Der Spotify-Knatsch rund um Corona-Verharmlosung – und seine Folgen
Der schwedische Streamingdienst will mehr gegen die Verbreitung von Corona-Falschinformation tun, hält aber am umstrittenen US-Podcast-Star Joe Rogan fest. Dieser Beitrag dreht sich um die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist nach dem #byebyeSpotify-Shitstorm passiert?
Der von Neil Young und weiteren Musikschaffenden kritisierte Star-Podcaster Joe Rogan hat in einem Instagram-Video Fehler eingeräumt und sich ein bisschen entschuldigt.
Der US-Amerikaner behauptet allerdings auch, die Kritik sei aus dem Zusammenhang gerissen, und er verteidigt die umstrittenen Äusserungen seiner Gäste.
In dem rund zehnminütigen Video sagte der 54-jährige mit Blick auf seine prominenten Kritiker: «Es tut mir sehr leid, dass sie sich so fühlen, das ist ganz sicher nicht, was ich möchte. Ich bin ein grosser Neil-Young-Fan.»
Neben Neil Young haben auch die mit ihm befreundeten Künstler Joni Mitchell und Nils Lofgren angekündigt, ihre Musik von Spotify abzuziehen. Ebenfalls aus Protest gegen den Podcast «The Joe Rogan Experience». Dieser wurde auch von Wissenschaftlern als verharmlosend kritisiert.
Rogan versucht in seiner Stellungnahme zu beschwichtigen:
Er wolle in Zukunft mehr Ausgewogenheit haben und neben den kontroversen Meinungen auch andere abbilden. Auch wolle er sich besser auf die Interviews vorbereiten.
Obwohl er es nicht bereue, Gäste mit umstrittenen Meinungen einzuladen, sagt Rogan, er sei offen für Möglichkeiten, wie der Podcast verbessert werden könnte.
Darüber hinaus zeigte sich der Moderator damit einverstanden, dass Spotify in Zukunft Podcast-Beiträge zu Covid-19 mit einem Hinweis versehen will. Der Gründer und Chef des Streaming-Dienstes, Daniel Ek, hatte diesen Schritt am Sonntag in einem Blog-Eintrag angekündigt (siehe unten).
Ek betonte aber auch die Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Bereitstellung einer Plattform, auf der unterschiedliche Ideen geteilt werden. «Mir ist wichtig, dass wir uns nicht als Zensoren aufspielen und gleichzeitig dafür sorgen, dass es Regeln und Konsequenzen bei Verstössen gibt.»
Was unternimmt Spotify gegen Covid-Fehlinfos?
Das Unternehmen sagt, es habe umfassende Inhaltsrichtlinien und seit Beginn der Pandemie mehr als 20'000 Podcast-Episoden mit Bezug auf Corona aus dem Angebot entfernt.
Der schwedische Streamingdienst will künftig alle Beiträge zu Corona mit einem Hinweis versehen, der zu wissenschaftlich fundierten Informationen aus verlässlichen Quellen führen soll. Die neue Initiative gegen Falschinformationen werde in den kommenden Tagen weltweit umgesetzt, teilte Spotify-Chef Daniel Ek in seinem Blog-Beitrag mit.
Über diesen Hinweis sollten die Spotify-User «Zugang zu datengestützten Fakten, aktuellen Informationen, die von Wissenschaftlern, Ärzten, Akademikern und Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt verbreitet werden, sowie Links zu vertrauenswürdigen Quellen» erhalten.
Ihm sei »klar geworden, dass wir eine Verpflichtung haben, mehr zu tun, um Ausgewogenheit zu schaffen und Zugang zu Informationen zu gewähren, die von den medizinischen und wissenschaftlichen Communitys weitgehend akzeptiert werden«, schreibt der schwedische Milliardär.
Ist Corona-Verharmlosung bei Spotify verboten?
Es kommt auf die entsprechenden Äusserungen an, wie der Blick in die von Spotify erlassene Richtlinie zeigt.
Auf öffentlichen Druck hin hat Spotify die Inhaltsrichtlinie zu Covid-19 sowie die allgemeinen «Plattformregeln» auf seiner Website zugänglich gemacht. Es sei ein Fehler gewesen, nicht früher Transparenz zu schaffen, heisst es.
Das Unternehmen schreibt nun:
Laut Spotify-Website sind dabei Inhalte gemeint, «die gefährliche falsche oder gefährliche irreführende medizinische Informationen fördern, die Offline-Schäden verursachen oder eine direkte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen können», dazu gehörten:
Förderung des Konsums von Bleichmitteln zur Heilung verschiedener Krankheiten und Krankheiten
die Förderung oder Andeutung, dass von den örtlichen Gesundheitsbehörden zugelassene Impfstoffe dazu bestimmt sind, den Tod zu verursachen
Menschen ermutigen, sich absichtlich mit COVID-19 zu infizieren, um eine Immunität dagegen aufzubauen (z. B. Förderung oder Ausrichtung von ‹Coronavirus-Partys›)»
* Die Aufzählung oben ist aus dem Englischen übersetzt worden. Auf der deutschsprachigen Support-Seite ergibt die Suche nach «Covid-19» keine Treffer (Stand: Montag, 31. Januar 2022).
