«Steuer-Schwindel!»: Mit diesem Kampfbegriff bekämpfen Mitte, SVP, EVP und EDU die Individualbesteuerung. Die vier Parteien lancierten am Donnerstag das Referendum gegen die grösste Steuerreform der letzten Jahrzehnte. Sie werden unterstützt vom Bauernverband und den Freikirchen.
Ehepaare sollen künftig zwei Steuererklärungen einreichen; für eine individuelle statt gemeinsame Veranlagung. Das Parlament hat die Vorlage in der Junisession mit knappem Mehr verabschiedet. Das Gesetz ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Initiative der FDP Frauen, welche die Einführung der Individualbesteuerung fordert.
Doch der Schwindel-Vorwurf fällt auf das Referendumskomitee zurück.
Den Unterlagen, die am Donnerstagmorgen mit Sperrfrist zur Medienkonferenz verschickt worden sind, liegt auch ein Flyer bei. In Grossbuchstaben steht: «Mehrbelastung für den Mittelstand & Einelternfamilien». Das Referendumskomitee führt dazu aus: Laut Steuerverwaltung müssten 1,2 Millionen Personen mehr Steuern zahlen.
Es ist kein Versehen. Später an der Medienkonferenz sagt SVP-Nationalrat Martin Hübscher:
Die Zahl ist nachweislich falsch. Die Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung zeigen etwas anderes. 14 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen mehr Steuern; für 35 Prozent ändert sich nichts, und die Hälfte zahlt künftig gar weniger Steuern. Total gibt es 6'235'459 Steuerpflichtige. Mehr bezahlen also 893'541 Personen. Über alles gesehen gibt es eine durchschnittliche Entlastung von 69 Franken pro steuerpflichtiger Person.
Woher kommt die Zahl von 1,2 Millionen? Auf Nachfrage spricht die SVP als Mitglied des Referendumskomitees nicht mehr von einer Angabe der Steuerverwaltung, sondern von einer Plausibilitätsrechnung. Diese geht so:
Die Gegner der Individualbesteuerung plausibilisieren also, obschon die Steuerverwaltung für die parlamentarische Debatte die Auswirkungen der Reform kalkuliert hat.
Ganz wohl ist den Gegnern mit ihrer Plausibilitätsrechnung allerdings nicht. Als diese Redaktion nachfragte, wurde die Zahl von 1,2 Millionen Franken aus dem Flyer für den Unterschriftenbogen entfernt. Er wird ohne diese Angabe gedruckt. Zudem hält die Mitte-Partei fest, dass die Zahl auch nicht auf der Website des Komitees aufgeführt ist beziehungsweise auf die Steuerverwaltung zurückgeführt wird.
Kommt das Referendum zustande – das Komitee muss nun 50'000 Unterschriften sammeln – droht ein emotionaler Abstimmungskampf. Jedes Lager wird jene Zahlen ins Feld führen, welche die eigene Position am besten untermauern.
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass vor allem Doppelverdiener mit zwei Einkommen profitieren – je gleichmässiger ihr Beitrag zum Haushaltseinkommen, desto höher die Einsparung. Das hängt schlicht damit zusammen, dass diese Ehepaare wegen der Addition der Einkommen und der starken Progression heute im Vergleich zu den Konkubinatspaaren am stärksten benachteiligt werden. Allerdings hat das Parlament den Steuertarif angepasst und die Progression verschärft, um die Entlastungswirkung gegen oben zu dämpfen.
Natürlich gibt es aber auch Verlierer. Diese finden sich aber nicht im Mittelstand, wie die Gegner der Individualbesteuerung suggerieren. Wer die Tabellen der Steuerverwaltung studiert, stellt fest: Mehr Steuern bezahlen insbesondere die Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen. Und nicht nur Einverdienerehepaare, die heute von einem Heiratsbonus profitieren, sondern auch Konkubinatspaare und Alleinstehende.
Und dieses Zitat meine lieben Damen und Herren stammt doch tatsächlich von einem SVP Politiker.