dem Prinzip der Datensparsamkeit Nachdruck zu verleihen, soll öffentlich gemacht werden, wenn jemand mehr E-ID-Daten verlangt als im konkreten Fall notwendig. «Solche fehlbare Firmen kommen dann auf eine schwarze Liste», so das Bundesamt für Justiz.
Was kostet die E-ID?
Für die Bevölkerung soll die Nutzung gratis sein. Das ganze Projekt wird durch Steuergelder finanziert.
Laut Bundesrat werden im Zeitraum 2023 bis 2028 für die Entwicklung und den Betrieb der technischen Infrastruktur, die Ausgabe der E-ID und die Pilotprojekte rund 182 Millionen Franken benötigt. Die Betriebskosten ab 2029 werden mit rund 25 Millionen Franken pro Jahr veranschlagt.
Wer wird die E-ID technisch umsetzen?
Der Bund wolle die erforderliche Software weitgehend selbst entwickeln, sagte Rolf Rauschenbach vom Bundesamt für Justiz dem «Tages-Anzeiger». Dieses habe bei der E-ID den Lead, während das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation den Grossteil der Software entwickeln solle.
Wer wird sonst noch von der E-ID profitieren?
Der Bundesrat schlägt vor, dass die für den Betrieb der E-ID erforderliche Infrastruktur auch von kantonalen und kommunalen Behörden sowie von Privaten für die Ausstellung von elektronischen Nachweisen genutzt werden kann.
Wie nicht anders zu erwarten, erhoffen sich auch private oder staatsnahe Unternehmen ein Stück vom Kuchen. So hat etwa Orell Füssli in das potenziell lukrative neue Geschäftsfeld investiert, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete. Und dies ganz ohne konkreten Auftrag aus Bundesbern.
Orell Füssli druckt bekanntlich die Schweizer Banknoten und bringt sich also öffentlich in Position für weitere Bundesaufträge. Derweil hält sich die Schweizerische Post, die ja eine private E-ID lancieren wollte, nun zurück. Die Verantwortlichen argumentieren, dass sie mit SwissID bereits eine sichere Online-Authentifizierungsmethode anbieten, dass diese aber nicht mit der staatlichen E-ID zu verwechseln sei.
Was hat die E-ID mit der vom Stimmvolk abgelehnten privaten Lösung zu tun?
Praktisch gar nichts, heisst es beim Bund.
Die neue E-ID-Vorlage sei keine Kopie der gescheiterten Vorlage, betonte Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider. «Sie wurde von A bis Z überarbeitet.»
Bei der Erarbeitung sei das «maximale Meinungsspektrum» berücksichtigt worden. Die Gegner der alten Vorlage seien aktiv in alle Überlegungen eingezogen worden. Insgesamt seien in der Vernehmlassung über hundert Stellungnahmen eingegangen – doppelt so viele wie beim alten Gesetz.
Im ersten Anlauf war das E-ID-Gesetz im März 2021 an der Urne gescheitert. In allen Kantonen gab es ein Nein.
Wird man die E-ID auch im Ausland nutzen können?
In EU-Staaten wahrscheinlich schon.
Das Schweizer E-ID-System soll bei der technischen Umsetzung internationale Standards einhalten. So wollen die Verantwortlichen gewährleisten, dass die E-ID künftig auch im Ausland anerkannt und eingesetzt werden kann.
Um auf technische und gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können, ist das vom Bundesrat vorgestellte Gesetz zudem technologieneutral formuliert.
Wie weit ist die EU?
Die Europäische Union hat im Juni 2023 beschlossen, einen digitalen Ausweis für die Bevölkerung der 27 Mitgliedsstaaten einzuführen. Bürgerinnen und Bürger sollen sich damit künftig in der gesamten EU digital ausweisen können.
Bis 2030 sollen alle wichtigen öffentlichen Dienste online verfügbar sein und alle Bürgerinnen und Bürger sollen Zugang zu einem eigenen digitalen Patientendossier haben.
Ausserdem sollen bis 2030 auch alle Zugang zu einer sicheren elektronischen Identifizierung («eID») haben.
Mehrere EU-Länder, darunter Italien, haben bereits eine nationale eID lanciert.
Quellen
- Nachrichtenagentur Keystone-SDA
- srf.ch: Die neue E-ID wird vom Bund herausgegeben (22. November)
- tages-anzeiger.ch: Orell Füssli investiert Millionen in elektronische ID – ohne Auftrag vom Bund (14. Nov.)
- ejpd.admin.ch: Staatliche E-ID
- ec.europa.eu: Elektronische Identifizierung
