Ich habe meine Meinung geändert. Als ich «Transcendence» am Gründonnerstag gesehen habe, war ich noch recht angetan. Ich fand es angenehm, Johnny Depp für einmal nicht in einer hysterischen Verkleidung zu sehen. Ich finde Rebecca Hall an seiner Seite sowieso eine höchst erfreuliche Erscheinung. Ich war betört von den Tautropfen, die sich in Zeitlupe von einer Hinterhof-Sonnenblume lösten, von der silbrigen und aufwärts regnenden Heilerde und von einer Riesenanlage explodierender Sonnenkollektoren. Und Zombies gab es auch noch. Und die Idee, dass jeder Gott, auch der liebste, kraft seiner Allmacht böse ist, erschien mir konsequent. Gerade vor Karfreitag.
Ich bin inzwischen davon abgekommen, denn ich glaube, bei «Transcendence» handelt es sich um einen Irrtum. Er hat mit dem Glauben an die kassenmagnetische Übermenschlichkeit eines faul gewordenen Superstars zu tun. Und mit dem Glauben, dass allein die Nähe zu einem genialen Regisseur auch anderen zur Genialität verhilft.
Der Regisseur von «Transcendence» heisst Wally Pfister und war bisher Kameramann von Christopher Nolan. Er war also mit dafür verantwortlich, dass Filme wie «The Dark Knight» und «Inception» so grossartig aussahen, diese gleissenden Visionen aus einer Architektur der Ängste und der Träume. Düster funkelnde Hochhausklippen, sich aufbäumende Strassen, sich nach aussen stülpende Seelenwelten, das Inferno des apokalyptischen Reiters in der Gestalt des Jokers (Heath Ledger). Das war grossartiges Blockbuster-Kino, das waren visuelle Ereignisse und dichte Geschichten und die Erwartungen an Wally Pfisters erste Regie selbstverständlich furchterregend hoch.
Man darf sie jetzt ruhig als geplatzt betrachten. Erstens, weil Johnny Depp, wenn er auf nuschelndes Understatement setzt, nicht wirklich glänzen kann (und erst noch ein Doppelkinn hat, es macht ihn nicht schöner). Zweitens, weil Pfister die Kamera an Jess Hall abgegeben hat, einen soliden, aber auch banalen Handwerker. Dessen grösster Erfolg war bisher «Brideshead Revisited», was man nun mitnichten als Eignungstest für eine dystopische Cyber-Love-Story bezeichnen kann. Denn das sollte «Transcendence» eigentlich sein. Gewissermassen die Miesfühl-Variante des putzig geschwätzigen «Her». Statt Scarlett Johansson heisst das Sexobjekt, das aus dem Computer spricht, jetzt Johnny Depp.
Gleich zu Beginn des Films sind das Internet, die Zivilisation und Johnny Depp samt Rebecca Hall tot. Und das kam so: Dr. Will Caster (Johnny Depp), der nach eigener Aussage gescheiteste Mensch der Welt (der zweitgescheiteste ist seine Frau Evelyn, gespielt von Rebecca Hall), wird auf einer Tagung von technophoben Terroristen angeschossen. Die Kugel, die ihn trifft, ist atomar ummantelt und es ist klar, dass Caster sterben muss. Evelyn verwirklicht seine grosse Vision, sie lädt sein Bewusstsein ins Internet hoch, wo der transzendente Caster fortan als sich endlos ausdehnende Intelligenz weiterexistiert und grössenwahnsinnige Dinge entwirft. Immer unter dem Vorwand der Liebe. Ob er dabei noch ganz bei sich ist oder schon ein von bösen virtuellen Mächten infiltriertes Hologramm seiner selbst, kann nicht geklärt werden.
Auf seinen Befehl hin baut Evelyn irgendwo in der Wüste ein Riesenlabor, in dem eine Armee gezüchtet wird. Und eine Heilerde, die Menschen unverwundbar macht. Und noch viel mehr gewaltigen Unsinn. Das FBI und die Terroristen (deren Anführerin Kate Mara leider das Charisma eines böse blickenden Stück Kartons besitzt) sind dagegen, es kommt zu Zombies, Explosionen und Liebesszenen. Und auch wenn man sich ganz, ganz fest in die surrealsten Handlungsmöglichkeiten eines fantastischen Universums hineinversetzt, so gleicht die Logik von «Transcendence» doch nur dem Zucken einer Amöbe im Todeskampf.
Man kann nicht behaupten, der Film wäre durchgehend langweilig. Es passiert einigermassen viel in den zwei Stunden, aber es fehlen ihm jene schillernden intellektuellen Spielereien und Abgründe von «The Dark Knight» und «Inception». Die abstruse Macht der Mechanik macht jedem Hauch von Metaphysik gekonnt den Garaus. Es fehlt auch die bestechende Multidimensionalität der Bilder, die damals machten, dass man sich auch ohne Brille in einem exzellenten 3D-Film wähnte. Jetzt sind sie mit wenigen Ausnahmen hell und flach. Und wenn sie sensibel sein wollen (die tautropfenden Sonnenblumen im Paradiesgärtchen der Casters), sind sie nüchtern betrachtet von einer esoterischen Blödheit.
Christopher Nolan hat sich für seinen neuen Film «Interstellar», der im Winter in die Kinos kommt, nach 16 Jahren mit Pfister einen neuen Mann geholt. Einen Meister der delikaten Bilder, den in der Schweiz geborenen Niederländer Hoyte van Hoytema nämlich, der sowohl Tomas Alfredsons «Tinker Taylor Soldier Spy» als auch Spike Jonzes «Her» einen gediegenen, melancholischen Retrolook verpasste. Ich würde meinen, da kommt dann etwas richtig Grosses, gut Aussehendes und erst noch gut Gedachtes auf uns zu. «Transcendence» hingegen könnte eine Schöpfung von Will Caster höchstselbst sein: Einer hält sich für Gott und gebiert eine krepierende Kreatur.
«Transcendence» ist ab dem 24. April im Kino.