Spotify gehört zu den Coronagewinnern. Die Nutzerzahlen steigen rasant, und an der Börse geht es steil aufwärts. Die Kapitalisierung seit dem Börsengang ist gewaltig. Nach Jahren der roten Zahlen schreibt der Streaming-Konzern erstmals ein positives Ebitda (Ergebnis vor den Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 14 Millionen US-Dollar. Und Spotify investiert in eine neue Podcast-Strategie: Allein der Exklusiv-Deal mit US-Komiker Joe Rogan soll Spotify 100 Millionen Dollar gekostet haben. Der Expansionsdrang ist imposant.
Spotify schmeisst mit Millionen um sich, dagegen wird der kleine Schweizer Musikmarkt nach wie vor vernachlässigt. «Musik aus der Schweiz wird seit Jahren nebenbei aus Berlin betreut», sagt Andreas Ryser von Indie Suisse, «da ist niemand, der die Schweizer Szene wirklich kennt und sich für die Künstlerinnen und Künstler einsetzt. Vor allem ist da niemand, der schaut, dass Schweizer Songs und Musik auf den wichtigen Playlists stehen. Am schlimmsten ist die Situation für die Musik aus der Romandie und dem Tessin. Auf Spotify gibt es sie gar nicht.»
Spotify ist der klare Marktleader unter den Streaming-Portalen. Seine Playlists sind heute entscheidend für die Promotion von Musik. Wer als Musiker mit seinen Songs Erfolg haben will, muss auf den entscheidenden Playlists präsent sein. Alle anderen gehen unter im unendlichen Meer von Songs und finden gar nicht statt. Inzwischen gibt es zwar «Swiss Made» oder«Schweizer Mundart», die Playlists sind aber mangelhaft kuratiert. Vor einem Jahr sind die Listen sogar eingeschlafen und kaum mehr aktualisiert worden.
Seit Jahren bemühen sich Vertreter der Schweizer Musikbranche um eine angemessene Vertretung von Schweizer Musik. Und seit Jahren werden sie von Spotify hingehalten und vertröstet. Seit Jahren weist Spotify auf personelle Probleme und fehlende Ressourcen hin. «Unsere Geduld ist am Ende», sagt Lorenz Haas von der Ifpi Schweiz. «In den letzten zwei Jahren hat sich nichts verändert. Die Möglichkeiten von Schweizer Musikern, auf sich aufmerksam zu machen, sind bei Spotify klein bis nicht existent.» Andreas Ryser von Indie Suisse ergänzt: «Die Stellenprozente für die Schweiz sind so klein, dass auch keine Möglichkeiten bestehen, sich auf die Schweiz und ihre Musiker einzulassen. Du musst hier dabeisein, die Szene beobachten, an Konzerte gehen, Kontakte pflegen, um dir ein Bild machen zu können. Das kann aus der Distanz und mit diesem Pensum gar nicht gewährleistet werden.»
In der Schweiz gibt es gemäss Schätzungen 1,6 Millionen Spotify-User, Tendenz massiv steigend. «Das ist inzwischen ein Riesenmarkt», sagt Ryser. Das Unternehmen dürfte in der Schweiz jährlich über 120 Millionen Franken umsetzen. Doch gemäss Haas ist es «eine Einbahnstrasse». «Spotify zieht aus der Schweiz Geld ab und investiert es in anderen Märkten», sagt er.
Die Folgen dieser Ignoranz und Arroganz sind gemäss Ryser fatal. Für die Mundartbands, weil sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen können. Aber vor allem für die international ausgerichteten Musiker und Bands, weil ihnen der internationale Markt versperrt wird. «Es geht auch um den Export von Schweizer Musik. Niemand ist da, der die Schweizer Szene auf ihr internationales Potenzial abcheckt und bei den internationalen Editorial Teams von Spotify vorstellt. Die Schweiz existiert deshalb selten auf internationalen Playlists. Schweizer Musiker werden behindert und diskriminiert», sagt Ryser.
Es geht um Gleichbehandlung, um einen fairen, gleichberechtigten Zugang zum Markt. «Wenn du keinen Marktzugang hast, kannst du als Label oder Künstler nicht wirtschaftlich arbeiten, und wenn du nicht wirtschaftlich arbeiten kannst, gibst du auf», sagt Haas, «Spotify killt mit seiner Strategie kulturelle Diversität und die Kultur der kleinen Märkte. Da ist die Schweiz nicht allein.»
Ryser hat Globalisierung und Digitalisierung als Chance gesehen. Er hat das Streaming verteidigt und als einen Ort propagiert, in dem alle die gleichen Möglichkeiten haben. «Im Moment passiert genau das Gegenteil», sagt er heute, «die grossen, internationalen Musikmärkte drücken ihre Musik in unser Land und verdrängen unsere.»
«Es kann nicht sein, dass Spotify aus der Schweiz nur Geld abzieht und nichts zurückgibt und damit der hiesigen Kultur schadet», sagt Nick Werren von Sonart, dem Verband der Schweizer Musikschaffenden. «Es braucht eine Investition in unser Musikschaffen, ein Büro mit einer inhaltlichen Fokussierung auf die Schweiz. Eine Lösung für die Schweiz als Ganzes.» Haas ergänzt: «Der Konzern muss in der Schweiz seine unternehmerische Verantwortung wahrnehmen.»
Und wenn Spotify der Schweiz weiterhin die lange Nase zeigt? Haas schliesst eine Politisierung des Problems nicht aus. «Wenn sich weiter nichts bewegt, werden Forderungen nach einer politischen Lösung oder nach Subventionen geweckt.» Braucht es wie beim Film eine Besteuerung der Streaming-Anbieter? Haas zögert: «Wir brauchen keine Steuern, sondern einen gleichberechtigten Zugang zum Markt. Wir fordern echte Chancengleichheit für Schweizer Musik.»
Und was sagt der Gigant Spotify dazu? Nichts. Ein Fragenkatalog blieb unbeantwortet.