Heiss war es in Genf. Irgendwann hatte Joe Biden genug. Während der Medienkonferenz am Seeufer entledigte sich der US-Präsident seines Jackets. Kurz nach 19.30 Uhr zeigte das Thermometer immer noch rund 30 Grad. Das zwei Stunden zuvor beendete Gipfeltreffen mit Wladimir Putin hingegen verlief anscheinend angenehm temperiert.
Das lag nicht nur an der Klimaanlage, die die Schweizer Organisatoren in der ehrwürdigen Villa «La Grange» installieren mussten. Der amerikanische und der russische Präsident schafften es, die vielen heiklen Themen ohne hitzige Debatten zu umschiffen. Was nicht selbstverständlich war, denn Biden und Putin konnten es zuletzt nicht miteinander.
Die Beziehungen seien «auf einem Tiefpunkt angelangt», sagte Putin in einem Interview mit dem US-Sender NBC im Vorfeld des Genfer Gipfels. Zuvor hatte Biden seinerseits in einem Interview die Frage bejaht, ob Putin ein «Killer» sei. Die Begrüssung im Beisein von Bundespräsident Guy Parmelin verlief denn auch eher steif, obwohl beide sich kennen.
Angesichts der schlechten Voraussetzungen war es ein Erfolg, dass die Begegnung überhaupt stattfand. «Es ist immer besser, sich persönlich zu treffen», meinte Biden. Für den relativ kurzen Austausch wurde die Rhonestadt in eine Art Belagerungszustand versetzt. Polizei und Armee waren omnipräsent, das Seeufer war unzugänglich.
Im Vorfeld gab es vor allem in Schweizer Medien häufig Vergleiche mit dem denkwürdigen Gipfel zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow 1985 am selben Ort. Der Vergleich aber hinkt nicht nur, weil das damalige Treffen nicht an einem heissen Junitag, sondern im eisigen November stattgefunden hatte.
Während sich Biden und Putin nur etwas mehr als drei Stunden unterhielten, sprachen Reagan und Gorbatschow zwei Tage miteinander. Das war entscheidend. Während die Begrüssung auch damals distanziert verlief, kam man sich im weiteren Verlauf immer näher. Der alte «Kommunistenfresser» Reagan und der relativ junge Gorbatschow mochten sich.
Konkrete Ergebnisse brachte der Gipfel von 1985 nicht, und es wäre übertrieben, ihn als Anfang vom Ende des Kalten Kriegs zu bezeichnen. Aber die in Genf angestossene Entspannung zwischen den Supermächten war ein wichtiger Faktor in der weiteren Entwicklung, die zum Fall der Berliner Mauer und zum Ende der Sowjetunion führte.
Womit auch der wichtigste Unterschied angesprochen wäre: Die Sowjetunion war damals tatsächlich eine Supermacht und die grosse Rivalin der USA. Heute hat China diese Rolle übernommen. Russland spielt nicht mehr in der gleichen Liga, zum Leidwesen von Wladimir Putin. Der ehemalige KGB-Agent hat den Zerfall der Sowjetunion nie verwunden.
Umso mehr setzt er auf jene «Waffen», die ihm geblieben sind: Er hat das Militär aufgerüstet und modernisiert, um die Lücke zu füllen, die die USA im Nahen Osten hinterlassen. Und er schickt seine Hackerarmeen und Social-Media-Trolle los, um die westlichen Demokratien zu destabilisieren. Selbst Sabotageakte an Infrastrukturen gehören zum Repertoire.
Joe Biden und seine Regierung wollten mit dem Genfer Treffen deshalb versuchen, das zerrüttete Verhältnis auf eine halbwegs vernünftige Basis zu stellen. Denn der amerikanische Fokus gilt der Rivalität mit China. Biden hat betont, dass es für ihn undenkbar ist, dass das totalitäre China den Westen technologisch in den Schatten stellt.
Gemessen an den nicht sehr hohen Erwartungen war das Treffen zumindest kein Misserfolg. Trotz der eher kurzen Dauer – die Russen hatten im Vorfeld von vier bis fünf Stunden gesprochen – konnten alle wichtigen Themen diskutiert werden. Auch Wladimir Putin bezeichnete die Gespräche in seiner Medienkonferenz als konstruktiv.
Konkrete Ergebnisse gab es kaum, ausser dass die Botschafter beider Länder in ihre Residenzen in Moskau und Washington zurückkehren werden. Zum Thema Cybersicherheit soll es Expertengespräche geben. Ausserdem kündigten die beiden Länder in einer gemeinsamen Mitteilung die Aufnahme eines Stabilitäts-Dialogs an.
Ziel seien Massnahmen, um das Risiko eines Atomkriegs zu reduzieren. Ein solcher könne «nicht gewonnen werden und darf niemals ausgetragen werden», heisst es in der Mitteilung, eine direkte Reminiszenz an die Schlusserklärung des Reagan-Gorbatschow-Gipfels. Womit die Ausgabe 2021 doch noch eine historische Komponente erhielt.
«Das Letzte, was er heute will, ist ein Kalter Krieg», sagte Biden mit Verweis auf seinen russischen Amtskollegen. Die grosse Freundschaft wird zwischen den USA und Russland dennoch nicht ausbrechen. Zu gross sind die Differenzen bei Themen wie Ukraine, Belarus, Syrien, Menschenrechten und Unterdrückung der russischen Opposition.
Wladimir Putin verwahrte sich gegen entsprechende Vorwürfe mit dem von ihm bekannten Whataboutismus, indem er auf die Verfehlungen der USA wie Rassismus oder Guantanamo verwies. Den Namen Alexej Nawalny nahm er wie üblich nicht in den Mund. Besonders dreist war seine Behauptung, die USA seien für die Cyberattacken selbst verantwortlich.
Putin braucht das Feindbild USA. Es ist deshalb wenig wahrscheinlich, dass sich das Verhältnis trotz der warmen Worte im heissen Genf wesentlich verbessern wird. «Putin ging nach Genf und erhielt genau das, was er wollte. Und er verliess die Schweiz mit einem grossen diplomatischen Erfolg, indem er einfach aufgetaucht ist», bilanzierte CNN.
Und was bleibt für die Schweiz? Die Glaubwürdigkeit der Schweizer Diplomatie sei gestärkt worden, meinte Aussenminister Ignazio Cassis, der einen Erfolg gerade gut brauchen kann. Letztlich bleiben aber vor allem die Postkartenbilder in Erinnerung. Und Joe Bidens Einsatz als Handelsvertreter für die Kampfjet-Hersteller Lockheed Martin und Boeing.
Wenn die Chinesen uns vorwerfen, wir schaden der Umwelt zu fest, würde ja auch jeder Schweizer entgegnen, dass sich die Chinesen erst Mal um ihre Kohlenkraftwerke kümmern sollen.
Und übrigens ist Whataboutismus manchmal gar nicht so schlecht, das zeigt dem gegenüber seine Schwächen auf nach dem Motto: Putz zuerst vor deiner eigenen Haustüre, bevor Du andere kritisierst (Stichwort Guantanmo usw...)