In Afghanistan hält der Winter Einzug – zum zweiten Mal unter den Taliban, seit diese im August 2021 die Herrschaft an sich gerissen hatten. Schon der erste Winter war schwierig, der zweite dürfte noch härter werden. Afghanen und Afghaninnen bringen ihre Besorgnis an den Vertriebsstandorten des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) zum Ausdruck:
Diverse Zahlen bestätigen diese Befürchtungen: Laut der WFP haben derzeit 90 Prozent der afghanischen Bevölkerung nicht genug zu essen. Derweil hat ein Kinderspital des Roten Kreuzes in Kabul in diesem Jahr bereits 55 Prozent mehr Kinder mit Lungenentzündungen behandelt als im selben Vorjahreszeitraum.
Die Bevölkerung kämpft mit Kälte, Hunger, Arbeitslosigkeit und im Kern mit einer Regierung, die sich nicht um sie kümmert.
Seit der Machtübernahme der Taliban im letzten Jahr hat sich die Lage für die Bevölkerung in Afghanistan drastisch verschlechtert. Laut eines Berichts der WFP hatten bereits im August neun von zehn Haushalten unzureichenden Zugang zu Lebensmitteln. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung musste bereits Massnahmen ergreifen, um gegen den Hunger anzukämpfen. Gemäss dem WFP-Bericht reduzierten so beispielsweise 61,9 Prozent der Erwachsenen ihre Nahrungsmittelaufnahme, damit ihre Kinder genug zu essen haben. Im Vergleich zum letzten Jahr ist diese Zahl um 48,2 Prozent gestiegen. Was aber, wenn es auch für die Kinder nicht mehr genug zu essen gibt?
Die Kinder seien ständig am Weinen und schlafen nicht, berichtet Abdul Wahab diese Woche gegenüber «BBC»-Reportern. Er greift deshalb zu verzweifelten Massnahmen:
Wahab lebt in einer kleinen Siedlung aus Schlammhäusern, unweit der drittgrössten Stadt Afghanistans, Herat. Ein Ort, der im letzten Jahrzehnt stetig gewachsen ist. Immer mehr Menschen sind – vertrieben von Krieg und Naturkatastrophen – in dieses Dorf gezogen.
Nebst Abdul befinden sich etwa zehn weitere Personen in der Gesprächsrunde mit der «BBC». Die Reporter wollen wissen, wie viele von ihnen ihre Kinder sedieren. «Alle von uns», geben sie zu. Einer von ihnen zückt eine Tablettenpackung aus der Hosentasche. Es handelt sich um das Medikament Alprazolam. Ein Arzneistoff aus der Gruppe der Benzodiazepine, die üblicherweise zur Behandlung von Angst- und Panikstörungen eingesetzt werden. Er habe sechs Kinder, erzählt der Mann. Das jüngste ist gerade mal einjährig. Auch ihm verabreiche er die Tabletten.
Fünf Tabletten bekommt man in der lokalen Apotheke für 10 Afghanis, was 10 Rappen entspricht. Für denselben Preis kann mach sich vor Ort auch ein Brot kaufen. Ein solches teilen sich jeweils mehrere Familien pro Tag.
Die afghanische Bevölkerung kann sich kaum mehr etwas leisten, ein grosser Teil hat keine Arbeit mehr. Mit der Machtübernahme der Taliban im letzten Jahr wurde der Geldfluss über Nacht gekappt. Die Devisenreserven im Ausland wurden eingefroren, Banküberweisungen gestoppt, die nicht anerkannte Taliban-Regierung international mit Sanktionen belegt. Die Arbeitslosigkeit im Land schoss in die Höhe. Doch auch Arbeit garantiert noch keine Einnahmen. Wer nämlich Waren verkauft, bleibt oft darauf sitzen, da sie sich niemand leisten kann.
Vor der Machtübernahme der Taliban arbeitete der grösste Teil der Männer in Herat als Tagelöhner, berichtet «BBC» weiter. Mittlerweile finden sie nur noch selten Arbeit. Im Winter wird sich die Lage noch weiter verschärfen, da viele Baustellen zufrieren und so die Arbeit im Baugewerbe einbricht. Finden die Männer doch Arbeit, so bringt ihnen diese pro Tag gerade mal 100 Afghanis (knapp einen Franken) ein.
Wenn auch mit Arbeit kaum Geld verdient werden kann, wird der Handlungsspielraum klein. Sehr klein. Und oftmals sieht sich die afghanische Bevölkerung gezwungen, zu drastischen Massnahmen zu greifen.
