Am 18. März findet in Bern das Swiss Internet Governance Forum 2020 statt. «Internet Governance» – tönt wahnsinnig langweilig. Doch diese Vorstellung könnte falscher nicht sein. Das Thema ist hochbrisant.
Herr Zahn, wieso sollten sich Fortnite-Freddy, Streamer-Sandy und Meme-Mandy für Internet Governance interessieren?
Nicolas Zahn: Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich so aus, als müssten sie das nicht. Wenn sie den Browser auftun, geht’s ja. Aber wenn man etwas genauer hinsieht, dann profitieren alle drei konkret von Internet Governance.
Inwiefern?
Nehmen wir das Beispiel von Streamer-Sandy. Für sie ist Netzneutralität wichtig. In der Schweiz ist diese gesetzlich festgeschrieben – dank dem engagierten Einsatz der Digitalen Gesellschaft und einiger weniger Politiker. In anderen Ländern hatten die Streamer-Sandys weniger Glück.
Wir kommen gleich auf die anderen Länder zu sprechen – aber können Sie vorher noch erklären, was Netzneutralität bedeutet?
Netzneutralität bedeutet, dass sämtliche Daten im Netzwerk genau gleich behandelt werden. Oder im Umkehrschluss, dass Datenpakete von bestimmten Absendern oder für bestimmte Empfänger nicht bevorzugt behandelt werden.
Und das ist wichtig für Streamer-Sandy.
Genau. Nur so wird garantiert, dass die Datenströme von weniger zahlungskräftigen Anbietern nicht im Stau stecken bleiben, während sich die Grossen die Autobahnen leisten.
Und genau das Problem gibt es bereits in anderen Ländern.
Ja. In den USA zum Beispiel ist die Netzneutralität aufgehoben. In Europa versucht man sich etwas anders zu positionieren, dank der harten Arbeit der Zivilgesellschaft und gewisser Parteien scheint das auch zu gelingen.
Was ist mit Fortnite-Freddy?
Bei ihm spielen ähnliche Dynamiken. Ohne Netzneutralität wäre es theoretisch möglich, dass er im Spiel benachteiligt wird. Bei sehr populären Anwendungen wollen die Provider auf den Erfolgszug aufspringen. Telekomfirmen bieten zum Beispiel an, gewisse Services nicht zum Datenvolumen dazu zu rechnen. Das nennt man Bundling. Und das gab es auch in der Schweiz schon. Zum Beispiel mit einem Handyabo, bei dem Whatsapp nicht zum Datenvolumen gezählt wird. Wie sollen da andere Messenger-Services bestehen können? Wenn dafür zusätzliche Kosten entstehen? Solche Effekte kann es auch beim Gaming geben, wo sich ein klarer Trend zum Streaming abzeichnet.
Meme-Mandy?
Die Memekultur spielt mit Grundelementen des Internets: Etwas Bestehendes nehmen, leicht verändern und dann weiterverbreiten. Das hat riesiges kreatives Potential. Aber die veralteten Ideen der Politik bringen dieses in Gefahr.
Sie spielen auf Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform an.
Genau. Dank Artikel 13 sind Uploadfilter quasi unumgänglich. Nicht nur Leute aus der Kreativszene, sondern auch die gesamte Technik-Community sagten, dass Uploadfilter ein Schwachsinn sind. Trotzdem kam Artikel 13 im EU-Parlament durch. Und in der Schweiz sind wir in der Debatte um das Leistungsschutzrecht auch nur knapp davongekommen.
Meme-Mandy dürfte sich übrigens auch über die Emoji-Wars ärgern. Dabei geht es um die Frage, welche Emojis neu zugelassen werden. Was eigentlich eine sehr technische Frage ist, nämlich was auf dem Smartphone dargestellt werden kann, kann sehr schnell politisch werden, wenn es zum Beispiel um Landesflaggen von Staaten geht, deren Unabhängigkeit nicht von Allen anerkannt wird.
Verstehen Politiker das Internet nicht?
Während des letzten Wahlkampfs war ich recht frustriert. Netzpolitik scheint kein Thema zu sein, wohl auch weil man damit noch keine Wahlen gewinnen kann, dafür müsste das Bewusstsein auch bei der Bevölkerung wohl grösser sein. Aber angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung des Internets und IT im Allgemeinen wäre ein Grundverständnis extrem wichtig. Denn zum Thema Digitalisierung möchte man sich als Politikerin oder Politiker ja dann doch wieder äussern.
