Die ersten Monate von Putins Krieg waren für seine Soldaten ein Desaster. Aus Kiew wurden sie vertrieben, das Flaggschiff Moskwa wurde versenkt und selbst die Eroberung der Küstenstadt Mariupol wurde zu einem Symbol des ukrainischen Widerstands.
Der Kreml musste handeln, und er tat es auch. Putin setzt jetzt auf einen neuen General und eine neue Strategie. Aleksander Dwornikow ist zum alleinigen Oberbefehlshaber ernannt worden. Der hoch dotierte Offizier soll endlich dafür sorgen, dass die verschiedenen Einheiten der russischen Armee koordiniert kämpfen.
Dwornikow muss auch eine neue Strategie umsetzen. Anstatt die grossen Städte wie Kiew und Charkiw Blitzkrieg-mässig einzunehmen, soll der Donbass in einem zermürbenden Kleinkrieg erobert werden.
Der Erfolg ist bisher überschaubar. Russische Soldaten haben zwar die Stadt Sjewjerodonezk besetzt und beherrschen nun die Provinz Luhansk. Doch im Gegenzug wurden sie wieder aus der Millionenstadt Charkiw vertrieben. Obwohl sie zahlenmässig weit überlegen sind, kommen die Russen im Donbass kaum voran. Der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärt dazu: «Wir können beobachten, dass sie sich auf dem Schlachtfeld langsam und wenig erfolgreich bewegen.»
Der Grund des überschaubaren Erfolgs der russischen Truppen liegt darin, dass sie strikt hierarchisch organisiert sind. Anders als in westlichen Armeen dürfen Zugführer keine eigenen Entscheide fällen. Hohe Offiziere werden deshalb an die Front geschickt und häufig Opfer von ukrainischen Angriffen.
Die organisatorischen Defekte lassen sich nicht kurzfristig beheben. So erklärt Frederick Kagan, Militärexperte beim American Enterprise Institute, gegenüber der «New York Times»: «Es handelt sich um grundsätzliche Mängel in der russischen Armee. Sie können nicht innert Wochen behoben werden, auch wenn es versucht würde.»
Philip Breedlove, der ehemalige Oberkommandierende der NATO in Europa, weist auch darauf hin, dass die aus der Umgebung von Kiew vertriebenen Soldaten viel zu früh wieder in den Kampf geschickt wurden. «Selbst unsere Armee wäre überfordert, müsste sie nach einer so schweren Niederlage innert zwei Wochen wieder in den Kampf ziehen», sagt er.
Die Tatsache, dass die USA den Ukrainern nun modernste Haubitzen liefern, wird die Lage der russischen Truppen nicht wirklich verbessern. Ebenso die Tatsache, dass sich Wladimir Putin offenbar höchstpersönlich in das militärische Vorgehen einmischen will. So erklärt die ehemalige hohe Pentagon-Beamtin Evelyn Farkas gegenüber der «New York Times»: «Wenn Präsidenten damit anfangen, militärische Operationen zu leiten, dann ist das ein Rezept für ein Desaster.»
Auch politisch hat sich das Blatt gegen Putin gewendet. Joe Biden hat nun die Ziele der USA in der Ukraine klar definiert und damit allen das Maul gestopft, die ihm Zaudern vorgeworfen haben. In einem Gastkommentar in der «New York Times» hält der US-Präsident unmissverständlich fest: «Wir wollen eine demokratische, unabhängige, souveräne und wohlhabende Ukraine, welche über die Mittel verfügt, sich allen künftigen Aggressionen zu widersetzen.»
Konkret bedeutet dies, dass die USA weiterhin modernste Waffen in die Ukraine liefern werden. Der Kongress hat kürzlich dafür einen Kredit in der Höhe von 40 Milliarden Dollar bewilligt. Präsident Biden erklärt dazu: «Die Ukraine in ihrer Stunde der Not zu unterstützen, ist nicht nur eine Frage der Moral. Ein friedliches und stabiles Europa ist auch in unserem eigenen nationalen Interesse.»
Diese Erkenntnis hat sich auch in Europa durchgesetzt. Putins Hoffnung, dass sich die Mitglieder der EU zerstreiten werden, hat sich zerschlagen. Selbst der ungarische Premierminister Viktor Orban konnte einen Ölboykott nicht verhindern. Putin wird damit dort getroffen, wo es ihm sehr weh tut, im Portemonnaie. Letztes Jahr hat Russland Öl im Wert von 180 Milliarden Dollar exportiert. Ein grosser Teil dieser Einnahmen wird künftig wegfallen.
In den letzten Tagen ist die Einheit Europas gegenüber Russland immer wieder angezweifelt worden. Vor allem dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wurde vorgeworfen, zu viele Konzessionen an Putin machen zu wollen.
Dabei wurde übersehen, wie rasch sich Europa in den vergangenen Kriegsmonaten verändert hat: Deutschland will seine Armee mit 100 Milliarden Euro modernisieren. Finnland und Schweden wollen der Nato beitreten. Polen hat sich von Stinkstiefel Orban distanziert und die EU hat die härtesten Sanktionen ihrer Geschichte gegen Russland verhängt.
Thomas Friedman, Kolumnist der «New York Times», hat sich am WEF in Davos bei verschiedenen Koryphäen der Europapolitik umgehört. Was er gehört hat, verleitet ihn zum Schluss: «Putins Überfall der Ukraine könnte sich als der grösste Irrtum seit Hitlers Invasion Russlands im Jahr 1941 erweisen.»