International
Analyse

«Zeitenwende»: Olaf Scholz mit klarer Ansage an Wagenknecht und Putin

epa10498376 German Chancellor Olaf Scholz delivers a statement 'A Year of Changing Times - Strengthening Germany's Security and Alliances, Continuing to Support Ukraine' at the German p ...
Scholz bei der Regierungserklärung: «Unsere europäische Friedensordnung ist wehrhaft.»Bild: keystone
Analyse

Der deutsche Kanzler findet sehr deutliche Worte zum russischen Angriffskrieg

Ein Jahr nach seiner «Zeitenwende»-Rede zog Olaf Scholz im deutschen Bundestag Bilanz. Der Kanzler wurde so deutlich wie selten – und kritisierte einige Demonstrantinnen und Demonstranten scharf.
02.03.2023, 16:20
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Olaf Scholz hat gerade angefangen zu reden, da kommt es zu einer kleinen Sensation: Der Kanzler spricht Klartext. Irgendwann sagt er: «Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – ausser über die eigene Unterwerfung.»

Scholz spricht dabei gerade über die Unterstützung für die Ukraine, die nicht nachlassen dürfe. Es ist ein Satz, der wie eine Überschrift über seiner Rede stehen könnte.

Ein gutes Jahr ist es her, dass der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist. Und vor 369 Tagen hielt Olaf Scholz seine bislang berühmteste Rede im Bundestag, als er sagte: «Wir erleben eine Zeitenwende.» Wie die aussehen soll, verkündete Scholz gleich mit. Er läutete einen Bruch in der Aussen- und Sicherheitspolitik ein – und versprach 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.

Und nun, ein Jahr später? Wo steht Deutschland? Wie positioniert sich der Kanzler in dem Krieg, der immer noch auf europäischem Boden wütet? Olaf Scholz hält an diesem Donnerstagvormittag eine Regierungserklärung, in der er ungewohnt deutlich wird.

Scholz verteidigt seinen Kurs, stellt sich deutlich gegen Wladimir Putin und hinter Wolodymyr Selenskyj und kritisiert sogar manche Demonstranten scharf. In fünf zentralen Aussagen zeigt sich, wo der Kanzler mit der Bundesregierung hinsteuern will.

1

«Frieden schaffen – das bedeutet eben auch, sich Aggression und Unrecht klar entgegenzusetzen. [...] So wie wir es tun, indem wir die Ukraine unterstützen – solange wie das nötig ist.»

Olaf Scholz setzt gleich zu Beginn die zwei entscheidenden Botschaften seiner Rede: Um Frieden zu schaffen, braucht es manchmal eben doch Waffen. Und: Wir werden der Ukraine weiterhin helfen. Und zwar «solange wie das nötig ist». Diese Formel ist ein rhetorischer Schulterschluss mit US-Präsident Joe Biden, der seit einiger Zeit das Gleiche auf Englisch formuliert: «As long as it takes».

Scholz bleibt aber auch in dieser Rede dabei, nicht auszusprechen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse. Sein neuer Verteidigungsminister und Parteifreund Boris Pistorius ist da weiterhin eindeutiger. Scholz vermeidet diesmal aber auch seine Ausweichformulierung: Die Ukraine dürfe diesen Krieg nicht verlieren. Vielleicht wirkt sie ihm für diese deutliche Rede dann doch zu schwach.

2

«Man schafft auch keinen Frieden, wenn man hier in Berlin ‹Nie wieder Krieg› ruft – und zugleich fordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen.»

Scholz wird auch hier überaus deutlich. Seine Sätze zielen auf eine Demonstration, die am vergangenen Wochenende in Berlin stattfand: Rund 13'000 Menschen protestierten dabei mit Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gegen die deutschen Waffenlieferungen.

Gleichzeitig betont der Kanzler anschliessend, die Waffenlieferungen seien «ungewohnt» für Deutschland. Darum verstehe er «alle Bürgerinnen und Bürger, die darüber nicht Hurra schreien». Die Bundesregierung mache sich solche Entscheidungen aber niemals leicht.

Man kann die Haltung von Scholz so zusammenfassen: Eine Demonstration wie am Wochenende hält der Kanzler offensichtlich für völlig unangemessen. Dass er sie in solch scharfen Worten verurteilt, ist beachtlich für einen Bundeskanzler. Gleichzeitig will Scholz auch nicht den Eindruck vermitteln, sich einer grundsätzlichen Debatte über die Waffenlieferungen zu verschliessen.

3

«Bleibt die Frage: Ist Putin überhaupt bereit, über die Rückkehr zu diesen Grundsätzen und einen gerechten Frieden zu verhandeln? Im Moment spricht nichts dafür.»

Scholz stellt hier noch einmal klar, dass Friedensbemühungen aus seiner Sicht im Moment keinen Sinn ergeben – und zwar wegen Putin. Anschliessend lobt er explizit, dass der ukrainische Präsident Selenskyj im November «Vorschläge für einen dauerhaften, gerechten Frieden vorgelegt hat».