Das Fazit unabhängiger Fachleute: Spotifys Inhaltsrichtlinie sei relativ allgemein gehalten und gehe nicht wirklich ins Detail. Sprich: Das Moderations-Team, das fragwürdige Inhalte prüfen und gegebenenfalls sperren sollte, hat einen relativ grossen Interpretations- und Handlungsspielraum.
Was können Spotify-User tun?
Das Unternehmen erklärt, dass Inhalte gemeldet und bei Verstössen entfernen werden können. Bei wiederholten Verstössen gegen die vom Unternehmen kommunizierten Richtlinien drohe den Urhebern die Sperrung ihres Kontos.
Wie fing es an?
Bekannte Künstlerinnen und Künstler, allen voran Neil Young (76) und Joni Mitchell (78), kündigten kürzlich an, ihre Musik von Spotify abzuziehen. Sie protestierten damit gegen den Podcast des US-Moderators Joe Rogan, der auch von zahlreichen Wissenschaftlern als verharmlosend kritisiert wurde. Unterstützung erhielten sie von anderen Prominenten.
Obwohl sie an ihrer Zusammenarbeit mit Spotify zunächst festhielten, haben auch Herzogin Meghan und Prinz Harry Kritik geäussert. Das Paar, das seine royalen Pflichten vor knapp zwei Jahren aufgegeben hatte, hatte Ende 2020 einen Millionenvertrag über die Produktion von Podcasts mit der Streaming-Plattform geschlossen. «Wir haben Spotify gegenüber weiterhin unsere Bedenken zum Ausdruck gebracht, um sicherzustellen, dass Änderungen an seiner Plattform vorgenommen werden, um zur Bewältigung dieser Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit beizutragen», hiess es nun.
Der Marktwert von Spotify sank in den Tagen nach Neil Youngs Ankündigung um mehr als 2 Milliarden US-Dollar, wobei die Aktie um rund 12 Prozent einbrach.
Warum ist Joe Rogan umstritten?
Joe Rogan wurde als Schauspieler und Comedian bekannt und moderiert seit 2009 den Podcast «The Joe Rogan Experience». Derzeit ist es der meistgehörte Podcast auf Spotify, bei dem Rogan immer wieder mit kontroversen und umstrittenen Aussagen für Schlagzeilen sorgt. So hatte er sich unter abschätzig über Impfungen für Kinder und Jugendliche geäussert, angebliche Corona-Medikamente auch nach ausdrücklichen Warnungen von Medizinern weiter gelobt und falsche Aussagen über die Inhaltsstoffe von Impfstoffen getätigt.
Wenn Gäste in seinem Podcast Falschaussagen zur Pandemie – oder auch anderen Themen wie dem Klimawandel – tätigten, korrigierte Rogan sie oft nicht und hakte auch nicht nach.
Rogan stand bereits in der Kritik wegen beleidigender Kommentare zu Trans-Menschen und weil er in seiner Sendung auch extreme Vertreter des rechten Rands einlud.
Spotify hatte im Jahr 2020 die exklusiven Nutzungsrechte an dem Podcast erworben, Medienberichten zufolge für mehr als 100 Millionen Dollar.
Wie viele User hat Spotify wegen der Kontroverse verloren?
Das ist nicht bekannt.
Laut Berichten war der Online-Support in den Vereinigten Staaten vorübergehend lahmgelegt, weil sehr viele Kundinnen und Kunden ihr Abo kündigen wollten.
Spotify-Konkurrent Apple reagierte umgehend und warb unter anderem bei Twitter mit dem eigenen Angebot.
The home of Neil Young.
— Apple Music (@AppleMusic) January 28, 2022
Listen to his entire catalog on Apple Music: https://t.co/sUGtz4JbB9 pic.twitter.com/YgRMygUqhi
Ist Neil Young gegen die Meinungsfreiheit?
Dazu die US-Musiklegende:
Quellen
Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA
- theverge.com: Joe Rogan defends podcast and apologizes to Spotify for backlash
- theverge.com: Spotify finally responds to Joe Rogan controversy with a plan to label podcasts that discuss COVID-19
- spotify.com: Spotify’s Platform Rules and Approach to COVID-19
- spotify.com: Spotify Platform Rules
- spotifyopenletter.wordpress.com: An Open Letter to Spotify: A call from the global scientific and medical communities to implement a misinformation policy
(dsc)