Ist sie das? Kann das sein? Cindy Crawford hat dank ihres Aussehens eine erstaunliche Karriere gemacht, sie war einst das bestbezahlte Model der Welt und gilt als eines der fünf wahren Supermodels der Neunziger. Ein straffer Körper, eine ebenmässige Haut – das gehörte zu Crawford wie der Leberfleck links über ihrer Lippe.
Doch jetzt gibt es dieses Foto: Crawford in Dessous, mit Puschelmantel und Hut. Die Oberschenkel wurden nicht gestrafft, die Falten nicht geglättet, der Bauchansatz nicht wegretuschiert. Und so sieht Crawford aus wie eine überdurchschnittlich attraktive 47-Jährige, die zwei Kinder auf die Welt gebracht hat. Hübsch, keine Frage. Aber kein Körper, den man einem Supermodel zuschreiben würde.
Für das Bild, das gänzlich unretuschiert sein soll, wird Crawford jetzt als Vorreiterin im Kampf gegen den Schönheitswahn gefeiert. «Wundervoll. Dafür braucht man in der Branche wirklich Mut», schreibt eine Twitter-Nutzerin. Eine andere bestätigte: «Oh ja, genau so sehen echte Frauen in diesem Alter aus.» Auf weiteren Accounts heisst es, Crawford traue sich, «die Wahrheit zu sagen», das Bild sei ein «mutiges Statement».
Cindy Crawford's April spread in Marie Claire features 100% non-retouched photos. Take a bow Ms. C. pic.twitter.com/ttQz2BcRfg
— Charlene White (@CharleneWhite) 13. Februar 2015
Schauspielerin Jamie Lee Curtis, 56 Jahre alt, nahm das Bild als Anlass für eine Fotokombo: rechts Crawford, links sie selbst in langweiliger, schwarzer Funktionsunterwäsche.
Bravo Cindy Crawford. "Beauty is truth, truth beauty, that is all Ye need to know on earth, and all Ye need to know. pic.twitter.com/JuepFrV6Ed
— Jamie Lee Curtis (@Curtisleejamie) 14. Februar 2015
Dazu schrieb Lee Curtis: «Bravo Cindy Crawford. Schönheit ist Wahrheit, wahre Schönheit, das ist alles, was du auf der Welt wissen musst.»
Doch der Jubel für Crawford ist vollkommen unangebracht. Und das aus mehreren Gründen:
Crawford hat dieses Bild nicht selbst veröffentlicht. Dass es im Netz zirkuliert, haben wir der britischen TV-Journalistin Charlene White zu verdanken – sie postete es als Erste und bejubelte das unretuschierte Foto. «Ich finde es wichtig, dass wir auf den Bildschirmen und in den Magazinen sämtliche Körperformen präsentiert bekommen – damit die Leute wissen, wie Menschen tatsächlich aussehen», sagte sie dem Sender CNN.
Crawfords Bild entstand bei einem Fotoshooting für die Mexiko-Ausgabe der «Marie Claire», wie die Zeitschrift inzwischen in einem Statement erklärte. Das Bild, aufgenommen im Dezember 2013, «ist echt, es ist wahrhaftig und es ist wunderschön», heisst es in der Erklärung. Man habe immer gewusst, wie schön Crawford sei – «aber sie so zu sehen, bringt uns dazu, sie noch mehr zu lieben.»
Bei aller Liebe: Warum haben sie es dann nicht gedruckt?
Es wäre eine starke Aussage gewesen, ein mutiger Schritt, wenn Crawford das Foto mit der Öffentlichkeit geteilt hätte. Es wäre eine beachtenswerte und grossartige Idee von «Marie Claire» gewesen, das unretuschierte Foto im Magazin zu veröffentlichen. Stattdessen handelt es sich um einen Leak, wie die Zeitschrift mitteilte.
Es wurde nicht absichtlich verbreitet. Und ist damit auch kein Statement für die Akzeptanz der körperlichen Vergänglichkeit oder gegen den Schönheitswahn der Modebranche. Es ist ein Foto, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Kein Grund zu jubeln also.
Von Crawford selbst gibt es übrigens noch keine Reaktion zu dem Foto. Zumindest keine offizielle. Aber ihr Ehemann Rande Gerber veröffentlichte auf seinem Instagram-Account ein Bild von Crawford, pünktlich zum Valentinstag und damit einen Tag, nachdem das unretuschierte Foto auftauchte.
Es zeigt Crawford mit grosser Sonnenbrille und knappem Bikini unter Palmen auf einer Poolliege. Mit flachstem Bauch. Kein Fältchen erkennbar.