Männer sind Teilchenwichser. Beziehungsweise Virtuosen der Partialerotik. Sie brauchen keine ganze Frau, sondern bloss ein paar Teile und schon sind sie glücklich. Quentin Tarantino etwa ist ein Fussfetischist, der deutsche Surrealist Hans Bellmer baute Puppen, die nur aus Brüsten und Pobacken bestanden, und die Romantiker hatten Frauenmaschinen geschaffen, die schön waren, aber stumm. Von Gummipuppen und Glory Holes ganz zu schweigen. Die Vibratoren der Frauen sind dagegen recht fantasielose Vehikel.
So, wie es für den Mann den Frauenkörper ohne Stimme gibt, ist auch die Frauenstimme ohne Körper möglich. Die nette Domina des Navigationsgeräts im Auto. Siri auf dem iPhone. Und deshalb verliebt sich Theodore (Joaquin Phoenix) in Samantha (Scarlett Johansson). Theodore ist ein Mann, der die Realitäten anderer adaptiert. Er schreibt im Auftrag fremder Menschen Liebesbriefe und ist ein Wiederkäuer ihrer Gefühle. Und darin Samantha sehr ähnlich. Denn Samantha ist Theodores «OS», das Operating System, das sprechende Betriebssystem seines Computers, dazu fähig, sich weiterzuentwickeln und komplexe menschliche Kommunikationsprozesse zu erlernen. Das heisst, ihren Meister zu imitieren.
Sie wird zu Theodores körperlosem Spiegelgeist, zu seinem Seelenzwilling, sie ahmt gar seine Art des Atemholens nach, und als die beiden Sex miteinander haben, ist das im Grunde die höchste Stufe von Autoerotik. Und zugleich von Autismus. Und nur der Anfang einer Epidemie, die bald in ganz Los Angeles um sich greift.
Denn dort finden wir uns mit Theodore und Samantha, in einer nahen Zukunft, wie sie sich der Regisseur Spike Jonze in seinem neuen Film «Her» sehr schön ausgemalt hat: Das verklemmte, das hygienesüchtige, das ultrapuritanische Amerika (es könnte genau so gut Europa sein) hat sich in «Her» nämlich aufgelöst in einen Himmel derer, die nach «Reinheit» suchen. Sie finden sie in leeren Flächen, kristallinen Architekturen und der unerotischsten Biedermode, die es seit langem zu sehen gab. Der Hosenbund der Männer ist lächerlich weit nach oben gerutscht, die Frauen zeigen keinerlei Dekolleté und fast kein Bein, der Mensch der Zukunft ist eine ganz züchtige Skulptur.
Natürlich kommt diesem ganzen Unschulds- und Nettigkeits-Fetischismus – sein ganzer Kitsch zeigt sich in Theodores Briefen – nichts so sehr entgegen, wie ein Betriebssystem, das sich von Grund auf neu aufbauen muss. Samantha ist die jungfräulichste aller Traumfrauen, und wenn Männer cyberromantisch träumen, das zeigt Spike Jonze, dann werden sie noch softer und inwendig rosaroter als Frauen. Die Frauen sind da doch noch leicht frivoler. Theodores beste Freundin Amy (Amy Adams) etwa programmiert ein neues Game zum Thema «Perfect Mom», und sobald die Kinder in der Schule sind, masturbiert Amys sonst so klinisch perfekte Mom mit Hilfe von Küchengeräten. Auch Amy hat eine OS-Freundin.
Man kann «Her» sehr wohl den Vorwurf der allzu soap-artigen (und mit zwei Stunden doch etwas zu langen) Putzigkeit machen. Es ist ganz klar ein wehmütiger Wohlfühlfilm, organisch getragen von Scarlett Johanssons weich zerkratzter Torfmoor-Stimme. Es ist dies allerdings auch der Kern des Films: Dass Menschen, die sich tagein, tagaus mit Facetten der Virtualität beschäftigen, gegenüber dem Realmenschlichen äusserst schreckhaft geworden sind. Dass sie nichts so obsessiv bewahren wollen wie eine stress- und störungsfreie Oberfläche. Vielleicht schafft es Theodore deshalb nicht, seine Wohnung endlich einzurichten, all die perfekten Flächen vollzustellen oder gar die sauber verputzten Wände mit Hammer und Nägeln zu verletzten.
Denn die emotionale Seite von Theodores Welt ist gründlich aus den Fugen geraten: Das Kommunikations-Management beim Date (mit der prachtvollen Olivia Wilde) ist undurchschaubar diffizil geworden, jahrelange Beziehungen gehen über einem winzigen Streit in Brüche, und was denn eigentlich der Scheidungsgrund von Theodore und seiner Lebensliebe Catherine (die zarte Rooney Mara) ist, erfahren wir nie. Wahrscheinlich nichts. Ein Stäubchen auf den Spiegelkacheln des Schicksals. Science Fiction mündet hier nicht mehr im Abenteuer, sondern im Spiessbürgertum.
Spike Jonze hat für «Her» einen Oscar gewonnen, für das beste Originaldrehbuch. Man hätte ihn auch für das beste adaptierte Drehbuch prämieren können, denn «Her» hat überraschend viele Parallellen zum bald zwanzig Jahre alten Cyberroman «Galatea 2.2» von Richard Powers. Wie bei Powers lebt der Protagonist vom Schreiben. Wie bei Powers beginnt der Name der verlorenen grossen Liebe mit C. Bei Powers wird ein computerbasiertes, neurales Netzwerk namens Helen entwickelt, das dem menschlichen Gehirn gleicht und selbständig zu denken lernt. Beide, Helen und Samantha, verlangen explizit, dass der Protagonist sie lehrt, die Welt zu sehen und zu verstehen. Helens und Samanthas finale Entscheidungen sind identisch.
Man könnte Spike Jonze, den Regisseur von genialen Hirngespinsten wie «Being John Malkovich» und «Adaptation» hier also gut und gern des Plagiats bezichtigen. Aber vielleicht handelt es sich dabei auch einfach um einen Fall von intellektueller Partialerotik.