Am Schluss sind sie doch alle gekommen: Am Montag landeten sowohl Vertreter der äthiopischen Regierung als auch von der Volksbefreiungsfront von Tigray in Südafrika, um sich für Friedensverhandlungen gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Es war ein langer Weg bis dahin. Ein Weg, der gepflastert ist mit unglaublichem Elend. Und ob der Weg zielführend ist, ist noch offen.
Verhandelt werden soll um Tigray, die nördlichste Verwaltungsregion von Äthiopien. Denn dort tobt seit zwei Jahren ein blutiger Krieg, der die fast 6 Millionen Menschen in der Region in eine humanitäre Katastrophe gestürzt hat. Es ist ein Krieg, den der Friedensnobelpreisträger und Präsident Äthiopiens, Abyi Ahmed, gegen seine eigene Bevölkerung führt.
Erst letzte Woche sagte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, ehemaliger äthiopischer Gesundheitsdirektor:
Tedros Ansprache kam in derselben Woche wie António Guterres Statement, dass die Lage in Tigray ausser Kontrolle gerate.
Nur, der UN-Sicherheitsrat zögert: Dieser erörterte den Konflikt in Äthiopien während einer geschlossenen Sitzung am vergangenen Freitag, gab aber wegen der Uneinigkeit seiner 15 Mitglieder keine Erklärung ab.
Wie sich die Ereignisse um und in Tigray gerade überschlagen:
Der Tigray-Konflikt hat seine Wurzeln in langjährigen Rivalitäten zwischen regionalen Machtblöcken in Äthiopien. Tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die Macht zwischen den föderalen und regionalen Behörden verteilt werden sollte, befeuerten den Konflikt zwischen der äthiopischen Regierung und der Regionalpartei TPLF.
Der Krieg in Äthiopien begann ursprünglich im November 2020. Damals schickte der äthiopische Premierminister Abyj Ahmed äthiopische Truppen in die Region Tigray, da er die dort regierende TPLF beschuldigte, Lager der Bundesarmee angegriffen zu haben. Ein fünfmonatiger Waffenstillstand zwischen regierungsnahen Kräften und Rebellen endete diesen August. Der Krieg hat sich mittlerweile auf die benachbarten Regionen Afar und Amhara ausgeweitet.
Abyjs Kampagne wird von Eritrea unterstützt, das nördlich an Tigray grenzt. Eritrea und Äthiopien waren seit Ende der 90er Jahre bis vor wenigen Jahren verfeindet. Das Beilegen des Konflikts zwischen den beiden Ländern brachte Abyj 2019 den Friedensnobelpreis ein. Und 2020 scheinen sich die beiden Staaten also einen gemeinsamen neuen Feind auserkoren zu haben: die TPLF.
Seit Donnerstag gibt es Hoffnung auf ein Ende des Massakers in Tigray: Abyj verkündete, dass der Krieg «nicht ewig» fortgesetzt werde. Es seien darum Friedensgespräche für Montag, 24. Oktober, geplant, die die Afrikanische Union in Südafrika überwachen werde. Doch dazu müssten erst die «flüchtigen Behörden von Tigray» ihre Teilnahme an den Friedensgesprächen bestätigen.
Erst in der Nacht auf Montag reagierte ein Sprecher der TPLF, Kindeya Gebrehiwot – er kündete via Twitter die Ankunft einer Tigray-Delegation zu den Friedensverhandlungen an. Dabei ist die Position der TPLF klar: sofortige Einstellung der Feindseligkeiten, ungehinderter humanitärer Zugang und Rückzug der eritreischen Streitkräfte.
The delegation of the Govt of Tigray to attend the AU-led peace talks on #Ethiopia #Tigray have just arrived at South Africa. Pressing: immediate cessation of hostilities, unfettered humanitarian access & withdrawal of Eritrean forces. There can't be a military solution!
— Kindeya Gebrehiwot, PhD, Prof (@ProfKindeya) October 23, 2022
Wie ernst es den äthiopischen Streitkräften und ihren Verbündeten mit dem Frieden ist, ist aber ungewiss. Denn kurz nach der Verkündung, dass Friedensgespräche geplant seien, haben die äthiopischen Streitkräfte mehrere Städte in Tigray eingenommen. Dazu wurde unter anderem ein Luftangriff auf die Stadt Adwa geflogen, der wohl zivile Opfer gefordert hat. Die äthiopische Regierung erklärte zudem, sie habe die Grossstadt Shire eingenommen.