So beispielsweise Ammar (Name von der «BBC» geändert). Vor drei Monaten habe er sich einer Operation unterzogen, um seine Niere entfernen zu lassen, erzählt er der «BBC». Die fast 23 cm lange Narbe sieht noch immer frisch aus. Umgerechnet 2870 Franken hat der noch nicht einmal 30-Jährige für den Verkauf seiner Niere erhalten. Mit der Hälfte des Betrages musste er direkt Schulden begleichen.
«BBC» traf auch auf eine junge Mutter, die dieses Jahr ihre Niere verkauft hatte. Ihr wurden dafür umgerechnet 2550 Franken bezahlt. Ebenfalls Geld, dass sie nicht behalten konnte. Ihre Familie musste damit Schulden begleichen, die sie aufgenommen hatten, um eine Herde Schafe zu kaufen. Diese hatten sie allerdings bereits vor ein paar Jahren in einer Überschwemmung verloren. Und die Schulden sind damit noch immer nicht beglichen. Deshalb sei sie jetzt gezwungen, ihre zweijährige Tochter zu verkaufen, erzählt die Frau. Ein Akt purer Verzweiflung. Ihr Ehemann ergänzt:
Sie sind bei weitem nicht die Einzigen, die in dieser Massnahme den letzten Ausweg sahen. Ein anderer Mann erzählt, er habe seine vierjährige Tochter verkauft, um davon Essen kaufen zu können. Noch lebt die kleine Nazia mit ihrer Familie. Erst mit dem Erreichen ihres 14. Lebensjahres wird sie den Preis für diesen Handel bezahlen müssen.
Die Empathie der Taliban scheint sich gegenüber ihrer Bevölkerung in Grenzen zu halten. Ihr Fokus liegt primär noch immer auf der Durchsetzung strenger islamischer Rechte. Versuchten sie zu Beginn ihrer Herrschaftsübernahme zumindest noch gegen aussen Frauenrechte zu respektieren, ist inzwischen gar nichts mehr davon zu spüren. Auch zehn unabhängige UN-Berichterstatter kommen am Freitag zum Schluss, dass die Menschenrechte von Frauen und Mädchen immer schamloser verletzt würden.
In weiten Teilen des Landes sind die Mädchenschulen ab der siebten Klasse geschlossen. Erst kürzlich wurde Frauen in Kabul der Zugang zu Parks verboten, weil sich die Parkbesucher nicht an die Geschlechtertrennung gehalten haben sollen. In der zentralen Provinz Urusgan sollen Frauen laut Medienberichten keine SIM-Karten mehr kaufen dürfen.
Wie die Berichterstatter weiter mitteilten, würden zudem die Geschlechter vermehrt gegeneinander ausgespielt. So würden Männer geschlagen, wenn Frauen in ihrer Begleitung bunt angezogen seien oder ihr Gesicht nicht verschleierten. Jungs und Männer würden dadurch gezwungen, die Mädchen und Frauen zu bestrafen.
Das Bestrafen nehmen die Taliban als eigene Aufgabe weiterhin sehr ernst. Nach offiziellen Angaben soll es am vergangenen Mittwoch zum ersten Mal seit der letztjährigen Machtübernahme zu öffentlichen Auspeitschungen gekommen sein. Und zwar an keinem geringeren Ort als in einem Fussballstadion. 14 Menschen wurden in der Provinz Logar im Osten des Landes nach eigenen Angaben unter anderem für Ehebruch, Diebstahl und Korruption bestraft.
Nach einem Blick auf Twitter ist es allerdings fraglich, ob es sich dabei tatsächlich um die erste öffentliche Auspeitschung gehandelt haben soll. Dort kursieren nämlich mehrere Videos, welche die Auspeitschung von Frauen zeigen. Der Frau im Screenshot wird vorgeworfen, Musik gehört zu haben. Unter der Regierung der Taliban ein Verbrechen, das drakonisch bestraft wird.
Überraschen tun diese Aktionen leider nicht. Bereits während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 wurden Auspeitschungen, Amputationen oder Steinigungen in der Öffentlichkeit vollzogen.
Nebst aller Kälte, Hunger und Krankheit spüren die Afghaninnen und Afghanen vor allem eins: Angst. Angst vor dem diesjährigen Winter. Angst vor Hunger und Kälte. Und nicht zuletzt Angst vor einem Regime, das ihnen nicht nur die Hilfe unterlässt, sondern ihnen noch mehr Leid auferlegt.
Mit Material der Nachrichtenagentur sda.
Deren Frauen und Kinder scheinen keine Fragen an sie zu stellen?
Nach dem Abzug der. Amerikaner und Europäer war die afghanische Armee mit Personal und Waffen gut ausgestattet. Sie zogen es aber vor die Taliban machen zu lassen. Für Religion hungern. Religion wichtiger als Essen und Wirtschaft.
Ich wünschte den Islamischen Ländern das sie eine Abkürzung finden.
Eben.