
Menschen bringen ihr Hab und Gut in Sicherheit, Beira, Mosambik.Bild: EPA/IFRC
Vor knapp zwei Wochen zog Zyklon «Idai» über Mosambik, Malawi und Simbabwe. Er hinterliess eine Spur der Zerstörung. Über 700 Menschen starben, die Angst vor Seuchen wächst. Wir haben mit zwei Unicef-Mitarbeitern in Mosambik und Malawi über die Lage vor Ort gesprochen.
31.03.2019, 14:4601.04.2019, 09:25
Am 14. März traf der Zyklon «Idai» spätabends auf mosambikischen Boden und zog nordwestwärts über das südliche Afrika. Er brachte heftige Regenfälle und starke Winde mit sich und überschwemmte grosse Flächen. Obwohl Mosambik – insbesondere die Hafenstadt Beira – am härtesten getroffen wurde, leiden auch Malawi und Simbabwe unter den Auswirkungen.
Wie schlimm die Katastrophe wirklich ist, erfuhren wir im Gespräch mit zwei Unicef-Mitarbeitern. Johannes Wedenig ist in Malawi, Daniel Timme in Mosambik vor Ort.
Wie gross ist das Ausmass?
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Zyklon «Idai» in Afrika
Das ganze Ausmass der Katastrophe: Die überschwemmten Gebiete sind rot eingefärbt.
quelle: epa/esa / esa / handout
Es ist schwierig, Daniel Timme derzeit zu erreichen. Er sei gerade aus der Küstenstadt Beira zurückgekommen, erzählt er uns am Telefon. Die Lage sei katastrophal. Er hört sich erschöpft an. Zwar gebe es einige positive Anzeichen, weil das Wasser langsam abfliesst. Aber man könne nicht wirklich sagen, dass sich die Lage verbessert. Immerhin sei jetzt langsam alles organisierter.
«Das ist eine Katastrophe eines Ausmasses, das wir so im südlichen Afrika noch nicht gesehen haben. 5 Millionen Menschen sind direkt betroffen. 1,8 Millionen Menschen brauchen akut Hilfe. Davon sind 1 Million Kinder.»
Daniel Timme
Im Epizentrum der Katastrophe – der Hafenstadt Beira – gibt es Zeichen der Hoffnung: Das Trinkwassersystem ist wiederhergestellt, der Flughafen kann wieder angeflogen werden und die Landwege zur 500'000-Menschen-Stadt sind offen.

Land unter Wasser in Marka, Malawi.Bild: unicef
Mosambik ist das am stärksten betroffene Gebiet, aber auch in Malawi und Simbabwe leidet die Bevölkerung. Woran fehlt es dort am meisten?
«Nun ja, wir sind auf die Notfallversorgung von 50'000 Menschen vorbereitet und jetzt sind es plötzlich zehnmal so viel. Das heisst, dass es überall Mängel gibt. Zu wenig Zelte, zu wenig Nahrung, zu wenig Medikamente.»
Johannes Wedenig
Momentan sind 800'000 Menschen in Malawi von der Krise betroffen, 85'000 mussten ihr Zuhause verlassen und sind derzeit in Schulen und Camps untergebracht. Insgesamt verloren in Mosambik, Malawi und Simbabwe bisher über 700 Menschen ihr Leben, hunderte werden noch vermisst.
Was sind die grössten Gefahren?

