Mit seiner einstündigen Rede am Montagabend hat Wladimir Putin mehr gebrochen als ein Tabu. In dem teilweise wirren und vor Ressentiments triefenden Monolog dozierte er, die Ukraine sei kein souveräner Staat, sondern ein Teil Russlands. Es war nicht nur ein Angriff auf das Nachbarland, sondern auf grundlegende Prinzipien des Völkerrechts.
Sie wurden wiederholt strapaziert, etwa im Kosovo, aber eine derartige Delegitimierung eines international anerkannten Staates ist im wahrsten Sinne eine Grenzüberschreitung. Der russische Präsident scheint seine ungemütliche Lage realisiert zu haben. Am Dienstag schwankte er zwischen Beschwichtigung und erneuter Kriegsrhetorik.
Russland strebe «absolut nicht» nach der Wiederherstellung eines Imperiums, betonte Putin bei einem Treffen im Kreml mit Ilham Aliyev, dem Präsidenten von Aserbaidschan. Der Kaukasus-Staat war selber Teil des Sowjetreichs. Man anerkenne die geopolitischen Realitäten nach dem Zerfall der Sowjetunion, sagte Putin. Die Ukraine sei eine Ausnahme.
An einer Medienkonferenz am Abend schaltete er wieder in den Aggressionsmodus. Putin erklärte, die russische Anerkennung der «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk beziehe sich auf die beiden ukrainischen Bezirke, nicht nur auf das von den Separatisten kontrollierte Gebiet. Den Minsker Friedensplan, der eine Autonomie vorsah, erklärte er für nichtig.
Bis Sonntag hatten die Russen der Welt vorgegaukelt, sie wollten am Abkommen festhalten. Dabei waren die Kriegsvorbereitungen längst in vollem Gange. Mit den teilweise heftigen Reaktionen dürfte Wladimir Putin gerechnet haben. Sollte der Kreml-Herrscher jedoch auf internationale Unterstützung gehofft haben, dann hätte er sich gründlich verzockt.
Bislang applaudieren ihm nur die «üblichen Verdächtigen», etwa Kuba, Nicaragua und Venezuela. Und natürlich Donald Trump. Widerspruch hingegen gab es selbst von möglichen Unterstützern wie dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan, mit dem Putin in den letzten Jahren eine allerdings eher prekäre Freundschaft zelebrierte.
Nun bezeichnete Erdogan nicht nur die Anerkennung der «Volksrepubliken» als inakzeptabel. Er stärkte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem Telefongespräch demonstrativ den Rücken. Als Nato-Mitglied und Schwarzmeer-Staat ist die Türkei in dieser Krise doppelt exponiert. Erdogan hatte sich als Vermittler angeboten.
Überhaupt reagierten die Nato und der Westen schnell und heftig. US-Präsident Joe Biden sprach am Dienstag vom «Beginn einer Invasion» und verkündete Sanktionen, die unter anderem auf das russische Finanzsystem zielen. Sie seien «spürbar schärfer als jene, die Barack Obama 2014 nach der Annexion der Krim verhängt hatte», schreibt der «Spiegel».
Biden und seine Regierung hatten mehrfach erklärt, ein Krieg stehe unmittelbar bevor. Sie können sich nun bestätigt fühlen. Ihre Geheimdienste haben für einmal ganze Arbeit geleistet. Das russische Szenario spielte sich ab wie von ihnen vorhergesagt, inklusive vorab aufgezeichnete und gefakte Videos sowie inszenierte Anschläge.
Die oft zerstrittenen Europäer zeigten sich ebenfalls geeint. Deutschland stoppte die faktisch fertiggestellte Gaspipeline Nord Stream 2. Die EU-Staaten beschlossen Sanktionen, die stärker ausfallen als ursprünglich angedacht. Grossbritannien nahm drei Oligarchen ins Visier, die Putins System stützen. Und noch hat der Westen einiges in der Hinterhand.
I kid you not. Not only did the separatists prerecord the evacuation videos, but they also didn’t want to blow up the DNR militia head’s expensive UAZ Patriot so badly, they put its number plates on a different old UAZ worth a thousand bucks. Spotted by @djxtrees pic.twitter.com/7fEHEWDPXA
— Tadeusz Giczan (@TadeuszGiczan) February 19, 2022
Sollte Wladimir Putin auf China gehofft haben, dürfte er ebenfalls enttäuscht sein. Dabei ist es kaum ein Zufall, dass er seinen verbalen und realen Angriff auf die Ukraine einen Tag nach Abschluss der Olympischen Winterspiele in Peking lancierte. Offenbar wollte er dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping das Sport- und Propagandafest nicht verderben.
