Schweiz
Steuern

Individuelle Besteuerung für Ehepaare geplant – Referendum ergriffen

Philipp Matthias Bregy, Nationalrat Mitte-VS und Parteipraesident Mitte, spricht neben Martin Huebscher, Nationalrat SVP-ZH, waehrend einer Medienkonferenz anlaesslich der Lancierung des Referendums g ...
Mitte-Präsident Philipp Bregy und der Zürcher SVP-Nationalrat Martin Hübscher wollen die Individualbesteuerung bodigen.Bild: keystone

Individualbesteuerung: Gegner starten Kampagne mit falscher Zahl und Hilfe von Freikirchen

Das Parlament hat beschlossen: Zukünftig sollen Verheiratete individuell besteuert werden. Dagegen regt sich Widerstand. Die Gegner sprechen vom Steuerschwindel – und nehmen es mit den Zahlen selbst nicht sehr genau.
04.07.2025, 15:2204.07.2025, 15:22
Doris Kleck / ch media
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«Steuer-Schwindel!»: Mit diesem Kampfbegriff bekämpfen Mitte, SVP, EVP und EDU die Individualbesteuerung. Die vier Parteien lancierten am Donnerstag das Referendum gegen die grösste Steuerreform der letzten Jahrzehnte. Sie werden unterstützt vom Bauernverband und den Freikirchen.

Philipp Matthias Bregy, Nationalrat Mitte-VS und Parteipraesident Mitte, spricht neben Martin Huebscher, Nationalrat SVP-ZH, waehrend einer Medienkonferenz anlaesslich der Lancierung des Referendums g ...
Mitte-Präsident Philipp Bregy und der Zürcher SVP-Nationalrat Martin Hübscher wollen die Individualbesteuerung bodigen.Bild: keystone

Ehepaare sollen künftig zwei Steuererklärungen einreichen; für eine individuelle statt gemeinsame Veranlagung. Das Parlament hat die Vorlage in der Junisession mit knappem Mehr verabschiedet. Das Gesetz ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Initiative der FDP Frauen, welche die Einführung der Individualbesteuerung fordert.
Doch der Schwindel-Vorwurf fällt auf das Referendumskomitee zurück.

Den Unterlagen, die am Donnerstagmorgen mit Sperrfrist zur Medienkonferenz verschickt worden sind, liegt auch ein Flyer bei. In Grossbuchstaben steht: «Mehrbelastung für den Mittelstand & Einelternfamilien». Das Referendumskomitee führt dazu aus: Laut Steuerverwaltung müssten 1,2 Millionen Personen mehr Steuern zahlen.

Es ist kein Versehen. Später an der Medienkonferenz sagt SVP-Nationalrat Martin Hübscher:

«Diese Reform ist nicht sozial, sondern asozial: 1,2 Millionen Menschen werden mehr Steuern bezahlen müssen. Vor allem in ‹teuren› Kantonen, wo das Leben ohnehin bereits mehr kostet. Betroffen sind vor allem Alleinstehende, Alleinerziehende und der Mittelstand. Es ist eine Umverteilung von unten nach oben, und genau das lehnen wir ab.»

Eine Rechnung, die nicht aufgeht

Die Zahl ist nachweislich falsch. Die Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung zeigen etwas anderes. 14 Prozent der Steuerpflichtigen zahlen mehr Steuern; für 35 Prozent ändert sich nichts, und die Hälfte zahlt künftig gar weniger Steuern. Total gibt es 6'235'459 Steuerpflichtige. Mehr bezahlen also 893'541 Personen. Über alles gesehen gibt es eine durchschnittliche Entlastung von 69 Franken pro steuerpflichtiger Person.

Woher kommt die Zahl von 1,2 Millionen? Auf Nachfrage spricht die SVP als Mitglied des Referendumskomitees nicht mehr von einer Angabe der Steuerverwaltung, sondern von einer Plausibilitätsrechnung. Diese geht so:

«Laut Statistik beläuft sich das Bruttoeinkommen eines Schweizer Haushalts mit durchschnittlich zwei Personen auf 9780 Franken (2021). Pro Jahr sind es also 117'360 Franken. Gehen wir davon aus, dass die Einkommen normalverteilt sind – das ist eine sehr konservative Annahme –, dann verdienen 50 Prozent der Haushalte weniger als diese 117'000 Franken. In der Schweiz gibt es rund 4 Millionen Haushalte. Etwa 64 Prozent davon haben zwei oder mehr Personen. Das sind 2,56 Millionen. Die Initiative entlastet Haushalte, die 250'000 Franken und mehr verdienen. Also ist die Zahl von 1,2 Millionen Personen, die zusätzlich belastet werden, plausibel.»

Die Gegner der Individualbesteuerung plausibilisieren also, obschon die Steuerverwaltung für die parlamentarische Debatte die Auswirkungen der Reform kalkuliert hat.

Ganz wohl ist den Gegnern mit ihrer Plausibilitätsrechnung allerdings nicht. Als diese Redaktion nachfragte, wurde die Zahl von 1,2 Millionen Franken aus dem Flyer für den Unterschriftenbogen entfernt. Er wird ohne diese Angabe gedruckt. Zudem hält die Mitte-Partei fest, dass die Zahl auch nicht auf der Website des Komitees aufgeführt ist beziehungsweise auf die Steuerverwaltung zurückgeführt wird.

Progression wurde verschärft

Kommt das Referendum zustande – das Komitee muss nun 50'000 Unterschriften sammeln – droht ein emotionaler Abstimmungskampf. Jedes Lager wird jene Zahlen ins Feld führen, welche die eigene Position am besten untermauern.

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass vor allem Doppelverdiener mit zwei Einkommen profitieren – je gleichmässiger ihr Beitrag zum Haushaltseinkommen, desto höher die Einsparung. Das hängt schlicht damit zusammen, dass diese Ehepaare wegen der Addition der Einkommen und der starken Progression heute im Vergleich zu den Konkubinatspaaren am stärksten benachteiligt werden. Allerdings hat das Parlament den Steuertarif angepasst und die Progression verschärft, um die Entlastungswirkung gegen oben zu dämpfen.

Natürlich gibt es aber auch Verlierer. Diese finden sich aber nicht im Mittelstand, wie die Gegner der Individualbesteuerung suggerieren. Wer die Tabellen der Steuerverwaltung studiert, stellt fest: Mehr Steuern bezahlen insbesondere die Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen. Und nicht nur Einverdienerehepaare, die heute von einem Heiratsbonus profitieren, sondern auch Konkubinatspaare und Alleinstehende.

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Das Ausfüllen der Steuererklärung in leider-ehrlichen Memes
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Das Ausfüllen der Steuererklärung in leider-ehrlichen Memes
quelle: watson
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221 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kramer
04.07.2025 16:27registriert September 2021
"Es ist eine Umverteilung von unten nach oben und genau das lehnen wir ab"
Und dieses Zitat meine lieben Damen und Herren stammt doch tatsächlich von einem SVP Politiker.
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Hans Jürg
04.07.2025 16:27registriert Januar 2015
Freikirchen und die Unwahrheit. Matched perfekt.
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Ben_solo
04.07.2025 16:26registriert Januar 2021
„…die SVP ist gegen eine Umverteilung von unten nach oben!“ Alleine wer diesen Satz liest, weiss dass da etwas nicht stimmen kann! Just saying…😌
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