Eine Familie nahe Beira in Mosambik.Bild: AP/AP
Die grösste Bedrohung für die Bevölkerung geht momentan von Seuchen aus. Diese Woche wurden die ersten Fälle von Cholera gemeldet.
Bei der Cholera handelt es sich um eine Bakterieninfektion, die leicht übertragen wird, vor allem durch verunreinigtes Trinkwasser und verseuchte Lebensmittel. Der Erreger führt zu Bauchschmerzen und Brechdurchfall und damit zu einer gefährlichen Austrocknung des Patienten. «Wie viele Fälle gibt es in Mosambik?»
«Ja, das ist so eine Sache mit den offiziellen Zahlen ... Wir wissen schon jetzt von über 100 Fällen, die an dünnflüssigem Durchfall leiden. Das muss nicht unbedingt Cholera sein, aber für Kinder ist das sehr gefährlich. Sie sind besonders anfällig auf Durchfall, die Krankheit nimmt häufig einen tödlichen Verlauf.»
Daniel Timme
Wie verhindert man eine Cholera-Epidemie? Laut Timme geht man verschiedentlich dagegen vor. Das Wichtigste ist eine funktionierende Wasserversorgung. Ein weiterer Punkt ist die Prävention: Der Bevölkerung muss bewusst sein, welche Gefahren von verunreinigtem Wasser ausgehen. In Mosambik arbeiten die Hilfswerke eng mit lokalen Radiosendern zusammen, um vor den Gefahren zu warnen.

Ein provisorisches Gesundheitszentrum in Beira, Mosambik.Bild: AP/AP
«Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit, weil wir die Krankheiten in Schach halten müssen. Oberste Priorität hat momentan die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser. Zusätzlich müssen hunderttausende Menschen gegen Cholera geimpft werden.»
Daniel Timme
Aber nicht nur Cholera gefährdet die Bevölkerung. Mosambik befindet sich im Malaria-Risikogebiet. Die überfluteten Flächen sind optimale Brutgebiete für Stechmücken, welche die Infektionskrankheit übertragen:
«Der wässrige Schlamm ist ein Paradies für Moskitos. Die vermehren sich wie verrückt. Wir bekämpfen das, indem wir die betroffenen Gebiete grossflächig mit Insektiziden behandeln und Moskito-Netze an die Bevölkerung verteilen.»
Daniel Timme
Wie geht die Bevölkerung mit der Katastrophe um?

Betroffene warten auf Hilfsgüter, Sofala-Provinz, Mosambik, am 23. März.Bild: EPA/LUSA
Fünf Millionen Menschen sind von der Katastrophe betroffen, die Hälfte davon sind Kinder. Wie geht die Bevölkerung mit so einer Krise um?
«Manche Kinder erzählen, wie sie mitten in der Nacht von den Wassermassen überrascht wurden und sich mit ihren Familien auf Bäume oder Häuser gerettet haben und dann dort über Tage hinweg ausharrten. Als sie dann gerettet wurden, sind einige von ihren Familien getrennt worden. Man sieht die Verzweiflung in der Seele eines Kindes, wir mussten in so viele verzweifelte Gesichter blicken.»
Daniel Timme
Doch nicht nur die körperliche Gesundheit bereitet Sorgen. Viele Kinder sind von den Ereignissen traumatisiert. «Wie hilft man einem Kind, das alles verloren hat?»
«Wichtig ist, dass zum Beispiel der Unterricht für Kinder weitergeht. Der Schulunterricht gibt den Kindern Halt, vermittelt ihnen ein Gefühl des Alltags. Ausserdem haben wir die Kinder dabei unter Beobachtung und bemerken, wenn es ihnen nicht gut geht. Der Unterricht ist auch ein Schutz gegen Ausbeutung und Missbrauch.»
Daniel Timme

Fussball wird überall gespielt. Hier vor einer Schule in Beira.Bild: AP/AP
Aber in Krisenzeiten kommen auch die guten Seiten des Menschen zum Vorschein, meint Timme:
«Wir sind immer wieder beeindruckt, wie widerstandsfähig die Bevölkerung ist. Die Menschen kratzen alles zusammen, was sie haben, und versuchen den am schwersten Betroffenen zu helfen. Sei es mit Nahrungshilfen oder Kleiderspenden. Diese Solidarität beeindruckt mich stets.»
Daniel Timme
Wie gehen die Helfer damit um?

