Innert kürzester Zeit eroberten sich die Taliban Afghanistan zurück. Die westlichen Staaten – allen voran die USA – wurden überrascht. Dass die Taliban so schnell in den Präsidentenpalast einmarschieren würden, hatten die Regierungen nicht vermutet.
US-Präsident Joe Biden machte den geringen Widerstand der afghanischen Bevölkerung für den schnellen Vormarsch der Taliban mitverantwortlich. Tatsächlich konnten sie die Hauptstadt Kabul sogar ohne Kampf zurückerobern. Doch ist der Widerstand gegen die islamisch-fundamentalistischen Machthaber tatsächlich innert kürzester Zeit komplett zusammengebrochen?
Nein, es gibt durchaus Anzeichen, dass nicht alle die neue Taliban-Herrschaft einfach so hinnehmen werden. Dies zeigen unter anderem folgende drei Entwicklungen.
Afghanistan ist in 34 Provinzen aufgeteilt. 33 davon sind mittlerweile unter der Kontrolle der Taliban. Eine der kleinsten Provinzen leistet jedoch nach wie vor Widerstand. Es handelt sich um die Panjshir-Provinz. Bereits während den 80er-Jahren verteidigte sich das Panjshir-Tal erfolgreich gegen die Sowjetunion und wurde nicht besetzt. Auch zwischen 1996 und 2001 konnten die Taliban die Region nicht erobern. Nun könnte sich die Geschichte der Provinz wiederholen.
An updated map of #Afghanistan [Aug 18] Bazarak and Panjshir continue to resist the Taliban. pic.twitter.com/jmALrrpHfF
— DRM Journal (@remilitari) August 18, 2021
In den vergangenen Tagen sollen sich mehrere hochrangige Politiker und Kämpfer in der Panjshir-Provinz versammelt haben. Darunter der Vize-Präsident Amrullah Saleh, welcher sich nach der Flucht von Aschraf Ghani zum neuen Präsidenten Afghanistans erklärte.
Clarity: As per d constitution of Afg, in absence, escape, resignation or death of the President the FVP becomes the caretaker President. I am currently inside my country & am the legitimate care taker President. Am reaching out to all leaders to secure their support & consensus.
— Amrullah Saleh (@AmrullahSaleh2) August 17, 2021
Ebenfalls in der Provinz soll sich der 32-jährige Ahmad Massoud befinden. Er ist der Sohn des berüchtigten Rebellen-Führers Ahmad Shah Massoud, der erfolgreich gegen die Sowjets und die Taliban kämpfte.
Amrullah Saleh, Vice President of Afghanistan and Ahmad Massoud, son of Ahmad Shah Massoud spotted in Panjshir.They are bringing all Anti-Taliban commanders together in Panjshir. This province is still free from Taliban. pic.twitter.com/bgb8hUdfwi
— Sudhir Chaudhary (@sudhirchaudhary) August 16, 2021
Ahmad Masoud sagte am Dienstag, er werde gegen die Taliban kämpfen. Er und seine Kämpfer würden sich für Demokratie und Frauenrechte einsetzen.
Ahmad Masoud, the son of Ahmad Shah Masoud, has mobilized fighters in Panjshir & vows to fight the Taliban.
— Sina Toossi (@SinaToossi) August 17, 2021
Here he says in good English they will fight for "democracy, the rights of the people & women." pic.twitter.com/tSgzKUXtsO
In mindestens zwei Städten hat es am Mittwoch Proteste gegen die Taliban gegeben. In der Stadt Jalalabad gingen Hunderte Menschen auf die Strasse und schwenkten die afghanische Flagge. Sie wehrten sich, als die Taliban die Flagge ersetzen wollten. Erst vor vier Tagen hatten die Taliban die Stadt nahe der pakistanischen Grenze übernommen. Dies, nachdem sie einen Deal mit der lokalen Regierung ausgehandelt hatten und es kaum Blutvergiessen gegeben hatte.
Die lokale Bevölkerung scheint sich jedoch nicht geräuschlos mit den neuen Machthabern abgeben zu wollen. Trotz der Risiken wagten sich die Protestierenden auf die Strasse und liessen sich auch nicht vertreiben, als die Taliban mit ihren Waffen Warnschüsse abgaben. Wie Al Jazeera berichtet, blieb es jedoch nicht bei den Warnschüssen. Mindestens drei Personen seien bei den Protesten getötet worden.
Afghans protesting for the national flag of Afghanistan managed to raise the flag in Khost despite Taliban firing on them and attacking them. Similar protests have taken place in Jalalabad and elsewhere. Afghans are willing to die for their flag, their identity. pic.twitter.com/V6pmm3wQZD
— Mohsin Dawar (@mjdawar) August 18, 2021
Ähnliche Berichte gab es aus der Stadt Khost im Südosten des Landes. Auch dort ging die Stadtbevölkerung gegen die Taliban auf die Strasse. Videos auf Social Media zeigen chaotische Szenen und Taliban, die von ihren Waffen Gebrauch machen. Auch in Khost soll es Verletzte und Tote gegeben haben.
Zawianews berichtet, es gäbe Proteste in Jalalabad bei denen auch die afghanische Nationalflagge gezeigt würde. #Afghanistan https://t.co/TQR4cnr0c5
— Enno Lenze (@ennolenze) August 18, 2021
Obschon die Taliban für ihre Brutalität gegenüber Frauen bekannt sind, wagen diese nun den Widerstand. Am Dienstag kursierte auf Social Media ein Video von vier Frauen, die in den Strassen Kabuls demonstrierten. Obschon mehrere bewaffnete Taliban sie beobachteten, hielten sie Forderungen in die Luft. «All unsere Errungenschaften der letzten Jahre sollten nicht infrage gestellt und unsere Grundrechte nicht angetastet werden», so die Botschaft der Frauen.
First reported women’s protest in Kabul following the takeover by the Taliban:
— Leah McElrath 🏳️🌈 (@leahmcelrath) August 17, 2021
Four women holding handwritten paper signs stand surrounded by armed Taliban fighters
Indescribable courage:pic.twitter.com/1HtpQ4X2ip
Auch mehrere Journalistinnen liessen sich durch die Taliban nicht einschüchtern. Am Tag nach der Machtübernahme gingen sie weiterhin ihrem Job nach und berichteten von den Strassen Kabuls. Vor 20 Jahren, als die Taliban zuletzt an der Macht waren, war dies noch undenkbar.
Bei @ToloNews sind heute wieder Moderatorinnen und Reporterinnen in Kabul auf Sendung. Ich kann meine Bewunderung für afghanische Journalistinnen und Journalisten kaum in Worte fassen. pic.twitter.com/MVj4Mu7TD8
— Miriam Beller (@miriam_beller) August 17, 2021
Bislang sind aus Kabul noch keine Vergeltungsmassnahmen gegenüber diesen Frauen bekannt. Ob sich das ändert, sobald sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit wieder anderen Themen zuwendet, wird sich weisen.
Die verschiedenen Stämme und Regionalfürsten werden schwächen der Taliban ausnutzen um ihren eigenen Einfluss zu stärken. Es wird spannend sein zu sehen, wie gut die Taliban die Macht über ganz Afghanistan halten können.