Olaf Scholz hat gerade angefangen zu reden, da kommt es zu einer kleinen Sensation: Der Kanzler spricht Klartext. Irgendwann sagt er: «Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – ausser über die eigene Unterwerfung.»
Scholz spricht dabei gerade über die Unterstützung für die Ukraine, die nicht nachlassen dürfe. Es ist ein Satz, der wie eine Überschrift über seiner Rede stehen könnte.
Ein gutes Jahr ist es her, dass der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist. Und vor 369 Tagen hielt Olaf Scholz seine bislang berühmteste Rede im Bundestag, als er sagte: «Wir erleben eine Zeitenwende.» Wie die aussehen soll, verkündete Scholz gleich mit. Er läutete einen Bruch in der Aussen- und Sicherheitspolitik ein – und versprach 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.
Und nun, ein Jahr später? Wo steht Deutschland? Wie positioniert sich der Kanzler in dem Krieg, der immer noch auf europäischem Boden wütet? Olaf Scholz hält an diesem Donnerstagvormittag eine Regierungserklärung, in der er ungewohnt deutlich wird.
Scholz verteidigt seinen Kurs, stellt sich deutlich gegen Wladimir Putin und hinter Wolodymyr Selenskyj und kritisiert sogar manche Demonstranten scharf. In fünf zentralen Aussagen zeigt sich, wo der Kanzler mit der Bundesregierung hinsteuern will.
Olaf Scholz setzt gleich zu Beginn die zwei entscheidenden Botschaften seiner Rede: Um Frieden zu schaffen, braucht es manchmal eben doch Waffen. Und: Wir werden der Ukraine weiterhin helfen. Und zwar «solange wie das nötig ist». Diese Formel ist ein rhetorischer Schulterschluss mit US-Präsident Joe Biden, der seit einiger Zeit das Gleiche auf Englisch formuliert: «As long as it takes».
Scholz bleibt aber auch in dieser Rede dabei, nicht auszusprechen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse. Sein neuer Verteidigungsminister und Parteifreund Boris Pistorius ist da weiterhin eindeutiger. Scholz vermeidet diesmal aber auch seine Ausweichformulierung: Die Ukraine dürfe diesen Krieg nicht verlieren. Vielleicht wirkt sie ihm für diese deutliche Rede dann doch zu schwach.
Scholz wird auch hier überaus deutlich. Seine Sätze zielen auf eine Demonstration, die am vergangenen Wochenende in Berlin stattfand: Rund 13'000 Menschen protestierten dabei mit Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gegen die deutschen Waffenlieferungen.
Gleichzeitig betont der Kanzler anschliessend, die Waffenlieferungen seien «ungewohnt» für Deutschland. Darum verstehe er «alle Bürgerinnen und Bürger, die darüber nicht Hurra schreien». Die Bundesregierung mache sich solche Entscheidungen aber niemals leicht.
Man kann die Haltung von Scholz so zusammenfassen: Eine Demonstration wie am Wochenende hält der Kanzler offensichtlich für völlig unangemessen. Dass er sie in solch scharfen Worten verurteilt, ist beachtlich für einen Bundeskanzler. Gleichzeitig will Scholz auch nicht den Eindruck vermitteln, sich einer grundsätzlichen Debatte über die Waffenlieferungen zu verschliessen.
Scholz stellt hier noch einmal klar, dass Friedensbemühungen aus seiner Sicht im Moment keinen Sinn ergeben – und zwar wegen Putin. Anschliessend lobt er explizit, dass der ukrainische Präsident Selenskyj im November «Vorschläge für einen dauerhaften, gerechten Frieden vorgelegt hat».
Diese Botschaft setzt Scholz schon in der Einleitung der Rede: «Jede Ukrainerin, jeder Ukrainer sehnt sich nach Frieden – mehr als irgendwer sonst!» Er stellt sich damit noch einmal deutlich gegen die Vorwürfe, ein Frieden scheitere derzeit an der Ukraine und nicht an Russland.
Zugleich lässt Scholz sich und Putin eine Tür offen, indem er sagt, «im Moment» spreche nichts dafür, dass der Kremlchef einen gerechten Frieden verhandeln wolle.
Scholz ist bislang vorgeworfen worden, zu nachsichtig mit China umzugehen. Seine Reise nach Peking Anfang November musste er gegen Kritik auch aus der eigenen Koalition verteidigen. Das will der Kanzler mit dieser Rede offensichtlich vergessen machen.
Indem Scholz vor Waffenlieferungen an Russland warnt, erkennt er indirekt an, dass auch die Bundesregierung von solchen Überlegungen weiss. Die jüngste «Friedensinitiative» Pekings nennt Scholz nur «12-Punkte-Plan».
Scholz lobt, dass China sich darin gegen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen ausspricht. Und kritisiert zugleich, dass der Plan nicht mit der Ukraine besprochen wurde und Russland nicht deutlich als Aggressor verurteilt wird. Eine sehr deutliche Ansage an den wichtigsten Handelspartner Deutschlands.
Als Olaf Scholz mit diesen Sätzen die verteidigungspolitischen Folgen der Zeitenwende anspricht, wird im Bundestag laut gelacht. Denn einer der wichtigsten Kritikpunkte der Union (und auch einiger Mitglieder der Ampelkoalition) lautet, dass bisher fast nichts mit den 100 Milliarden Euro des Sondervermögens Bundeswehr passiert sei. Dabei war genau das die zentrale Nachricht der Zeitenwende-Rede vor gut einem Jahr.
Selbstkritik übt Scholz deshalb aber nicht. Er referiert die sehr kurze Liste der Beschaffungsprojekte, die schon final sind: nur die F35-Kampfjets nämlich. Und verspricht, dass der «Grossteil» der Sondervermögen-Projekte «noch in diesem Jahr unter Vertrag sein» solle.
Bemerkenswert und folgenreich: Scholz bekennt sich noch einmal zu einem «Aufwuchs des Verteidigungshaushalts insgesamt», um «dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel der Nato» zu erreichen. Die zehn Milliarden Euro zusätzlich, die sein Verteidigungsminister dafür verlangt, erwähnt Scholz zwar nicht explizit. Aber es bedeutet trotzdem: Mit dem Sondervermögen allein ist es für Scholz nicht getan.
(t-online/dsc)
Die haben alle Verteidigungsministerinnen seit 2005 gestellt.