Daniel Timme.Bild: zvg
Gebannt hören wir der Stimme von Herrn Timme zu, er klingt abgekämpft, ausgelaugt. Wenn man seinen Ausführungen zuhört, kommt unweigerlich der Gedanke, dass nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der Helfer vor Ort ein Betroffener ist. «Wie gehen Sie mit so einer Katastrophe um, Herr Timme?»
«Als ich diese Kinder gesehen habe, mit verzweifelten Gesichtern und weinend – das geht einem an die Nieren. Aber wir können es uns nicht leisten, zu viel darüber nachzudenken. Wir müssen funktionieren wie Sanitäter in einem Krankenhaus und das nicht an uns heranlassen.»
Daniel Timme
Die ersten zwei Wochen seien besonders hart gewesen, da die Regierung und die Hilfswerke von der Katastrophe überrascht wurden. Zum Glück komme jetzt Unterstützung aus der ganzen Welt.
«In den letzten zwei Wochen haben wir kaum Schlaf bekommen. Alle haben ihr Bestes gegeben, in 20-Stunden-Schichten gearbeitet. Mitarbeiter mussten sich teils zu zehnt ein Hotelzimmer teilen, weil es nirgends mehr Platz hat. Sie können sich vorstellen, dass wir ziemlich am Ende unserer Kräfte sind. Länger als zwei Wochen kann man das nicht aushalten.»
Daniel Timme
Johannes Wedenig empfindet es ähnlich. Für ihn sei es besonders einprägsam, wenn er junge Mütter sieht, die während der Überschwemmungen Kinder zur Welt bringen. Gerade als Vater berühre ihn das.
«Jeder einzelne betroffene Mensch hat eine Geschichte, ein Schicksal. Das geht manchmal vergessen, wenn man die Zahlen von der warmen Stube aus sieht. Darum ist es auch wichtig, ins Feld zu gehen, um die einzelnen Geschichten zu erleben, sie zu erzählen.»
Johannes Wedenig
Wie geht's jetzt weiter?

Ein Junge aus dem Dorf Buzi trägt Reis nach Hause.Bild: EPA/LUSA
In den nächsten Monaten wird man mit dem Eindämmen der Krankheiten und dem Wiederaufbau beschäftigt sein. Doch längerfristig bereitet vor allem die Ernährungssituation Sorgen:
«Wie Sie sicherlich wissen, wurde die Kornkammer des Landes getroffen, die Ernte zerstört. In Zukunft wird es Hungersnöte geben, weil jetzt keine Saat ausgebracht werden kann. Die Ernteerträge von 400'000 Hektar Land sind auf einmal weg.»
Daniel Timme

Viele abgelegene Orte sind derzeit nur via Luft erreichbar. Hier kommt eine Hilfslieferung im Dorf Nyamatande an.Bild: AP/AP
Johannes Wedenig betont, dass man die Katastrophe nicht als kurzfristige Situation betrachten dürfe.
«Zwei Millionen Menschen sind in Malawi unterernährt. Jedes Jahr wird das Land von einer Dürre ausgetrocknet, jetzt wird das Land überschwemmt. Dieselben Familien, die im Vorjahr hungerten, sind jetzt wieder betroffen.»
Johannes Wedenig
Für die nächsten drei Monate brauche man 30 Millionen Dollar für die Nothilfe, um das Gröbste zu bekämpfen. Für die nächsten neun Monate werden 100 Millionen benötigt. Aber die Katastrophe werde das Land noch lange beschäftigen, sagt Daniel Timme.
«Wir sind froh, dass schon einige Länder ihre Zusage gegeben haben. Aber auch die Privatspender tragen viel zur Finanzierung bei, gerade auch solche aus der Schweiz. Ich kann da nur an die Leser appellieren, so weiter zu machen.»
Daniel Timme
Zyklon «Idai» in Mosambik und Simbabwe
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Zyklon «Idai» in Mosambik und Simbabwe
Der Zyklon Idai hat in Mosambik und Simbabwe verheerende Schäden angerichtet und Hunderte Todesopfer gefordert.
quelle: epa/nasa worldview / nasa worldview / handout
Zahl der Toten in Simbabwe auf 70 gestiegen
Video: srf
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