Diese Botschaft setzt Scholz schon in der Einleitung der Rede: «Jede Ukrainerin, jeder Ukrainer sehnt sich nach Frieden – mehr als irgendwer sonst!» Er stellt sich damit noch einmal deutlich gegen die Vorwürfe, ein Frieden scheitere derzeit an der Ukraine und nicht an Russland.

Zugleich lässt Scholz sich und Putin eine Tür offen, indem er sagt, «im Moment» spreche nichts dafür, dass der Kremlchef einen gerechten Frieden verhandeln wolle.

4

«Meine Botschaft an Peking ist klar: Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen! Und: Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland!»

Scholz ist bislang vorgeworfen worden, zu nachsichtig mit China umzugehen. Seine Reise nach Peking Anfang November musste er gegen Kritik auch aus der eigenen Koalition verteidigen. Das will der Kanzler mit dieser Rede offensichtlich vergessen machen.

Indem Scholz vor Waffenlieferungen an Russland warnt, erkennt er indirekt an, dass auch die Bundesregierung von solchen Überlegungen weiss. Die jüngste «Friedensinitiative» Pekings nennt Scholz nur «12-Punkte-Plan».

Scholz lobt, dass China sich darin gegen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen ausspricht. Und kritisiert zugleich, dass der Plan nicht mit der Ukraine besprochen wurde und Russland nicht deutlich als Aggressor verurteilt wird. Eine sehr deutliche Ansage an den wichtigsten Handelspartner Deutschlands.

5

«Auch Deutschland ist im Licht der Zeitenwende widerstandsfähiger geworden. Am deutlichsten wird das, wenn man auf die Bundeswehr blickt. Wir machen Schluss mit der Vernachlässigung unserer Streitkräfte.»

Als Olaf Scholz mit diesen Sätzen die verteidigungspolitischen Folgen der Zeitenwende anspricht, wird im Bundestag laut gelacht. Denn einer der wichtigsten Kritikpunkte der Union (und auch einiger Mitglieder der Ampelkoalition) lautet, dass bisher fast nichts mit den 100 Milliarden Euro des Sondervermögens Bundeswehr passiert sei. Dabei war genau das die zentrale Nachricht der Zeitenwende-Rede vor gut einem Jahr.

Selbstkritik übt Scholz deshalb aber nicht. Er referiert die sehr kurze Liste der Beschaffungsprojekte, die schon final sind: nur die F35-Kampfjets nämlich. Und verspricht, dass der «Grossteil» der Sondervermögen-Projekte «noch in diesem Jahr unter Vertrag sein» solle.

Bemerkenswert und folgenreich: Scholz bekennt sich noch einmal zu einem «Aufwuchs des Verteidigungshaushalts insgesamt», um «dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel der Nato» zu erreichen. Die zehn Milliarden Euro zusätzlich, die sein Verteidigungsminister dafür verlangt, erwähnt Scholz zwar nicht explizit. Aber es bedeutet trotzdem: Mit dem Sondervermögen allein ist es für Scholz nicht getan.

Die Rede von Olaf Scholz:

Quellen

  • Eigene Recherchen bei Beobachtungen zur Scholz-Rede am 2. März 2023 im Bundestag

(t-online/dsc)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine
1 / 10
Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine
24 Luftabwehr-Panzer des Typs Gepard mit über 50'000 Schuss Munition
quelle: keystone / morris macmatzen / pool
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Klitschko bedankt sich bei Deutschland für die «Katzen»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
58 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
kallard
02.03.2023 17:09registriert September 2019
Das die Union über die geplante Moderniesierung der Bundeswehr lacht ist lächerlich und zeigt, dass denen nichts peinlich ist.

Die haben alle Verteidigungsministerinnen seit 2005 gestellt.
8211
Melden
Zum Kommentar
avatar
G. Laube
02.03.2023 17:05registriert April 2020
Ich habe Scholz eine zeitlang als zu zögerlich betrachtet, aber heute muss ich sagen, dass er seine Versprechen im Gegensatz zu den vielen Schreihälsen auch konsequent einhält. Deshalb, 🎩 ab vor diesem Mann!
8112
Melden
Zum Kommentar
avatar
Frizbee
02.03.2023 19:58registriert März 2022
Ich glaube jetzt bekommt Putin eine Vorgeschmack wer möglicherweise doch nicht einknickt. Stille Wasser sind eben tief.
454
Melden
Zum Kommentar
58
US-Tiktok-Verbot rückt näher – doch Trump scheint seine Meinung geändert zu haben
Washington macht Ernst: Die Videoplattform Tiktok könnte in den USA bald verboten werden, weil sie ein Sicherheitsrisiko darstelle. Tiktok will sich wehren. Aber der Druck wächst, auch in Europa. Hier argumentiert man mit der psychischen Gesundheit von Jugendlichen.

Die Zeit läuft. Maximal 360 Tage hat die Besitzerin von Tiktok nun Zeit, um sich von der populären Videoplattform zu trennen – sonst droht ein Tiktok-Verbot in den USA. So hat es am Dienstag nach dem Repräsentantenhaus auch der Senat in Washington beschlossen. Die politische Debatte ist damit vorerst zu Ende, Tiktok hat trotz massiver Lobby-Ausgaben verloren.

Zur Story