Die Chinesen aber reagierten zurückhaltend. Dabei war Putin eigens zur Eröffnungsfeier angereist und hatte von Xi Jinping scheinbar Rückendeckung in der Ukraine-Krise erhalten. Nun aber begnügte sich der chinesische UNO-Botschafter an der Sondersitzung des Sicherheitsrats am Montagabend mit einem kurzen, nichtssagenden Statement.
Aussenminister Wang Yi hatte sich an der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende zwar gegen die Aufnahme neuer Mitglieder in die Nato ausgesprochen. Er betonte aber die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität jedes Landes und sagte explizit: «Die Ukraine ist keine Ausnahme.» Womit er Chinas Dilemma auf den Punkt brachte.
Indem er der Ukraine die Eigenstaatlichkeit abspricht, torpediert Putin zwei Grundsätze, die China auf internationalem Parkett vehement verteidigt: Die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes und den Respekt vor seinen Grenzen. Peking beansprucht ihn im Fall von Hongkong, Tibet oder Xinjiang, aber auch von Taiwan.
Beobachter fürchten, Putins Einmarsch in der Ukraine könne zum Vorbild werden für eine chinesische Invasion in Taiwan, das nur von wenigen Ländern als eigenständig anerkannt wird. Die Realität aber ist komplizierter. China unterhält gute Beziehungen mit der Ukraine, während das Verhältnis zu Russland eher ein Zweckbündnis ist als eine Freundschaft.
Russland sei in China nicht viel beliebter als westliche Länder, schreibt Mu Chunshan, ein in Peking lebender Journalist, im australischen Online-Magazin «The Diplomat». Denn auch die Russen hätten sich im «Jahrhundert der Demütigung» auf das geschwächte Reich der Mitte gestürzt. Die Chinesen würden sich in Zusammenhang mit der Ukraine daran erinnern.
Wie andere Experten spekuliert Mu deshalb, Putin habe Xi Jinping im vertraulichen Gespräch versichert, keinen umfassenden Einmarsch in die Ukraine zu beabsichtigen. Was die Frage aufwirft, ob der Russe es riskieren könnte, den mächtigen Chinesen genauso hinters Licht zu führen wie die europäischen Staats- und Regierungschefs.
China-Kenner wie der frühere Obama-Berater Ryan Hass, der heute für die Denkfabrik Brookings tätig ist, erkennen in der aktuellen Krise sogar die Chance für eine Annäherung zwischen Peking und Washington. Das wäre für Wladimir Putin eine schlechte Nachricht, denn angeblich betrachtet er nur zwei Mächte als gleichwertig: die USA und China.
9/ We may yet end up with China taking a head-down, all-in approach with Russia, but if we do, I hope it is because all efforts to forestall it were exhausted. Crises also present opportunities. US diplomacy should explore whether they can be realized.
— Ryan Hass (@ryanl_hass) February 22, 2022
Falls sie in der Ukraine-Krise eine gemeinsame Linie fänden, wäre Putin definitiv allein im Kreml. Und das ist nicht unbedingt eine gute Nachricht. Vor allem in Belarus scheinen die Vorbereitungen für eine russische Invasion weit fortgeschritten zu sein. Von dort hätten Putins Panzer und Soldaten den kürzesten Weg in die ukrainische Hauptstadt Kiew.
Der Welterklärer und Hobbyhistoriker Wladimir Wladimirowitsch Putin könnte sich an das Motto halten «Jetzt erst recht». Denn das ist das Problem, wenn Zocker ihre Karten schlecht ausgespielt haben. Sie neigen dazu, noch mehr aufs Ganze zu gehen.
ZB indem die Finma die Schweizer Banken anweisen würde, vorübergehend Konti russischer Staatsbürger ohne Wohnsitz in der Schweiz zu blockieren.
Aber wir stecken warscheinlich einfach wieder mal den Kopf in den Sand.
Ich hoffe vor allem auf die Chinesen (deren Finanzsystem etwas angeschlagen ist). Die könnten das in letzter Zeit verloren gegangene Vertrauen gleich doppelt zurückgewinnen, wenn sie sich jetzt an die Seite der USA und Europa, der Ukraine und das Völkerrecht stellen.
Und warscheinlich ist dann die nato und natürlich die usa schuld, dass putin die invasion durchgeführt hat.