Die schlechte Nachricht lautet: Wie erwartet haben die rechten Populisten die Wahlen ins EU-Parlament gewonnen. Die gute Nachricht lautet: Sie sind heillos zerstritten, vor allem die zwei dominierenden Frauen, Italiens Premierministerin Giorgia Meloni und Frankreichs Anführerin der Opposition, Marine Le Pen.
Der Sieg der Rechtspopulisten ist nicht ganz so hoch ausgefallen wie erwartet. Vor allem in Skandinavien mussten sie Federn lassen, in Polen sogar eine deutliche Niederlage einstecken. Selbst Ungarns selbstherrlicher Premierminister Viktor Orbán hat einen Streifschuss erlitten. Der erklärte Liebling aller Rechtsextremen weltweit muss sich immer stärker gegen den konservativen Herausforderer Péter Magyar zur Wehr setzen.
Der Sieg der Rechtspopulisten wird auch dadurch geschmälert, dass sie untereinander zerstritten sind. Derzeit lassen sich drei Gruppen ausmachen: Die harten Rechtsextremen, zu denen etwa die deutsche AfD gehört. Die Pragmatiker – dazu zählen die italienischen Fratelli d’Italia und ihre Chefin Giorgia Meloni. Und schliesslich gibt es noch die harten Euroskeptiker, bei denen Marine Le Pen den Ton angibt.
Meloni und Le Pen haben die hochgesteckten Erwartungen erfüllt. Beide gehen als Siegerinnen aus den Wahlen vom Wochenende hervor. Die Partei der italienischen Premierministerin konnte 28,6 Prozent der Stimmen erringen, das Rassemblement National, die Partei von Le Pen, gar 31,5 Prozent. Der französische Präsident Emmanuel Macron war darob so geschockt, dass er umgehend Neuwahlen des Parlaments angeordnet hat.
Meloni und Le Pen haben grosse Ähnlichkeiten in ihrer politischen Karriere. Beide mussten sich gegen Macho-Männer durchsetzen, Meloni gegen den mittlerweile verstorbenen Silvio Berlusconi, Le Pen gegen ihren eigenen Vater. Auch ideologisch gesehen trennt die beiden nur wenig. «Ihre Ziele sind sehr ähnlich», erklärt daher Marc Lazar, Professor an der Universität Science Po in Paris, gegenüber der «Financial Times». «Beide wollen die massgebliche Figur der nationalen Bewegung in ihrem Gebiet sein.»
Trotzdem sind sich die beiden überhaupt nicht grün. Das mit weiblicher Rivalität erklären zu wollen, wäre zu kurz gesprungen. Als Premierministerin steht Meloni in der Verantwortung. Daher hat sie sich bisher erstaunlich pragmatisch gezeigt. Obwohl die Wurzeln ihrer Partei im italienischen Faschismus liegen, tritt sie gemässigt auf. Sie versteht sich blendend mit Ursula von der Leyen, der EU-Kommissionspräsidentin; und sie trägt die Sanktionen gegen Russland mit und hat gar Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew besucht.
Ihre Rolle in der EU versteht Meloni als Vermittlerin zwischen den traditionellen Konservativen und den Rechtspopulisten. Deshalb kommt sie nicht nur mit von der Leyen klar, sondern auch mit Viktor Orbán. Sie hat auch allen Grund, es mit Brüssel nicht zu verderben. Italien ist auf die 190 Milliarden Euro angewiesen, die ihm aus dem Corona-Topf der EU zustehen.
Bei Le Pen sind die Vorzeichen ganz andere. Sie führt die Opposition an und kann daher ohne Angst auf das eindreschen, was sie für die europäische Elite hält. Einst hat sie gar für einen «Frexit» plädiert, einen Austritt Frankreichs aus der EU. Inzwischen begnügt sie sich damit, die EU zu einer Gemeinschaft souveräner, vorzugsweise rechts regierter Staaten herabzustufen.
Anders als Meloni lässt Le Pen an der EU-Kommissionspräsidentin kein gutes Haar. «Ihre Zeit ist abgelaufen», erklärte sie noch vor ein paar Wochen im Wahlkampf. «Was uns betrifft, werden wir niemals – ich wiederhole, niemals – für Ursula von der Leyen stimmen.»
Schliesslich ist Le Pen eine Putin-Versteherin, nicht zuletzt, weil einst eine russische Bank ihren Wahlkampf finanziert hat. Seit dem Überfall auf die Ukraine hält sie sich zwar mit Lobreden auf den russischen Präsidenten zurück. Doch wie Sahra Wagenknecht in Deutschland fordert sie vehement, dass keine weiteren Waffen an die Ukraine geliefert werden.
Le Pens idealer Partner in Italien wäre Matteo Salvini. Doch der Führer der rechtsextremen Lega befindet sich auf dem absteigenden Ast seiner Karriere. Seine Partei hat bei den Wahlen nur 9,4 Prozent der Stimmen erhalten. Salvini, ebenfalls ein Putin-Versteher, muss gar um sein Amt als Lega-Chef bangen.
Die Rechtspopulisten haben ihr Ziel, die EU zu unterwandern, nicht erreicht, das Zentrum hat standgehalten. Sie haben jedoch insgesamt genügend Sitze errungen, um den Kurs der EU in den nächsten fünf Jahren mitbestimmen zu können. Dazu müssten sie jedoch ihre Differenzen aus dem Weg räumen. Vor allem müssten die beiden Leitwölfinnen am gleichen Strang ziehen. Darauf spekuliert auch Viktor Orbán. Gegenüber der «Financial Times» erklärt er: «Alles hängt davon ab, ob Marine Le Pen und Giorgia Meloni miteinander kooperieren.»
Ein erster Test für eine solche Kooperation wird sich schon in wenigen Wochen bieten. Ursula von der Leyen stellt sich der Wiederwahl als Präsidentin der EU-Kommission. Obwohl die Mitte nach wie vor die stärkste Fraktion im EU-Parlament bildet, ist diese Wiederwahl alles andere als sicher. Wie sich die italienische Premierministerin in dieser Frage entscheiden wird, könnte den Ausschlag geben. Sollte sich Meloni auf die Seite von Ursula von der Leyen schlagen, dann dürfte das Tischtuch mit Le Pen für längere Zeit zerschnitten sein.