Der Krieg in Tigray hat Tausende von Menschen das Leben gekostet, Millionen aus ihren Dörfern vertrieben und Hunderttausende an den Rand einer Hungersnot gebracht. Frauen und Mädchen werden vergewaltigt, Männer verstümmelt oder verschleppt. Rund fünf Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Dieses Bild malen mehrere Berichte nationaler und internationaler Organisationen.
Fassbar wird das Elend in einer TV-Reportage aus dem Sommer 2022. Gezeigt wird die Realität in Tigray. Die Realität beginnt in der englischen Fassung mit dem Disclaimer: «Warnung. Erschütternde Bilder.»
Zu sehen ist unter anderem ein Kleinkind; ausgezehrt vor Hunger wimmert es in einem Bett. Der Arzt, Tsehaye Alemseged, bescheinigt: Es ist stark unterernährt. Der Arzt sagt:
Und dann sagt der Arzt noch etwas:
In einer anderen Einstellung weint ein Mann, der auf einem Mäuerchen sitzt. Er zeigt auf eine Ansammlung von Frauen und Kindern, die vor einer Kirche stehen und Flaschen mit Weihwasser entgegennehmen. Der Mann sagt:
Debrestion Gebremikael, Präsident der Tigray-Region sowie Vorsitzender der TPLF, sagt in der Dokumentation:
Eine Untersuchung von September 2022 ergab, dass alle am Tigray-Krieg beteiligten Parteien Verstösse begangen hätten, die als Kriegsverbrechen verurteilt werden könnten: Hunger wird als Waffe eingesetzt, sexuelle und mutwillige Gewalt zerstört Leben, Existenzen und zivile Infrastruktur.
Die äthiopische Regierung hat Tigray mittlerweile hermetisch abgeriegelt. Sie und ihre Verbündeten blockieren weiterhin den Handelsverkehr in die Region, die Treibstofflieferungen bleiben extrem eingeschränkt und die Strom-, Telekommunikations- und Bankdienstleistungen bleiben unterbrochen. Jetzt sind sogar die humanitären Massnahmen wieder ausgesetzt.
Informationen über die mutmasslichen Massenmorde und das Leid der fünf Millionen Bewohner gelangen darum nur sehr schwer nach draussen.
Hunger ist eine der Waffen, die menschenrechtswidrig eingesetzt werden im Krieg. Auf einer Hungersnot-Skala von eins bis fünf sei Tigray bereits letztes Jahr bei einer Vier angelangt, schätzt das Hilfswerk USAID. Mehr humanitäre Katastrophe geht fast nicht mehr. Oder?
Und für die Hungersnot in Tigray verantwortlich seien die äthiopische und die eritreische Regierung, kam die World Peace Foundation zum Schluss. Die Organisation führte mannigfaltige Beweise für ihre Annahme auf. Die Autoren argumentierten, «dass das Hungern beabsichtigt, systematisch und weit verbreitet war».
Als Taktiken, um diesen Hunger herbeizuführen, werden in diesem und in weiteren Berichten von Menschenrechtsorganisationen sowohl Plünderungen als auch das Verbrennen von Ernten aufgeführt. Der Zugang zu Dünger werde der Bevölkerung durch Blockaden verunmöglicht.
Das Plündern von Autos, Generatoren, Lebensmittelvorräten, Rindern, Schafen und Ziegen sei durch die Streitkräfte wohl systematisch durchgeführt worden. Und somit ein Verstoss gegen das internationale Strafrecht, sagt Alex de Waal, Geschäftsführer der World Peace Foundation. Denn «einem Kriegführenden ist es verboten, Gegenstände zu entfernen, zu zerstören oder nutzlos zu machen, die für das Überleben der Zivilbevölkerung unentbehrlich sind».
Die äthiopische Regierung habe zusammen mit verbündeten Streitkräften gezielte Anstrengungen unternommen, um der Region Tigray «den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen [...] und humanitärer Hilfe» zu verweigern, heisst es in einem weiteren Bericht, der im September dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt wurde. So würden Lebensmittellager von Nichtregierungsorganisationen von den äthiopischen und eritreischen Streitkräften belagert, sobald sie eine Stadt eingenommen hätten, sagte ein humanitärer Helfer der Nachrichtenagentur AP.
Treibstoffmangel und Stromausfall erschwerten die Verteilung von Hilfsgütern weiter, so die ägyptische Tageszeitung «Al Ahram» in einer Reportage. Und auch Menschen, die theoretisch über Geld verfügten, verhungerten, da ihnen seit zwei Jahren keinen Zugang zu ihren Konten gewährt werde, wie auch Tedros bestätigt.