Ist das das grosse Problem? Die Uninformiertheit in der Politik?
Aufgrund unseres politischen Systems sind wir davor gefeit, dass schnell dumme Entscheidungen umgesetzt werden. Aber man sieht immer wieder, dass Schnapsideen aus dem Ausland aufgegriffen werden. Ein Beispiel dafür war das Geldspielgesetz. Da hat die gesamte Tech-Community, ungeachtet ihres Standpunktes zu Online-Casinos, gesagt, dass diese Netzsperre nicht durchsetzbar ist. Und dass es so ist, sieht man jetzt. Täglich kann man Screenshots von Leuten sehen, die ausländische Online-Casinos spielen.
Soll das Internet komplett unreguliert sein?
Nein, das war es auch nie. In den 90er-Jahren gab es zwar die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace – ausgerufen durch John Barlow ironischerweise am WEF. Die Quintessenz war, zu sagen: «Staaten, ihr alten Monster aus dem Industriezeitalter, ihr habt hier nichts zu melden. Das ist unser Ding und sicher nicht eure alte Welt». Und das ist auch die Illusion, mit der ich im Internet gross wurde. Das war dieser neue Raum. Da hatten auch die Eltern noch keine Ahnung davon. Doch es war nie so, dass es keine Regeln gab. Die für mich spannende Frage ist, wie diese Regeln zustande kommen und wer sie aufsetzen kann.
Deshalb also Internet Governance – aber wie reguliert man ein globales Netzwerk?
Die meisten Staaten haben heute begriffen, dass lokale Regulierungen nicht funktionieren. Es braucht globale Lösungen. Das Problem dabei ist, dass man sich stets nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen kann. Ausserdem findet eine Blockbildung statt. China und Russland sind bestrebt, grössere Mitsprache des Staates durchzusetzen, während die USA vor allem wenig Einschränkungen möchten. Europa steht irgendwo in der Mitte und befindet sich wohl noch sowas wie in einer Findungsphase.
Deutschland ist in dieser Hinsicht ein bisschen ein Sorgenkind ...
... in Deutschland ist zum Beispiel die Idee weit verbreitet, dass Dienste mit Verschlüsselung Hintertüren benötigen. Hintertüren werden ja nicht nur von den Guten benutzt. Sobald eine Lücke in der Software zugelassen wird, stürzen sich alle darauf. Deshalb hat die Gesellschaft ein Interesse, dass jeder über jede Lücke möglichst Bescheid weiss, weil sie dann geschlossen wird.
Wie steht die Schweiz da?
Noch einigermassen gut. Die grossen Entscheidungen werden nicht hier gefällt, sondern in New York, Brüssel, Moskau und Peking. Was mich aber hier erschreckt, ist die immer grösser werdende Kenntnisschere. Es gibt immer weniger Leute, die versuchen, aktiv diese Dinge zu verstehen oder sich dafür zu engagieren. Es fehlt an digitaler Aufklärung. Die digitale Unmündigkeit in diesem Land nervt mich. Natürlich müssen nicht alle alles bis ins kleinste Detail verstehen, aber ich verstehe nicht wie leichtfertig wir die Kontrolle abgeben und sagen: Macht ihr mit dem Internet was ihr wollt, ich will nur schnell neue Instaposts sehen.
Und deshalb gibt es das Swiss Internet Governance Forum.
Genau. Der Anspruch des Swiss IGF ist nicht, zu allen Themen eine abschliessende Lösung zu finden. Aber wir können sensibilisieren. Und wir können neue Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung aufwerfen. Zum Beispiel, ob es eine spezielle Uber-Gesetzgebung braucht. Wie können wir mit der Sharing Economy umgehen? Wie können wir zwar Daten nutzen aber gleichzeitig Individuen vor Missbrauch schützen? Es ist unsere Mission, auch diese Fragen anzusprechen. Deshalb hoffen wir auch dieses Jahr wieder auf zahlreiche Teilnehmende insbesondere aus der Politik.
Dabei sind das auch Grundsatzfragen.
Unsere Lebenswelt wird immer komplexer, fordert immer mehr Aufmerksamkeit. Es muss doch eigentlich das Ziel sein, dass die Default-Entscheidung meistens die richtige ist und nicht umgekehrt. Damit würden überforderte Menschen wie ich entlastet und könnten Ressourcen freischaufeln, um solchen Themen nachzugehen.
Meiner Meinung nach sollte Media Literacy zum Schulfach werden, also der Umgang mit dem Internet, seine Funktionen und Gefahren.