Zu den mutmasslichen Kriegsverbrechen in Tigray gehört auch die Zerstörung ziviler Objekte wie Spitälern.
Human Rights Watch erklärte bereits früh im Krieg, dass äthiopische Streitkräfte Artillerieangriffe gegen Spitäler, Schulen und Märkte in den Städten Mekele, Humera und Shire führten. Heute ist aufgrund der Blockaden und der Zerstörung nur noch ein Spital in der Lage, wenigstens die nötigste medizinische Hilfe anzubieten: das Ayder-Referral-Spital in der Hauptstadt der Region, Mekele.
Behandelbare Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Diabetes seien in Tigray mittlerweile sichere Todesurteile, sagte Tedros in seiner Ansprache vergangene Woche.
Die Tigray-Streitkräfte wiederum wenden dieselbe Taktik bei einer Offensive in den Nachbarregionen Afar und Amhara an. In einer Mitteilung der Äthiopischen Menschenrechtskommission (EHCR) vom März 2022 heisst es:
Kürzlich veröffentlichte die Nachrichtenagentur AP Auszüge aus einem internen Dokument, aus dem hervorgeht, dass allein in der Stadt Sheraro im Nordwesten Tigrays rund 40 Mädchen und Frauen im Alter zwischen 13 und 80 Jahren vergewaltigt wurden. Das Dokument berichtet von acht weiteren Vergewaltigungen, «einschliesslich Gruppenvergewaltigungen», im Bezirk Tselemt.
Die Täter und der Zeitraum werden im Bericht nicht genannt. Aber: Diplomatischen Quellen zufolge haben eritreische und äthiopische Truppen letzten Monat die Kontrolle über Sheraro übernommen.
Ein Bericht von Amnesty International über mutwillige Gewalt lässt Augenzeugen sprechen. Sie erzählen, wie eritreische und äthiopische Truppen bei einer Offensive die Stadt Axum eingenommen haben. Deprose Muchena, der Leiter für Ostafrika und das südliche Afrika bei Amnesty International, sagte damals:
Ein Bewohner der Stadt berichtete Amnesty, er habe durch sein Fenster beobachtet, wie eritreische Soldaten sechs Männer auf der Strasse aufgereiht und mit einem automatischen Gewehr von hinten erschossen hätten.
Es steht der Vorwurf im Raum, dass Beamte und Streitkräfte der Region Amhara «ethnische Säuberungen» an der tigrayischen Bevölkerung durchgeführt hätten: «Ganze Dörfer wurden stark beschädigt oder vollständig ausgelöscht.» Dies geht aus einem internen Bericht der US-Regierung hervor, den die «New York Times» auswertete.
Einige Kriegsverbrechen sollen wohl vertuscht werden, denn es sei damit begonnen worden, Massengräber ethnischer Tigrayaner systematisch auszuheben und die Leichen zu verbrennen, so die BBC im Mai 2022. Dieser Vorgang sei nur einige Tage nach der Genehmigung der Finanzierung einer UN-Untersuchung von Kriegsverbrechen im Tigray-Krieg dokumentiert worden (gegen die Äthiopien gestimmt hatte).
Auf der anderen Seite zeigt ein Bericht der Amhara Association of America von vergangener Woche, dass die Streitkräfte von Tigray seit August in der Region Raya Kobo, die an Tigray grenzt, Zivilisten verschleppen, töten und vergewaltigen. Eine Auswertung von Satellitenbildern bestätige zudem, dass die TDF absichtlich ein Dorf in der Region Amhara niederbrannte.
Die äthiopische Regierung hat wiederholt bestritten, humanitäre Hilfslieferungen nach Tigray zu blockieren oder Zivilisten ins Visier zu nehmen. Sie erklärte vergangene Woche, dass ihre Streitkräfte die Menschenrechte achteten.
Die aktuell laufenden Friedensgespräche könnten Raum schaffen, damit die mutmasslichen Kriegsverbrechen verurteilt und geahndet werden. Und einen Völkermord in Tigray gerade noch rechtzeitig abwenden.
Aber am Ende ist es einfach nur schlimm und es beelendet mich dieser hass und leid überall auf der welt.
Das ist alles nur bla bla und das Papier nicht Wert auf dem es geachrieben ist. Jene die das einhalten fangen erst gar keinen Krieg an, und den anderen geht ea am Allerwertesten vorbei. Im Gegenteil: Es ist Bestandteil der Kriegstaktik.